Für das vergangene Geschäftsjahr ergab sich ein Minus von 1,6 Milliarden Euro. Angesichts dieser Voraussetzungen hält Lies das Verhalten des Konzernvorstandes, nicht auf seine Boni-Ansprüche zu verzichten, sondern lediglich einen Teil zurückstellen zu lassen, für unangebracht.
Den Unmut in der Bevölkerung darüber könne er verstehen, erklärte Lies. Mit Blick auf die immensen Kosten durch den Abgas-Skandal betonte der Minister, er sei dennoch zuversichtlich, dass die Arbeitsplätze bei VW gesichert werden könnten.
Das Interview in voller Länge:
Tobias Armbrüster: Es könnte ein weiterer bitterer Tag werden für VW. In Wolfsburg stellt der Konzern heute am Vormittag ab zehn Uhr seine Bilanz vor. Die wichtigste Zahl, die ist bereits bekannt: VW hat im vergangenen Jahr einen Verlust in Höhe von 1,6 Milliarden Euro eingefahren. Das ist ein Minusrekord für das Unternehmen.
Am Telefon bei uns ist jetzt Olaf Lies von der SPD, Wirtschaftsminister in Niedersachsen und über das VW-Gesetz Mitglied im Aufsichtsrat bei Volkswagen. Schönen guten Morgen, Herr Lies.
Olaf Lies: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Lies, das wird ein bitterer Tag für VW. Auch für Sie als Aufsichtsrat?
Lies: Es sind insgesamt schwierige Monate seit September letzten Jahres. Sie können sich vorstellen, dass eine Vielzahl von Sitzungen inzwischen stattgefunden haben. Ich bin selber Mitglied im Sonderausschuss. Es ist eine schwierige Zeit, aber getragen von der Zuversicht, dass das starke Unternehmen auch diese schwierige Zeit natürlich nicht ohne Kratzer, aber überstehen wird.
Armbrüster: Können Sie denn nach diesen vielen Sitzungen der letzten Monate schon sagen, wie viel Verantwortung auch der Aufsichtsrat für diese Krise trägt?
Lies: Wir haben in den Sitzungen natürlich ein Bild, das, glaube ich, sehr gut beschreibt, wie die Situation entstanden ist, aus der Phase 2005 heraus bis heute. Dieses Bild wird auch insgesamt dargestellt. Ich bitte aber um Verständnis, dass genau diese Frage, wo sind eigentlich die Verantwortlichen, wie ist es eigentlich dazu gekommen, in unserer Vorstellung nur dann präsentiert werden kann, wenn auch die Behörden entsprechende Ermittlungen abgeschlossen haben, um dem nicht vorzugreifen. Aber ich glaube, man kann sagen, wir können ein sehr deutliches, ein sehr klares Bild zeichnen, das auch natürlich entsprechende Konsequenzen nach sich zieht.
"Es läuft sicher nicht alles wie vorher"
Armbrüster: Können Sie denn verstehen, wenn manche Leute es etwas verwunderlich finden, dass jetzt nach immerhin einem halben Jahr außer Martin Winterkorn kein einziges Mitglied aus dem Top-Management persönliche Konsequenzen gezogen hat, dass sozusagen alles bei VW personell immer noch läuft wie vorher?
Lies: Es läuft sicherlich nicht alles wie vorher. Es gibt noch andere Konsequenzen. Wir haben schon erhebliche Veränderungen insgesamt auch in den letzten Monaten gehabt. Trotzdem kann ich eins verstehen: Alle warten darauf, dass jetzt zunächst auch mal endgültig dargestellt wird, wie ist es überhaupt dazu gekommen und wer ist verantwortlich. Und ich glaube, diese Frage muss auch - und da sind wir ganz vorne dabei - zügig beantwortet werden. Nur wir können den Ermittlungen, die an anderen Stellen in Deutschland, aber auch in den USA geführt werden, an der Stelle nicht vorgreifen. Das halten wir für unangemessen. Deswegen müssen wir ein Stück weit noch warten. Ich bin aber, will ich ganz offen sagen, sehr froh, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, sodass man dann auch erklären kann, wie es dazu gekommen ist, und auch erklären kann, welche Folgen und Konsequenzen das hat.
Armbrüster: Warten muss allerdings im VW-Vorstand niemand auf die weiterhin dicken Bonuszahlungen. Die gibt es nach wie vor. Wie erklären Sie das eigentlich einem Arbeiter bei VW im Blaumann?
Lies: Ich glaube, das kann man insgesamt in der Gesellschaft nicht erklären. Ich meine, wir reden über Summen, die die Menschen, die typischen Menschen, die wir in der Gesellschaft haben, die hart arbeiten müssen, ihr Leben lang nicht schaffen werden, in ihrem ganzen Arbeitsleben, so viel Geld zu verdienen. Über die Summen reden wir gerade. Das kann man keinem erklären. In den guten Zeiten gab es gute Gründe und die Lösung, das über Langzeitbilanz zu machen und nicht über Kurzzeit, ist auch völlig richtig. Ich will ganz offen sagen: Ich hätte mir ein klareres, ein deutlicheres Signal des Vorstandes vorstellen können.
Armbrüster: Das heißt, dass da auch jemand auf seine Bonuszahlungen verzichten sollte?
Lies: Das heißt natürlich, wenn ich sage, ein deutlicheres Signal, dass der Vorstand für sich hätte natürlich freiwilliger auch ein deutlicheres Signal geben können.
Prämie für Elektroautos ist eine "absolut kluge" Entscheidung
Armbrüster: Jetzt wird VW auch noch subventioniert mit einer milliardenschweren Prämie für Elektroautos, haben wir gestern erfahren. Ist das wieder Sozialismus für Reiche, in diesem Fall vielleicht Sozialismus für Unternehmen, die es irgendwie nicht geschafft haben?
Lies: Diese Entscheidung, eine Prämie für Elektrofahrzeuge einzuführen, ist eine absolut kluge, die ich schon seit zwei Jahren fordere, völlig losgelöst von der Frage bei Volkswagen, und das trifft natürlich auch nicht nur Volkswagen. Sondern wir brauchen, wenn wir die Mobilität der Zukunft gestalten wollen, zu der eine neue Antriebstechnologie wie die Elektromobilität gehört, zu der Digitalisierung gehört, Anreize, dass ein Markt entsteht. Das war bei der erneuerbaren Energie so. Wir hätten nie den Durchmarsch der erneuerbaren Energien gehabt, wenn wir nicht die Anreizsystematik übers EEG definiert hätten. Und so ist es bei der Elektromobilität auch. Wenn wir das verschlafen, die Technologie, dann verschlafen wir auch die zukünftigen Arbeitsplätze für Deutschland.
Armbrüster: Das heißt aber, Herr Lies, auch ein erfolgreicher Autokonzern wie VW schafft es nicht, diese Kaufanreize selbst zu schaffen, selbst Autos zu produzieren, die Leute kaufen wollen, auch Elektroautos?
Lies: Es ist im Moment schwer, ein Elektroauto zu produzieren und zu einem attraktiven Preis auf den Markt zu bringen. Das ist einfach so. Wir können auch in die USA schauen nach Tesla, ist jetzt auch kein Gewinnunternehmen, aber ein tolles Unternehmen, die Autos dort bauen. Das gelingt noch nicht, wir brauchen eine gemeinsame Strategie.
Armbrüster: Und denen ist es gelungen, mehrere hunderttausend Autos zu verkaufen, ohne dass es überhaupt einen Prototyp gibt. Da gibt es jede Menge Vorbestellungen.
Lies: Ja! Das finde ich ein Signal, das man sehr, sehr ernst nehmen sollte. Diese Fahrzeuge können wir auch in Deutschland bauen, da bin ich ganz zuversichtlich, und ich bin sicher, dass das Signal, es wird einen Markt geben und der Markt bekommt Anreize durch diese Prämie, dazu führen wird, dass in den nächsten Monaten auch attraktive Modelle angekündigt und natürlich auch gebaut werden.
E-Auto-Prämie von Dieselgate losgelöst sehen
Armbrüster: Ich will noch mal auf den öffentlichen Eindruck zurückkommen. Jetzt haben wir diese Krise bei VW, verursacht durch Dieselgate, durch Betrug. Wir haben gleichzeitig den Umstand, auch hier wurde darüber berichtet, wir haben gerade darüber gesprochen, Bonuszahlungen soll es weiter geben. Da wird weiter die Hand aufgehalten. Und jetzt auch noch diese Prämie für Elektroautos. Können Sie das verstehen, dass da in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, irgendwann reicht es doch mal mit dem Handaufhalten?
Lies: Den Unmut der Bevölkerung, den kann ich verstehen. Man muss nur aufpassen, dass man jetzt nicht alles in einen Topf wirft. Das Thema Prämie für Elektrofahrzeuge ist etwas, was völlig losgelöst von der Diskussion bei Volkswagen ist, wie gesagt von mir schon vor zwei Jahren gefordert. Ich halte das für absolut richtig, dass dies in den Markt kommt und jetzt auch möglich wird. Das hat nichts mit Volkswagen zu tun, das hat etwas mit Zukunftstechnologie in unserem Land zu tun, die eine Menge Investitionen nach sich zieht. Die wird sich volkswirtschaftlich bewähren. Und trotzdem haben Sie recht, …
Armbrüster: Moment! Es hat sicher auch mit Volkswagen zu tun. Das ist einer der größten deutschen Autohersteller.
Lies: Ja gut. Wir werden auch kaum einen Hersteller ausnehmen, dass er die Prämie nicht bekommt. Das hat etwas mit attraktiven Angeboten zu tun. Nur diejenigen, die attraktive Modelle auf den Markt bringen, werden den Kunden überzeugen, dieses Fahrzeug zu kaufen, und die Kaufprämie ist ein weiterer Anreiz, ein Fahrzeug zu kaufen, das zumindest weiterhin aber in der Sicht der Kunden noch recht teuer ist und das erst durch eine höhere Marktintegration, durch mehr Produktion im Preis sinken wird. Also ein kluger Weg, aber trotzdem völlig richtig. Wenn man alles zusammenmischt, was man auch gar nicht verhindern kann, wird der Unmut steigen und es wird unsere Aufgabe sein, sehr deutlich zu machen, welche Investitionen das eigentlich in den Unternehmen nach sich zieht und wie die Unternehmen und auch gerade Volkswagen die Zukunftsarbeitsplätze in Deutschland - und das gilt bei mir natürlich auch besonders, 120.000 Arbeitsplätze in Niedersachsen - zukunftsfähig absichern.
Armbrüster: Und wenn wir da jetzt hören, 1,6 Milliarden Verlust im vergangenen Jahr, sind dann bei VW Arbeitsplätze in Gefahr?
Lies: Zunächst mal hoffe ich, dass es uns gelungen ist, mit der Entscheidung, die jetzt getroffen worden ist, und den entsprechenden Rückstellungen die Problematik in den Griff zu bekommen und damit wieder in ein erfolgreiches Jahr 2016, 2017, 2018 folgende zu starten. Das Jahr 2015 war ein erfolgreiches Jahr. Das sind die Rückstellungen, die auch ja notwendig sind, die natürlich dann am Ende diesen Verlust erzeugt haben. Das muss man, glaube ich, auch immer wieder deutlich machen. Wir stehen vor einer nicht einfachen Zeit. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass alle anpacken und dass es uns gelingt - und das ist auch vom Vorstand immer gesagt worden - eben nicht Beschäftigung abzubauen, sondern Beschäftigung zu sichern.
"Ich will, dass keine Arbeitsplätze bei VW abgebaut werden"
Armbrüster: Können Sie das ausschließen, dass Arbeitsplätze abgebaut werden?
Lies: Die Entscheidung trifft natürlich nicht der Aufsichtsrat. Aber mein Interesse ist doch auch als Arbeitsminister, der ich bin, meinen Teil dazu beizutragen, dass das nicht dazu kommt. Das muss die Aufgabe sein. Ich will, dass keine Arbeitsplätze in Niedersachsen, in Deutschland oder insgesamt bei Volkswagen abgebaut werden. Aber dazu brauchen wir auch die Perspektive, dass es uns gelingt, einen Konzern und auch eine angekratzte Marke Volkswagen, die natürlich in der öffentlichen Wahrnehmung gelitten hat, wieder positiv zu positionieren. Wenn wir keine Autos verkaufen, können wir am Ende auch keine Beschäftigung sichern.
Armbrüster: Der Verlust von 1,6 Milliarden Euro, der wird nun für das vergangene Jahr verbucht, also für 2015. Wie ist es denn in diesem Jahr?
Lies: Das Ergebnis dieses Jahres wissen wir natürlich erst im nächsten Jahr. Im Moment - das sieht man auch, glaube ich, an den Verkaufszahlen - ist konzernweit der Verkauf sehr positiv. Man muss sehr vorsichtig und sehr differenziert sagen, dass man sich dabei auch sehr genau die Marke Volkswagen ansehen muss. Ich bleibe zuversichtlich, dass es uns gelingt, viele Autos zu bauen, weil viele Autos bauen heißt natürlich für die Kolleginnen und Kollegen bei Volkswagen die Arbeit zu sichern. Das ist die Kernaufgabe. Insofern blicke ich schon mit einer starken Marke, die eine große Tradition hat, zuversichtlich in die Zukunft. Aber bitte das, was geschehen ist, nicht kleinreden, sondern absolut aufklären und auch an entsprechenden Stellen muss die Verantwortung dafür übernommen werden.
Armbrüster: Herr Lies, vor wenigen Tagen hat sich VW mit den Behörden in den USA in Sachen Dieselgate geeinigt. Geschädigte Kunden haben dort Anspruch auf etwa 4.400 Euro Entschädigung pro Auto. Ist dieser Rechtsstreit in den USA damit abgewendet?
Lies: Wir stehen, glaube ich, jetzt noch vor weiteren Verhandlungen, weil wir ja an mehreren Stellen auch entsprechende Gerichtsverhandlungen haben. Die Verhandlungen mit dem DOG laufen weiter. Ich hoffe, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten eigentlich zu einem Abschluss kommen können. Das wäre natürlich das Ziel, damit man an der Stelle auch Klarheit für die Zukunft hat.
Armbrüster: Und die deutschen VW-Kunden, die solche manipulierten Autos gekauft haben, bekommen die diesen Betrag dann auch?
Lies: Wir haben eine andere rechtliche Situation in den USA. Unsere Aufgabe hier in Deutschland muss es sein, dem Kunden so zügig wie möglich wieder ein entsprechend klares, mit einem neuen Update bespieltes Auto zur Verfügung zu stellen oder die entsprechenden Nachrüstarbeiten vorzunehmen. Das muss sehr zügig geschehen. Da gab es jetzt eine unglückliche Phase auch mit dem Passat, die dazu geführt hat, dass der Eindruck entsteht, es stockt wieder, es wird ein anderes Fahrzeug jetzt vorgezogen.
Armbrüster: Herr Lies, das heißt aber, dass deutsche Kunden hier sozusagen Pech haben, dass sie unter diesem Rechtssystem leben?
Lies: Nein. Deutsche Kunden haben erst mal ein Auto, das, glaube ich, die Kunden bisher immer zufriedengestellt hat, wo es jetzt Veränderungsbedarf gibt, weil es genau diese Software gab. Die wird jetzt rückgebaut. Die Kunden haben ja kein Auto, das nicht sicher ist oder das nicht gut fährt. Im Gegenteil! Deswegen, glaube ich, ist die Aufgabe, den Kunden zufriedenzustellen und damit auch sein Auto in den Zustand zu versetzen, in dem es sein muss.
Armbrüster: Live hier bei uns im Deutschlandfunk an diesem Donnerstagmorgen war das Olaf Lies, der Wirtschaftsminister von Niedersachsen, Mitglied im Aufsichtsrat bei VW, zur bevorstehenden Bilanzpressekonferenz bei Volkswagen ab zehn Uhr in Wolfsburg. Vielen Dank, Herr Lies, für Ihre Zeit heute Morgen.
Lies: Danke, Herr Armbrüster.
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