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Booker Prize für den Iren John Banville

1969 wurde zum ersten Mal der Booker-Preis vergeben. Preisgeld damals 5.000 Pfund, inzwischen gibt es das Zehnfache. Außerdem ist es extrem verkaufsfördernd, den Booker-Preis zu bekommen. Schon wer auf der Longlist oder noch besser auf der Shortlist steht, kann sich über einen erhöhten Absatz freuen. Diesmal sind mit der Shortlist bekannte Autoren wie Ian McEwan, Salman Rushdie oder J.M.Coetzee herausgefallen. Und die Wahl der Juroren fiel schließlich auf den Iren John Banville und seinen Roman "The Sea".

Moderation: Doris Schäfer-Noske |
    Doris Schäfer-Noske: Frage an Denis Scheck: War das denn eine überraschende Entscheidung?

    Denis Scheck: Das muss man sagen, jedenfalls wenn man den englischen und irischen Buchmachern Glauben schenken darf, da wurde John Banville mit 10:1 als krasser Außenseiter gehandelt. Die Buchmacher hatten eher Julian Barnes auf ihrer Rechnung, gefolgt Zadie Smith, die ja auch in Deutschland bekannt wurde durch ihren Roman "Zähne zeigen". Die hat in Großbritannien ein neues Werk "On Beauty", das heiß diskutiert wird. Banville ist natürlich ohnehin einer der Granden im britischen Literaturestablishment, aber ich darf persönlich anfügen, ich finde die Wahl von John Banville literarisch grandios. Das ist ein großer europäischer Autor, der - ich war etwas überrascht von dieser Nachricht - längst schon auch mit seinen vorangegangenen Büchern den Booker-Award verdient hätte.

    Schäfer-Noske: "The Sea" erzählt von einem Mann, dessen Frau an Krebs gestorben ist, und der dann an den Urlaubsort seiner Kindheit an der irischen Küste zurückkehrt. Der Mann ist Kunstgeschichtler. Ist das denn typisch für Banville?

    Scheck: Ja, John Banville sagte mal, nicht das Was eines Romans ist entscheidend, sondern das Wie. Er möchte also gar nicht so sehr Handlungen in den Vordergrund stellen, sondern Zustände. Seiner Meinung nach ist die Beschreibung der conditio humana, also das, was das Menschsein im 20., 21. Jahrhundert ausmacht, das ist die große Aufgabe des Romanciers, und der wird er in seinen 14 Romanen nun wahrlich auch gerecht. John Banville hat begonnen bereits 1970, seine erste Kurzgeschichtensammlung "Long Lankin" veröffentlicht, begonnen im Grunde als Ideenschriftsteller, von daher vielleicht eher in der französischen, vielleicht auch russischen Tradition zu sehen. Er hat ja große Romane über Naturwissenschaftler geschrieben wie Keppler oder Newton, dann allerdings eine Wendung vollführt, wahrscheinlich doch auch beeinflusst vom großen russischen Roman des 19. Jahrhunderts, hin zu einem Thema, das sich bis zu seinen jüngsten Werken wie ein roter Faden durchzieht, nämlich das große Thema "Schuld und Sühne", und diesem Thema gibt der Ire John Banville noch einen eigenartigen Twist, eine Drehung. Für ihn steht der Verrat im Mittelpunkt seiner Werke. Im Grunde erzählt er auch die Geschichte des 20. Jahrhunderts als Geschichte des Verrats. Das sind natürlich die ganz großen Themen in der Ost-West-Spaltung, er hat ja einen Roman geschrieben um einen kommunistischen Spion in Großbritannien, aber es geht auch um Liebesverrat, letzten Endes um Verrat in unseren Beziehungen.

    Schäfer-Noske: Sie haben schon angesprochen, dass er auch über Keppler und Newton geschrieben hat. Welche Rolle spielt denn da die historische Wahrheit für ihn?

    Scheck: Im Grunde keine. Es gilt die autonome Wahrheit des Kunstwerks. Das sind nun nicht Romane, die man als Ersatz für eine Biografie nehmen darf, sondern hier werden - wie in der Kunst generell, wenn sie sich historischen Themen zuwendet -, hier werden leicht ganz aktuelle Fragen, Fragen des 20. und 21. Jahrhunderts verhandelt. Banville sagte einmal sehr anschaulich, irische Romanciers hätten nur eine Alternative, nämlich sie müssten sich entscheiden zwischen James Joyce und Samuel Beckett. James Joyce, der alles in seine Romane hineingepackt hat, und Samuel Beckett, der hat alles aus diesen Romanen hinausgeworfen, hat sie reduziert zum Minimum. Banville - möchte ich jetzt anfügen - entscheidet sich für den dritten Weg. Er packt alles in seine Romane hinein und behauptet dann, es sei nichts drin.

    Schäfer-Noske: Banville hat mal von seinem besonderen Verhältnis zu Deutschland gesprochen. Wie kann man das charakterisieren?

    Scheck: Das liegt daran, dass John Banville ein, ja im Grunde blödes Wort, poeta doctus ist, denn ein gelehrter Dichter, das muss man heute im Grunde immer sein, wenn man sich an Literatur herantraut, der Rest ist Literatur von Idioten für Idioten. Also der Banville ist ein verdammt gelehrter Schriftsteller, der auch Deutsch lesen kann, und er hat Deutsch übersetzt, er hat eine ganze Reihe von Theaterstücken für das irische Abbey Theatre übersetzt, unter anderem "Der zerbrochene Krug" von Heinrich von Kleist. Kleist ist überhaupt für seine Literaturwahrnehmung sehr wichtig, auch Friedrich Nietzsche. Im Grunde ist das natürlich ein nihilistischer Autor. Seine Romane lassen sich als Feier des Nihilismus lesen, insofern stark geprägt von der deutschen philosophischen Tradition, auch von der deutschen Naturtradition. Er müsste in Deutschland auch deshalb ein besonders großes Publikum finden, weil dieses Zentrum des Verrats in seinem Werk natürlich in Eins fällt mit dem Zentrum der deutschen Gegenwartsgeschichte.

    Schäfer-Noske: Er hat aber diese Rezeption bis jetzt noch nicht erfahren in Deutschland.

    Scheck: Na ja, immerhin, als im Literarischen Quartett vor etwa zehn Jahren eines seiner Bücher sehr wohlwollend besprochen wurde, da war er kurze Zeit ein Bestsellerautor. Ich nannte ihn eingangs einen europäischen Erzähler und würde das noch mal gerne unterstreichen wollen. Wir haben ja so eine Literaturwahrnehmung von irischer Literatur, Waschküche, Priester, man geht zu Bett mit dem Vieh, das man in kleinen Katen hält. Da ist Banville eine ganz andere Gestalt, die natürlich ein bisschen etwas von der Verve und auch der Weltläufigkeit der Literatur heute in die irische Literatur mitbringt.