Archiv

Zwölf Millionen Dollar verloren
Wie Usain Bolt Opfer von Anlagebetrug wurde

Zwölf Millionen Dollar vermisst Usain Bolt. Der Sprintweltrekordler wurde Opfer eines Anlagebetrugs. Schuld ist angeblich eine frühere Kundenbetreuerin. Aber auch die Firma selbst sowie die staatliche Finanzaufsicht sehen nicht gut aus.

Von Tom Mustroph |
Usain Bolt hat zwölf Millionen Dollar verloren.
Usain Bolt hat zwölf Millionen Dollar verloren. (IMAGO / Shutterstock / IMAGO / Andrew Fosker / Shutterstock)
Wir sind in der Nähe von Kingston, Jamaika. Eines der vielen samstäglichen Leichtathletiknachwuchsmeetings findet hier statt. Usain Bolt rannte auf dieser Bahn auch schon als Schüler, bekräftigen die Organisatoren. Und jeder, der hier startet, träumt von einer Karriere wie der des Supersprinters.
Davon, dass er sein Geld so verliert wie Usain Bolt, träumt natürlich niemand. Der Finanzbetrug, dessen Opfer Jamaikas prominentester Sportler wurde, erschüttert nicht nur ihn selbst: „Jeder ist jetzt verwirrt, alle Leute. Ich selbst bin fast genauso verwirrt wie alle anderen“, sagte Usain Bolt bei einem seiner wenigen Auftritte seit Bekanntwerden des Skandals.
Zwölf Millionen Dollar vermisst er, als eines von insgesamt 40 Opfern der Anlagefirma Stocks and Securities Limited, kurz SSL.

Zunächst gute und vergleichsweise sichere Anlage

Die Firma sitzt in Jamaikas Hauptstadt Kingston, in der Hope Road, nur ein paar Hundert Meter von Bob Marleys früherem Anwesen entfernt, auf dem dieser Tage Hunderte Rastafari den 78. Geburtstag ihres Reggae-Idols feierten. Die Firma SSL steht derzeit unter Aufsicht eines vom Finanzministerium eingesetzten Verwalters. Immerhin empfängt man mich. Vor dem Mikrofon will aber niemand reden.
Im Foyer hängt eine große Schautafel, die die einzelnen Schritte lukrativer und angeblicher sicherer Investments anpreist.
Bekannt ist mittlerweile, dass Bolt hier bereits im Jahr 2012 einen Account unter dem Namen ‚WellJen‘ eröffnete. Für dieses Depot wurden Aktien unter anderem von Apple, Amazon und Facebook erworben. Bis zum Jahr 2021 vervielfachten sich die Werte um das Sieben- bis 13-Fache. Eine gute und vergleichsweise sichere Anlage also.

Verstrickung des Managers vermutet

Dann aber geschahen merkwürdige Dinge. Ricardo Brooks, Investigativreporter des Nationwide News Network in Kingston hatte Einblick in die Bücher:
„Über einen Zeitraum von sechs Monaten zwischen August 2021 und Februar 2022 wurden zehn Transaktionen getätigt, bei denen 191 Aktienpakete von Bolts Account zu einem anderen Konto bei SSL transferiert wurden.“ Von etwa zwölf Millionen US-Dollar blieben laut Informationen von Bolts Anwälten nur etwa 12.000 Dollar.
Wer sich hinter dem Aktiendepot verbirgt, zu dem Bolts Aktien transferiert wurden, wird derzeit ermittelt. Auslöser der Transaktionen waren mehrere E-Mails von Bolts damaligem Manager Norman Peart. Der bestritt inzwischen jedoch öffentlich, die Mails geschrieben zu haben. Peart und Bolt waren Kumpel seit Schulzeiten. Bolt trennte sich Ende letzten Jahres von Peart, was später zu Spekulationen über Pearts mögliche Verstrickung in die Finanzmanöver führte.

Gesamtvolumen: Drei Milliarden Dollar

Für die Unschuld des früheren Managers aber spricht, dass über den mit ihm verbundenen Bolt hinaus weitere 39 Klienten der Firma SSL Opfer von Betrug wurden. Sie standen nicht in Verbindung mit Bolts Manager. Mit einer von ihnen, die anonym bleiben möchte, sprach Journalist Brooks. Sie sagte: “Es ist so traurig. Ich habe mir viele Dinge versagt, habe viele Opfer gebracht, um etwas zur Seite zu legen. Ich habe es gespart, um später darauf zugreifen zu können. Aber dann hat es mir jemand gestohlen.”
Wer genau dahinter steckt, ist derzeit noch unklar. Das Gesamtvolumen des Betrugs wird auf 20 Millionen US-Dollar geschätzt. Die Firma SSL veröffentlichte im Februar ein Statement, in dem sie eine frühere Angestellte mit dem Betrug beschuldigte. Das habe sie im Januar diesen Jahres  im Rahmen einer internen Ermittlung gestanden. Darin gab die Frau offenbar auch zu, sogar Kontakt zu Bolts Managment aufgenommen zu haben, um ihn um Geld zu bitten, um andere Klienten auszahlen zu können. Dieser Besuch erst machte Bolt offenbar auf Unregelmäßigkeiten im eigenen Depot aufmerksam.

Versuch der kurzfristigen Firmenschließung

SSL behauptete in dem Statement auch, der Betrug sei dadurch begünstigt worden, dass die geschädigten Kunden nicht das Onlinesystem der Firma benutzten. Damit hatten sie keinen direkten Einblick in ihre Konten und waren auf Angaben der Kundenbetreuer angewiesen, suggerierte SSL.
Allerdings  erscheint die Anlagefirma selbst auch in keinem guten Licht. Zumindest die Auszahlungen, die im Zeitraum von August 2021 bis Februar 2022 von Bolts Konto vorgenommen wurden, wurden nicht von einer zweiten Person gegengezeichnet, wie es eigentlich Vorschrift ist. Die SSL-Chefs versuchten zudem, kurz nach Bekanntwerden des Skandals, die Firma zu schließen. Das erweckte den Verdacht, dass sie sich so Forderungen geschädigter Klienten entziehen wollten.  
Die Affäre schlägt mittlerweile so hohe Wellen, dass auch Jamaikas Finanzminister Nigel Clarke eingreift. Er verspricht: „Ich versichere allen Bürgern Jamaikas, dass die ermittelnden Institutionen operative Unabhängigkeit haben, jeder Spur zu folgen, wo immer sie hinführt. Es wird volle Transparenz geben. Jeder Stein wird umgedreht, um herauszufinden, wie die Investitionen gestohlen wurden, wer davon profitierte und wer es organisierte und sich daran beteiligte.“

Hoffnung auf Finanzermittler

Usain Bolt und den weiteren Opfern bleibt derzeit kaum eine andere Wahl, als auf effiziente Ermittlungen zu hoffen. Bolts Anwalt Linton P. Gordon sagt: „Ich denke, die Sache sollte außerhalb der öffentlichen Debatte bleiben. Jetzt haben wir Vertrauen zu den Finanzermittlern. Man sollte ihnen die nötige Zeit geben, es handelt sich um eine sensible Angelegenheit.“
Inzwischen hat sich jamaikanischen Medien zufolge auch das FBI, also die US-amerikanische Bundespolizei, in die Ermittlungen eingeschaltet. Die Affäre könnte noch größere Dimensionen annehmen. Denn Zweifel an der Lauterkeit der Investmentfirma SSL gab es bereits seit 2017. Eine Zeitlang stand die Firma bereits unter Aufsicht der Financial Security Commission des Ministeriums. Unsere Anfragen zu damaligen wie aktuellen Erkenntnissen wurden bis Redaktionsschluss nicht detailliert beantwortet.
Seinen Fans versicherte Usain Bolt, dass ihn der finanzielle Verlust zwar schmerze, er aber nicht ruiniert sei. Für den Finanzplatz Jamaika dagegen ist der Imageschaden viel größer. Denn die Affäre zeigt, dass nicht einmal das Geld von Jamaikas schnellstem – und nach Bob Marley zweitgrößtem – Sohn in der Heimat sicher ist.