Es ist der 19. April 1995, neun Uhr, zwei Minuten und 13 Sekunden, als eine ohrenbetäubende Detonation die morgendliche Stille im Zentrum von Oklahoma City zerfetzt. Ein zur Bombe umfunktionierter, gelber Lieferwagen war explodiert, hatte ein Drittel eines neunstöckigen Hochhauses, in dem vor allem Zweigstellen von Verwaltungsbehörden der Washingtoner Zentralregierung, aber auch ein Kindergarten untergebracht waren, zerstört. Fette, schwarze Rauchschwaden durchziehen die Innenstadt. Schutt quillt, wie die Füllung einer aufgeschlitzten Matratze, aus dem klaffenden Loch auf der Vorderseite des Gebäudes. 168 Menschen sterben, darunter 19 Kinder.
Das Fernsehen berichtet rund um die Uhr. "Terror in Heartland", titeln die Zeitungen. Schnell wird vermutet, dass nur Islamisten hinter dem feigen Anschlag auf die 500.000 Einwohner zählende Stadt mitten im Herzen des stockkonservativen, vom evangelikalen Protestantismus geprägten Bible Beltstecken können. Wer sonst sollte so etwas wagen in einer bibelfesten Gegend, wo früher der Wilde Westen anfing und die harten Cowboys immer noch das Sagen haben? Bill Clinton sagt, man werde alles tun, um die Täter schnell zur Strecke zu bringen.
Starke Vorbehalte gegen Washington
Schon anderthalb Stunden nach der Tat wird Timothy McVeigh in der Kleinstadt Perry - sechzig Meilen vom Tatort entfernt - verhaftet, weil sein Wagen kein Nummernschild und er eine nicht registrierte Pistole trägt. Wie sich herausstellt, hat er die Tat mit mindestens zwei Komplizen geplant und den "Bombenlaster" unter falschem Namen gemietet. McVeigh, damals 26 Jahre alt, hat als Soldat im zweiten Golfkrieg gekämpft. Wie viele Veteranen zuvor findet auch der Computerspezialist McVeigh, traumatisiert von den Kriegseindrücken, nach seiner Rückkehr in die USA nicht mehr in ein bürgerliches Leben zurück.
"Hier ging es um eine tiefergehende Abrechnung mit der Zentralregierung, die verhasster Sündenbock wurde, weil sie Steuern kassiert und Waffen- und Jagdgesetze einführt."
Analysierte Dirk Schümer in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Wie viele Amerikaner, die großen Wert auf individuelle Freiheit legen, hatte auch Timothy McVeigh - Sohn irisch-katholischer Einwanderer - starke Vorbehalte gegen Washington. Doch bei ihm sitzt die Abneigung tiefer. Es ist Hass. Als Mitglied des Ku-Klux-Klan unterhielt er enge Verbindungen zu rechtsextremen Milizen, von denen es in den USA über 400 mit insgesamt rund 20.000 Mitgliedern gibt. Die Soldaten dieser verborgenen Armee eint eine zum Teil paranoide Furcht vor der Zentralregierung. Exakt zwei Jahre vor dem Anschlag in Oklahoma hatte das FBI das Hauptquartier der Davidianersekte im texanischen Waco gestürmt. 82 Menschen kamen ums Leben. Dirk Schümer:
Racheakt für FBI-Aktion in Waco
"Diese 'paranoid army' war nicht in der Lage, den Angriff der Bundesbehörden auf die schwerbewaffneten Davidianer anders zu deuten denn als Verschwörung der Bundesregierung gegen autarke Bürger mit unorthodoxer Religionsausübung - von ebensolchen Dissidenten waren die Vereinigten Staaten einst gegen den europäischen Absolutismus aufgebaut worden."
Vor Gericht nannte Timothy McVeigh seine Tat einen Racheakt für die FBI-Aktion in Waco. Die 19 Kinder, die der Autobombe in Oklahoma zum Opfer fielen, bezeichnete er als "Kollateralschaden". Im Juni 1997 wurde er von einem Bundesgericht in Denver zum Tode verurteilt.
Am 11. Juni 2001 wird Timothy McVeigh, der Attentäter von Oklahoma, im Gefängnis der Kleinstadt Terre Haute in Indiana durch eine Giftspritze getötet. Rund 300 Angehörige und Überlebende sahen sich die gefängnisinterne Videoübertragung der Exekution an; in der Hoffnung, sechs Jahre nach der schrecklichen Tat, die ihr Leben so brutal verändert hatte, endlich inneren Frieden zu finden.
Der Journalist Dan Herbeck interviewte Timothy McVeigh vor seiner Hinrichtung ausführlich. Aus den stundenlangen Gesprächen schrieb er den Bestseller "American Terrorist". Herbeck sagte damals, McVeigh gefalle es, als erster Häftling, der nach der Wiedereinführung der Todesstrafe vor 38 Jahren auf Bundesebene hingerichtet wurde, einen Platz in den Geschichtsbüchern zu bekommen.