Bonn in den frühen 1950er-Jahren. Ein Mann in den besten Jahren reist in seine alte Universitätsstadt. 30 Jahre ist er nicht mehr hier gewesen. Vieles hat sich seither verändert, vieles erkennt er aber auch wieder. Was dem Mann immer noch vertraut ist, sind die Kastanien, die noch wie damals im Wind hin- und herrauschen.
Um den Zustand der Stadt nach den Kriegswehen in Augenschein zu nehmen, setzt sich der Reisende in eine schwarze Limousine und lässt sich von einer charmanten, gut erzogenen und huttragenden Dame durch die Stadt chauffieren. Die Münsterkirche steht noch, sagt diese, aber der Bahnhof ist neu. Größer und moderner. Vieles ist in Bonn unmittelbar nach Kriegsende zerstört.
Mehr als 60 Jahre später spazieren auch wir durch Bonn und unternehmen eine architektonische Zeitreise in die Nachkriegszeit. Mehr als 50 kulturinteressierte Bürgerinnen und Bürger sind der Einladung der Bonner Werkstatt Baukultur gefolgt. Eine noch junge studentische Initiative, die es sich zum Ziel gesetzt hat, auf das bauliche kulturelle Erbe der Stadt aufmerksam zu machen. Dabei liegen der Werkstatt die 50er-, 60er- und 70er-Jahre besonders am Herzen.
Wohl deshalb, weil die Bauten aus dieser Zeit bei den meisten Menschen bis auf den heutigen Tag auf nur wenig Begeisterung stoßen, wecken sie – zumindest bei den Älteren – doch Erinnerungen an eine harte Zeit des Wiederaufbaus. Jegliche Formen von Glanz, Macht und Pomp waren plötzlich verpönt. In der neuen Hauptstadt wurde das Diktum einer neuen architektonischen Bescheidenheit kreiert. Nichts sollte an die protzigen und zu politischen Zwecken missbrauchten Regierungsbauten der Hitler-Zeit erinnern. Keine mondäne Säule, kein Siegerkranz, keine tempelartigen Hallen.
"Wenn man sich überlegt, aus welchem Geist heraus das passiert ist, muss man sich klar machen, dass gerade in der Zeit des Nationalsozialismus ein sehr eingeschränkter Kulturbegriff vorgeherrscht hat. Das war sehr klar, was ist Kultur, was ist deutsch, was ist nicht entartet."
Sagt Martin Bredenbeck, der gemeinsam mit einer Kollegin ein Buch über die Bonner Beethovenhalle geschrieben hat und uns an diesem Vormittag im Namen der Werkstatt Baukultur durch das Konzerthaus begleitet.
"Die Gesellschaft scheint spätestens ab den frühen 50ern ein ungeheures Bedürfnis nach einer freien Kultur gehabt zu haben. Überlegen Sie allein, wie großzügig das hier geplant ist. Sie werden nicht zentral-pompös auf ein Konzertgebäude zugeführt, sondern Sie spazieren hier eigentlich so hin und landen am Ende bei der Beethovenhalle. Das ist ein so ganz anderes Kulturverständnis als noch im 19. Jahrhundert: Großer Bau, Mitteleingang, Kuppel. Und Sie laufen zentral darauf zu. Und es sollte möglichst herrschaftlich aussehen. Heute sind natürlich besonders die Außenanlagen ein wenig in die Jahre gekommen."
Ästhetische Vorlieben der 50er-Jahre
Während Martin Bredenbeck mit uns in die ästhetischen Vorlieben der 50er-Jahre verreist, wandert der Blick über den Vorplatz der Halle: Eine in die Jahre gekommene Grünfläche, unterbrochen von Platten aus Waschbeton. Hatte die eigene Großmutter einst nicht auch solche Gehwege in ihrem Garten. Und war das fröhliche Gelb, Grün und Rot dieser Steine nicht auch hier im Laufe der Jahre zu einem schäbigen Grau verwaschen? Dazwischen Bassins aus Beton, aus denen schon lange kein fröhlich-frisches Wasser mehr sprudelt. Angesetzte Patina, um die sich die Stadt Bonn in den vergangenen Jahren nicht gekümmert hat. Jetzt will man die architektonischen Details wieder auffrischen und mit neuer Farbe beleben. Den Haupteingang der Halle muss man beinahe suchen, so unspektakulär erscheinen uns heute architektonische Formensprache und Materialien.
"Wir sind jetzt in den Raum gekommen, in den Sie als Besucherin/Besucher zuerst reinkommen würden. Sie merken, wie das hier reinführt ohne weitere Schwellen. Und sogar die Pflasterung von außen in diesem Diagonalverband geht nach innen weiter. Kultur ist nichts Herrschaftliches, sondern Kultur ist etwas, wo Sie so ganz nonchalant reinspazieren und sich daran erbauen sollen. Dann kommen Sie in diesen Raum, der von seinem Material her diesen Backstein zeigt, Materialkennzeichen immer für Eingangsbereiche oder sagen wir mal für in der Hierarchie weniger wichtige Teile des Gebäudes. Die Wandscheiben laufen schräg aufeinander zu, und auch die Decke ist angeschrägt. Und schon kommt Bewegung in dieses Gebäude und in diesen Raum hinein."
Auch die Möblierung im Entrée-Bereich ist spartanisch. Es gibt nur eine Wandbank, ursprünglich war auch noch eine Telefonmuschel vorhanden, die man heute leider nicht mehr braucht. Außerdem zwei Kunstwerke aus Glas: Einmal löst sich die Wand scheinbar in Streifen auf, einmal bereitet ein großformatiges Glasfenster das bevorstehende musikalische Erlebnis vor. Eine abstrahierte Darstellung der Beethovenhalle vom Architekten des Gebäudes Siegfried Wolske. Ein Schüler Hans Scharouns, dessen Ästhetik den Berufsanfänger deutlich geprägt hat.
Und schon spazieren wir weiter und werden wie von selbst zum Garderobengang geführt. Die Stimmung des Raumes wird lichter, die Gebäudestützen werden filigraner und blau. Im darauf folgenden Foyer weicht die Farbe schließlich dem edleren Schimmer von Marmor.
"Wir kommen von diesem sehr hellen Garderobengang jetzt wieder in einen Bereich, der sehr dunkel ist, weil er von den Seiten nicht beleuchtet ist. Die Hierarchie der Materialien geht weiter, ab hier haben wir es jetzt mit Holzparkett zu tun, wobei das Parkett, das Sie heute sehen, nicht mehr das originale ist. Vielfach unbeachtet ist der Grundstein der Beethovenhalle, den haben Sie vor der nachträglich eingebauten Pausenbar: 6. März 1956. Und eine Melodielinie aus Beethovens Ode an die Freude. Und in der Urne, die darunter ist, befindet sich auch ein bisschen Erde vom Grab Beethovens aus Wien. Also sozusagen der symbolische Bezug, dass Bonn und Wien sich natürlich Beethoven teilen."
Heute befindet sich Beethovens Asche unmittelbar neben einer geschmacklosen postmodernen Pausenbar. Ein typisches Kuriosum aus der Nutzungsgeschichte dieses Baus. In den 1990er-Jahren mutete man der Halle allerlei bauliche Änderungen zu: Ganze Deckenabschnitte wurden tiefer gehängt und Originallampen ausgetauscht – ohne Berücksichtigung des Denkmalschutzes.
Berühmt für die gute Akustik
Endlich sind wir im Herzstück der Beethovenhalle angekommen. Es ist mit einem Schalendach überspannt und sorgt für eine markante geschlungene Silhouette des Gebäudes, die von der Rheinpromenade aus gut zu erkennen ist. Die Wand besteht aus seitlich versetzten gefächerten Scheiben, die alle leicht gekrümmt verlaufen. Nichts verläuft im rechten Winkel.
"Die Beethovenhalle ist wirklich bei ihrer Einweihung in ihren ersten Jahren für ihre sehr gute Akustik gerühmt worden. Und zwar eine Akustik, deren Vorteil es war, dass hier möglichst viele Sachen stattfinden konnten. Also es konnten verschiedenste Musikstile hier auf ein sehr gutes Niveau gebracht werden. Es war also kein Raum, der von seiner Akustik her, sagen wir mal, nur für große philharmonische Konzerte oder nur für Kammerorchester oder nur für Jazz oder so was war, sondern hier ging alles sehr gut. Es konnte hier ein Entertainer stehen oder die Wiener Philharmoniker. Beides funktionierte."
Schunkeln, Schuhmessen und Schubert sind für die Beethovenhalle nie ein Widerspruch gewesen. Lange Zeit hat diese Bereitschaft zur Multifunktionalität dem Gebäude den Ruf einer spießigen Architektur in provinzieller Umgebung eingebracht. In der heutigen Zeit aber, in der wieder viel von niedrigschwelligen Kulturangeboten für jedermann die Rede ist, wirkt die Aussage des Baus von Siegfried Wölske wieder aktueller denn je.
Und wer bis jetzt nicht Fan der Beethovenhalle war, der schaue sich ihre Decke an: Ein Waffelmuster überspannt den gesamten Raum. Kugel, aufgebrochene Pyramiden. Eine futuristische imaginäre Landschaft entführt in eine bessere Zukunft, in der die Musik eine besondere Rolle spielt.
Die Führung findet an dieser Stelle ein abruptes Ende. Wie unterschiedliche Kometen treiben die Teilnehmer auseinander und bahnen sich unterschiedliche Wege ins Freie. Wie gut, dass die Stadt dieses kulturelle Erbe nun endlich pflegt.