Der Bonner Norden, die Autos stauen sich auf der Willy-Brandt-Allee. Wer hier, kurz hinter dem Haus der Geschichte und vor der Bundeskunsthalle rechts abbiegt, landet in der Walter-Flex-Straße. Bisher zumindest. Doch eigentlich heißen die beiden Fahrbahnen, durch einen Fußgängerweg in der Mitte getrennt, seit Anfang des Monats anders, nämlich Genscher-Allee.
"Diesen Ratsbeschluss insofern davon erfahren, dass es am nächsten Tag mir jemand erzählt hat: Der Rat der Stadt Bonn hat beschlossen. Das muss wohl am 7. März gewesen sein. Und dann kam auch kurz danach jetzt schon der Brief, dass der Rat beschlossen hat, ab 1.4. ... "
Wolfgang Fischenich steht in seiner Steuerberatungskanzlei. Hausnummer 2, in der ehemaligen Walter-Flex-Straße. Seit zwölf Jahren betreut er von hier aus seine Kunden. Die blitzartige Umbenennung vor seiner Kanzlei-Tür sieht er mit gemischten Gefühlen:
"Ich kann es in gewisser Weise verstehen, weil wir hier auf dieser Kreuzung sind und wir haben da vorne die Friedrich-Ebert-Allee, da die Willy-Brandt-Allee, gegenüber die Heuss-Allee. Und das ist nun mal eine Allee, das bietet sich sicher an. Wenngleich das etwas mühsam ist. Die Kosten halten sich sicher im Rahmen für neue Visitenkarten, aber da haben wir natürlich über Jahre hinaus ein bisschen Mühe, in dem wir auf diese Umbenennung hinweisen müssen."
"Allee ist besser als Straße"
Letztendlich sei er erst einmal froh, dass es nicht die Hans-Dietrich-Genscher-Allee geworden ist – wegen der Bindestriche. Und trotz großer Verdienste des ehemaligen Innen- und langjährigen Außenministers, bleibt Fischenich skeptisch:
"Ich denke sogar, das wird genauso dazu führen, dass Leute irgendwann fragen werden, wer war das denn? Heute fragen sie, wer ist denn Walter Flex gewesen? Da wissen ganz wenige, dass das eben ein Schriftsteller war, der nur 30 Jahre alt geworden ist, obwohl es in jeder Stadt fast eine Walter-Flex-Straße gibt. Also, Genscher? Hier kennt man ihn sicher, aber es dauert nicht mehr lange, dann wird man ihn außerhalb Bonns vielleicht auch nicht mehr so gut kennen."
"Allee ist besser als Straße. Für mich als Unternehmer ist es interessant, dass der Kunde immer fragt: Was denn? Flex mit ch oder x oder Bindestrich? Es gibt Diskussionen am Telefon. Bei Genscher-Allee hat es sich ausdiskutiert. Wer kennt nicht Genscher, wer kennt nicht Allee? Es ist für mich eine Verbesserung, zumal es mein erster Patient 1980 war – noch im alten Bonn-Center."
Kosten der Umbenennungsmaßnahme vermutlich begrenzt
Der Hautarzt Michael Schnickes ist mit seiner Praxis gerade erst in die künftige Genscher-Allee gezogen. Er steht zwei Stockwerke unter Steuerberater Fischenich und freut sich, wenn bald die Schilder ausgetauscht werden – trotz der Kosten, die er auch persönlich hat:
"Jetzt habe ich für 7000 neue Bögen und Internet und Auftritte und Telefonbücher bestellt, jetzt kann ich das noch mal machen. Gestern Anruf bei der Stadt: Ja, Herr Doktor, es ist höhere Gewalt, das müssen sie leider alles selber tragen."
Da nur zwei Geschäftshäuser in der Genscher-Allee stehen, dürften auch die Kosten der Umbenennungsmaßnahmen begrenzt sein. Doch: Geht es nach der FDP in Bonn, ist die Genscher-Allee nur der Anfang:
"Aufgrund dieser besonderen Situation mit den mehreren Verstorbenen innerhalb dieses kurzen Zeitraumes war die Situation natürlich noch dringlicher."
Auch weitere Straßen sollen umbenannt werden
Erklärt Achim Haffner, FDP-Fraktionsgeschäftsführer in Bonn. Neben Genscher verstarben im vergangen Jahr noch der ehemalige Bundesaußenminister Guido Westerwelle, der aus Bonn stammte, Ex-Bundespräsident Walter Scheel sowie Hildegard Hamm-Brücher, die Grande Dame der Liberalen.
Ursprünglich durch Westerwelles Tod auf die Idee gekommen, war schnell klar, dass die örtliche FDP sich für alle vier einsetzen würde. Und neben der bereits getroffenen Entscheidung im Fall Genscher liegen nun auch die anderen drei Anträge vor:
"Die Resonanz in der Bevölkerung, soweit wir Rückläufe von den Bürgerinnen und Bürgern bekommen haben, waren durchweg positiv. Und auch im Rat war es ja eine breite Mehrheit, die diesen Beschluss gefasst hat. Also, da gab es parteiübergreifend Anerkennung für das politische Wirken dieser vier liberalen Persönlichkeiten."
"Es ist keinem gedient, wenn eine Sackgasse so benannt wird"
Eine Umfrage des örtlichen General-Anzeigers mit über 2.000 Beteiligten brachte eine Zustimmung von 92 Prozent für eine Guido-Westerwelle-Straße – und auch prominente Altliberale meldeten sich zu Wort:
"Das Andenken gewahrt wird, gepflegt wird und alle Genannten haben es verdient", sagt beispielsweise Klaus Kinkel, einst Genschers rechte Hand. Bonn als einstige Hauptstadt sei prädestiniert:
"Hier hat Genscher beispielsweise fünf Jahre im Innenministerium und volle 18 Jahre im Auswärtigen Amt gewirkt, Frau Hamm-Brücher auch. Bei Westerwelle ist es so, dass es natürlich etwas gemischt ist, aber er war ja immerhin hier Abgeordneter und insofern würde es sich also auch treffen."
Die anderen Drei – Scheel, Hamm-Brücher und Westerwelle – sollen, so Achim Haffner von der FDP-Bonn, nun bald folgen:
"Wobei es uns nicht alleine auf die Schnelligkeit ankommt, sondern man muss natürlich auch gucken, dass die Straßen, Plätze, die nach diesen Personen benannt werden passen. Also, ich denke mal, es ist keinem gedient, wenn jetzt an einem neuen Gewerbegebiet irgendeine Sackgasse so benannt wird, sondern es wäre natürlich schon sinnvoll, wenn im ehemaligen Regierungsviertel entsprechend Straßen benannt werden."
Und dafür könne man auch warten.