Lernen und forschen im Ausland
25 Jahre Bologna-Prozess: eine Bilanz

Studieren in ganz Europa, mit vergleichbaren Abschlüssen: Das ist Folge der Bologna-Reform, die vor 25 Jahren auf den Weg gebracht wurde. Doch nicht alle Ziele wurden erreicht, neue Probleme entstanden: Welche Impulse braucht Bologna für die Zukunft?

    Internationale Studierende in traditionellen schwarzen Roben werfen ihre Absolventenhüte in den blauen Himmel. Symbolbild
    Das Studieren im Ausland ist in einer globalisierten Welt ein wichtiger Baustein für berufliche Karrieren - und es kann Spaß machen. (IMAGO / Zoonar / benis arapovic)
    Knapp 460.000 ausländische Studierende lernen und forschen derzeit an deutschen Hochschulen, rund 130.000 junge Deutsche studieren momentan in anderen Ländern. Diese Mobilität war eines der großen Ziele der Bologna-Reform. Die zugrunde liegende Erklärung wurde vor 25 Jahren, im Juni 1999, an Europas ältester Universität in Bologna unterzeichnet.
    Darin verschrieben sich 30 Länder einer engeren Zusammenarbeit in der Hochschulpolitik - auf freiwilliger Basis. Inzwischen gehören dem Europäischen Hochschulraum sogar 49 Länder an, weit mehr als die EU Mitglieder hat. Zwei Staaten – Russland und Belarus – sind derzeit allerdings wegen des Angriffskrieges in der Ukraine suspendiert.

    Inhalt:

    Welche Vorteile hat Bologna gebracht?

    Die Länder des Europäischen Hochschulraums haben gestufte Abschlüsse wie Bachelor und Master eingeführt. Mit Ausnahme von Medizin, Pharmazie oder Jura sind in Deutschland inzwischen über 90 Prozent der Studiengänge entsprechend organisiert.
    Das erleichtert die Vergleichbarkeit und Anerkennung der Abschlüsse. Durch das Kreditpunktesystem ETCS sind Studienleistungen heute über Ländergrenzen hinweg anrechenbar. Auch die Mobilität von Studierenden und Forschenden ist insgesamt gewachsen.

    International attraktiver Hochschulraum

    Bologna habe zudem entscheidend dazu beigetragen, den europäischen Hochschulraum international attraktiv zu machen, betont Stephan Geifes, zuständiger Direktor für die EU-Hochschulzusammenarbeit beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD).
    „Ich würde dem gesamten Prozess eine solide Drei geben“, sagt Beate Lipps, Vorsitzende des Vereins Gibet, einem bundesweiten Fachverband für Studien- und Studierendenberatung in Deutschland. Positiv bewertet Lipps unter anderem die Entwicklung zur sogenannten Employability: Bereits während des Studiums werde die Berufsorientierung durch Praktika, Workshops und Karrieremessen erleichtert.

    Welche Ziele der Bologna-Reform wurden nicht erreicht?

    Gerade die deutschen Studierenden sind nicht so mobil wie gewünscht. Ziel ist, dass rund die Hälfte der hierzulande Studierenden Auslandserfahrungen sammelt. Nach Angaben der Bundesregierung liegt die Quote aber nur bei 23 Prozent.
    Schaubild zur Anzahl der deutschen Studierenden im Ausland.
    Bachelor und Master sollten zu schnelleren Abschlüssen führen. Im Detail gibt es hier Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern: Während in Deutschland ein Bachelorstudium drei Jahre dauern soll, veranschlagt Bulgarien dafür vier Jahre. Da sich zudem zwei Drittel der Studierenden auch noch für einen zweijährigen, anschließenden Masterstudiengang entscheiden, hat sich an der Gesamtdauer im Vergleich zu früheren Diplomstudiengängen kaum etwas geändert.

    Zu viele Abbrecher

    Erschreckend hoch ist nach wie vor auch die Abbrecherquote. Über 40 Prozent der ausländischen Studierenden in Deutschland verlassen die Hochschule vorzeitig, rund doppelt so viele wie unter deutschen Studentinnen und Studenten. Der Bologna-Prozess hat daran kaum etwas verändert.

    Was bedeutet Bologna für die Studierenden?

    Die Bologna-Reform hat vieles verbessert, birgt aber auch Schattenseiten. Das Studiensystem ist heute weitgehend „verschult“. Um eine Basis für die Vergabe der „Credit Points“ zu haben, verlangen die meisten Hochschulen für die einzelnen Module einen Leistungsnachweis.
    Mehr Prüfungen sind die Folge, die auch in die Gesamtnote am Ende einfließen. „Wir haben in den ersten zwei Jahren meines Studiums 35 Prüfungen geschrieben“, berichtet der Student Nicolai, der derzeit seinen Master in Ökotoxikologie an der Universität in Göteborg macht.
    Dieser Leistungsdruck sorge - in der Kombination mit anderen Faktoren wie gestiegenen Lebenshaltungskosten und als schwierig wahrgenommenen Zukunftsaussichten - für Probleme, sagt die Studienberaterin Beate Lipps. „Die psychische Belastung der Studierenden ist weiter stark gestiegen." Schätzungen gingen davon aus, dass mehr als ein Viertel der Studierenden Depressionen oder Ängste habe.

    Viele Studierende müssen nebenher arbeiten

    Zudem berichtet Lipps von einer anderen studentischen Lebenswirklichkeit im Vergleich zu früher. Aufgrund des finanziellen Drucks sei das Studium nicht zwangsläufig mehr Lebensmittelpunkt, viele müssten nebenher arbeiten, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Strikte Regeln zur Höchststudiendauer, wie es sie noch an einigen Hochschulen gebe, seien insofern sehr ungünstig.
    Ulf Dalnäs, der den Bologna-Prozess in Schweden als Experte von Beginn an begleitet hat, weist noch auf einen anderen Aspekt hin. Die verstärkte Ausrichtung des Studiums auf die Wirtschaft und klarere Berufsprofile stünden im Widerspruch zum Humboldtschen Bildungsideal. „Darüber müsste im Bologna-Prozess mehr gesprochen werden. Wie können wir das Studium wieder freier machen? Es ist einfach zu langweilig geworden“, sagt Dalnäs.

    Welche Impulse braucht Bologna für die Zukunft?

    25 Jahre nach dem Beginn des Bologna-Prozesses überwiege in vielen Staaten wieder die Innenschau, bilanziert Johanna Witte vom Bayerischen Staatsinstitut für Hochschulforschung. Dabei könnten schon weitere kleine Schritte Verbesserungen für die Studierenden bringen: zum Beispiel bindende Regeln zur Anrechnung im ETCS-System. Noch sind die Studierenden im Einzelfall darauf angewiesen, dass ihre Hochschule tatsächlich die im Ausland erworbenen Leistungen anerkennt. 
    Kritiker fordern außerdem, die Zahl der Studiengänge zu reduzieren. Wurden vor einigen Jahren 18.000 verschiedene Bachelorabschlüsse in Deutschland schon als „Wildwuchs“ bezeichnet, sind es heute 22.000.

    Mehr von der Humboldtschen Bildungsidee

    Doch zumindest in Ansätzen sieht Studienberaterin Lipps auch, dass sich die Humboldtsche Bildungsidee unter Bologna-Bedingungen entfalten kann: „Viele Hochschulen haben die Möglichkeit genutzt, überfachliche Module einzuführen. Wir sehen, dass die Studierenden das nutzen, um über den Tellerrand hinaus zu schauen.“
    Stephan Geifes vom DAAD registriert zudem eine weitere, positive Entwicklung: „Neben dem vielen, was schon erreicht wurde, sehe ich die Hochschulgemeinschaft angesichts aktueller Krisen - wie dem Angriffskrieg in der Ukraine - auf dem Weg zu einer Wertegemeinschaft“, sagt er. Das gemeinsame Engagement für die Wissenschaftsfreiheit sei dafür ein gutes Beispiel.
    jk