Rüdiger Achenbach: Bonifatius gewinnt ja dann die volle Unterstützung von Karlmann, dem neuen Herrscher in Austrien, also dem Ost-Frankenreich, und macht Bonifatius sozusagen zu seinem kirchlichen Berater. 742 kommt es dann im Herrschaftsgebiet Karlmanns zu einer bedeutenden Kirchenversammlung, die als Concilium Germanicum in die Geschichte eingegangen ist.
Lutz von Padberg: Das war in der Tat ein ganz wichtiger Meilenstein in der Entwicklung der fränkischen Kirche. Er hatte ja Jahrzehnte, ja fast Jahrhunderte lang keine Synoden mehr gegeben. Synoden sind eine Plattform, auf der man auch über Organisation der Kirche, ihre Ordnung und über Kontrollmaßnahmen berät. Und es war immer die Absicht des Bonifatius eine solche Synodalveranstaltung, die er aus England kannte, auch auf den Kontinent zu übertragen. Das klappte jetzt durch die Mitarbeit Karlmanns, der dabei so eine Mischung von geistlichen und politischen Interessen hatte. So ist für das Jahr 742 an einem uns unbekannten Ort die Synode zusammengerufen worden. Sie findet in der historischen Forschung große Beachtung, aber man muss sich dabei vorstellen, dass nur ganz wenige Bischöfe zugegen waren. Es war also – man könnte es so sagen – die Truppe des Bonifatius, die das zugegen war. Aber die Beschlüsse, die waren wichtig und wegweisend. Man hat vor allem festgelegt, dass Kirchengut, das sich manche Bischöfe unrechtmäßig angeeignet hatten, zurückgegeben werde solle. Das würde deren Machtbasis schmälern. Und man hat geplant, ein sogenanntes Metropolitansystem zu errichten. Das kannte Bonifatius auch aus England. Das heißt, dass mehrere Diözesen mit Bischöfen zusammengefasst werden zu einem Erzbistum. Natürlich war daran gedacht, dass für das Ostfränkische Reich dann Bonifatius dieser Metropolit sein sollte. Das ist nie gelungen. Erst Karl der Große hat so etwas durchsetzen können. Und dann gibt es noch die Beschlüsse zur Einheit der Kirche, Einheit des Glaubens, Aufsicht über Bischöfe. Kurzum, es war ein wichtiger Beschluss, der dort gefasst wurde, aber es waren erst einmal fromme Wünsche, die mussten umgesetzt werden. Und das steht auf einem anderen Blatt.
Achenbach: Also, sozusagen auch eine Kampfansage an alle die Bischöfe, die die Reform ablehnten.
Von Padberg: Ganz genau. Das war dann auch so die Spannung zwischen den rechtsrheinischen Bistümern und den Bistümern, die Bonifatius jetzt neu errichtete. Er hatte ja jetzt den Auftrag vom Papst dazu. Er hat in Würzburg, in Büraburg, in Erfurt – das hielt sich nicht lange, ist dann nach Eichstädt verlegt worden – Bistümer gegründet und hat natürlich seine Vertrauten eingesetzt. Das waren in der Regel Landleute, also Engländer, die er auf den Kontinent gerufen hatte und die seiner Politik folgten. Wenn man aber jetzt neue Bistümer gründet, dann wird aus den alten ein Gebiet herausgelöst – das heißt, sie werden verkleinert. Und schon wieder gibt es neue Konflikte und Auseinandersetzungen. Das alles konnte er nur bestehen, wenn er die Unterstützung Karlmanns hatte.
Rücktritt Karlmanns war ein Schock für Bonifatius
Achenbach: Im Jahr 747 tritt Karlmann, der Herrscher im Ostfrankenreich zurück, um künftig als Mönch in Italien zu leben. Für Bonifatius muss diese Abdankung Karlmanns ein Schock gewesen sein.
Von Padberg: Das kann man wohl sagen. Es ist eine ganz große Frage, warum Karlmann überhaupt zurückgetreten ist. Das beschäftigt die historische Forschung bis heute. Es gibt ein breites Spektrum von Spekulationsmöglichkeiten. Es gab vorher eine bestimmte kriegerische Auseinandersetzung, in der wohl viel Blut geflossen ist, und es könnte sein, dass Bonifatius ihm so ins Gewissen geredet hat, dass das ein christlicher König nicht tun dürfe, dass er sich zurückgezogen hat, um Buße zu tun. Das hört sich sehr schön kirchlich an, aber wahrscheinlicher sind politische Auseinandersetzungen mit Pippin, der wohl dafür gesorgt hat, dass sein Bruder abtritt und im Kloster verschwindet, weil er selbst die alleinige Herrschaft im Frankenreich haben wollte.
Achenbach: Obwohl Karlmann eigentlich seinen Sohn Drogo dafür vorgesehen hatte – als Nachfolger.
Von Padberg: Das kommt als Problem noch hinzu. Aber Pippin war ein Machtmensch und hat kaltblütig auch Drogo an die Seite gedrückt - und hatte dann die Alleinherrschaft seit 747 im Frankenreich. Das war schließlich ein Vielvölkerstaat, so würde man heute sagen, also eine ungeheure Machtfülle. Aber – das muss man gleich dazu bemerken – in dieser Position war er weiterhin auf das Wohlwollen der Machtelite des Heeres, des Adels und auch mancher Bischöfe angewiesen.
Achenbach: Und Pippin scheint Bonifatius längst abgeschrieben zu haben oder zumindest war dieses Verhältnis nicht so intensiv wie das Verhältnis Bonifatius-Karlmann.
Von Padberg: Ja, sagen wir mal, das Verhältnis war etwas gestört. Es wurde auch weniger intensiv. Es ging eher darum, dass Pippin bestimmte politische Ziele verfolgte. Da hat er ganz nüchtern überlegt, wie er die durchsetzen könne. Auf der anderen Seite stand Bonifatius, der mit seinem Reformanspruch ständig drängelte, unbequem war, forderte und offensichtlich im Alter auf so ein bisschen seine diplomatischen Fähigkeiten verloren hatte und manchmal geradezu ärgerliche Reaktionen bei anderen, die er eigentlich überzeugen wollte, hervorgerufen hat. Aber deshalb ist Pippin so ein bisschen auf Abstand gegangen, hat immer kalkuliert, ich brauche eine Reform der Kirche, aber nur insoweit, wie sie meinen eigenen Zielen dient. Dadurch ist es zu so einer gewissen Entfremdung zwischen den beiden gekommen.
Pippin will König der Franken werden
Achenbach: Pippin suchte also sozusagen den Ausgleich auch im Adel zwischen den Reformgegnern und den Reformbefürwortern, denn er musste ja alle Parteien hinter sich haben - und zwar deshalb, weil er ein ganz besonderes Ziel anstrebte, nämlich selbst König der Franken zu werden.
Von Padberg:. Genau. Das war letztlich die Planung eines Staatsstreiches. Seit langer Zeit herrschten die Merowinger. Sie waren allerdings vollkommen ohne Macht. Aber ein Königsgeschlecht abzulösen, mit dem sich auf bestimmte sakrale Vorstellungen, eine Art Gottesgnadentum, verband...
Achenbach: In dem Fall noch besonders die Geblütsheiligkeit der Merowinger.
Von Padberg: Genau. Geblütsheiligkeit ist auch so ei n Begriff, mit dem man das umschreiben könnte. Oder wir sagen heute lieber so etwas wie ein sakrales Element von Königsherrschaft. Das kann man nicht einfach abschalten. Dazu braucht man eine bestimmte Legitimation. Woher diese nehmen? Da bot sich nun das Papsttum als Bündnispartner an. Wir müssen uns noch mal vergegenwärtigen – das Papsttum hatte keine allzu große politische Macht. Es unterstand dem Ost-römischen Reich und hatte eigentlich relativ wenig Kontakt in das Gebiet jenseits der Alpen. Die Franken lebten ja auch erst einmal weithin für sich. Jetzt kommt es durch diese Planung des Staatsstreiches zu einer geradezu Umkehr der Verhältnisse in Europa. Das Frankenreich wendet sich nach Rom. Warum? Um seine fehlende Legitimation, also für die Karolinger ihre fehlende Legitimation, zu bekommen, in dem sie sich vom Stellvertreter Christi auf Erden, vom Papst, salben lassen und damit diese sakrale Funktion oder - wenn sie so wollen – dieses Geblütsrecht auch übertragen zu bekommen. Auf der anderen Seite nimmt der Papst dadurch natürlich auch als Gegenleistung den Schutz der Franken an, denn er hatte Probleme durch die Langobarden, die ihn bedrängten. So war das Ganze ein Bündnis auf gegenseitige Hilfe, so könnte man es nennen, vorbereitet 751 durch die Wahl Pippins zum König durch die Franken. Er hatte offensichtlich die Adelselite auf seine Seite gebracht. Dann verstärkt 754 dadurch, dass zum ersten Mal in der Geschichte überhaupt ein Papst, Stephan II. über die Alpen kam und Pippin zum König gesalbt hat, seine Söhne gleich mit. Dadurch war das Geschlecht der Karolinger für die nächste Generation installiert.
Achenbach: An dieser Königssalbung im Frankenreich ist aber der päpstliche Legat Bonifatius scheinbar überhaupt nicht beteiligt.
Von Padberg: Das ist umstritten in der historischen Forschung. Es gibt die einen, die sagen, er hat die Salbung vorgenommen. Es gibt auch eine Quelle dafür. Andere sagen, er hat sie nicht vorgenommen, er ist nicht persönlich anwesend gewesen, weil es in vielen wichtigen Quellen nicht erwähnt wird. Letztlich müssen wir diese Frage wohl offen lassen. Ich bin der Meinung, dass er in der Tat nicht dabei gewesen ist. Einerseits weil er kirchenpolitisch ins Abseits geraten war zu dieser Zeit. Andererseits vielleicht auch – aber das ist nur eine Spekulation von mir, weil er von solchen Staatsaktionen nicht allzu begeistert gewesen ist. Ob er etwas gegen diesen Machtwechsel hatte, das ist schwer zu sagen.