Der Blick aus dem großen Ladenfenster geht auf die grüne Eisenkonstruktion der Berliner U-Bahnlinie 2. Tagsüber kann man die gelben Züge im Minutentakt vorbeifahren sehen. Gleich hier beim U-Bahnhof Eberswalder Straße im Prenzlauer Berg hat vor Kurzem die Buchhandlung Uslar & Rai eröffnet. Es ist der vorläufig jüngste Laden in einer ganzen Reihe von Neugründungen in der Hauptstadt. Die Inhaber sind Novizen. Etwas ungeübt sitzt Edgar Rai noch hinter der Ladenkasse, der groß gewachsene Mann verfasst eigentlich Bücher.
"Für mich ist Romaneschreiben die schönste Tätigkeit, die ich mir vorstellen kann. Und so gern ich das mache, so einsam ist es aber auch. Romaneschreiben ist etwas, wo man den ganzen Tag tausend Entscheidungen treffen muss, die trifft man aber immer nur mit sich selbst. Ich bin schon ein sehr kommunikativer Mensch, und ich habe gern mit anderen zu tun. Insofern ist das hier auf eine andere Art spannend."
Zu verdanken hat der 45-Jährige den Perspektivwechsel der ehemaligen Buchgestalterin Katharina von Uslar. Auf deren Initiative wurde aus einer früheren Table-Dance-Bar ein Buchgeschäft. Reminiszenzen an das erotische Etablissement lassen sich noch im Keller besichtigen.
Ebenerdig ist alles Verwinkelte und Verschmockte einer freien Fläche gewichen. Es gibt reichlich Platz, um sich zwischen den Büchern bequem in dem Laden zu bewegen, der mit dem alten Steinfußboden und den hohen weißen Wänden beabsichtigt ein bisschen improvisiert aussieht. Auch für Katharina von Uslar hat Mitte November ein neues, bislang unbekanntes Leben begonnen.
"Dass wir es nicht gelernt haben, ist eine Sache. Was man voraussetzen muss, ist ein eigenes Bedürfnis, eine eigene Vorstellung von Buchladen. Wir machen es so, wie wir es gerne hätten. Das brauchen wir nicht zu lernen, wir sind Buchhandlungsgänger. Und das andere ist natürlich Begeisterung. In dem Moment, wo man jemanden ein Buch empfiehlt, soll es nicht so klingen wie: Jetzt quatsch’ ich dir etwas auf."
Uslar & Rai eröffnet in keiner Notstandszone. Ähnlich ausgerichtete Buchläden, wie Anakoluth oder Georg Büchner, sind in unmittelbarer Nachbarschaft. Aber Bedenkenträger sehen anders aus als die beiden Neubuchhändler, die schlicht davon ausgehen, dass man eine Buchhandlung nah bei sich braucht - wie etwa einen Zeitungsladen. Aber sind Subjektivität und Leidenschaft ausreichend angesichts eines übermächtigen Konkurrenten wie Amazon und dem nicht mehr nur herbeigeredeten Aufschwung des E-Books?
"Wenn man einen Grund finden will, eine Buchhandlung nicht zu eröffnen, dann findet man sicher eine Menge guter Gründe. Die Frage ist, sollte man sich davon ins Bockshorn jagen lassen. Ich wäre, wenn ich hier im Haus wohnen würde, ganz dankbar für einen Laden wie diesen. Ich fand nicht, dass das ein Entscheidungskriterium sein dürfe, ob wir den Laden eröffnen oder nicht, ob es Amazon gibt oder nicht. Wir haben dieses Projekt sehr euphorisch angegangen. Es trägt uns, es macht Spaß. Wir haben das große Glück, diesen Laden auf die Beine zu stellen, ohne ihn fremdfinanzieren zu müssen. Das reicht mir, um mich vor überhaupt nichts zu fürchten. Jetzt machen wir das Ding einfach mal, dann werden wir ja sehen."
Vom Prenzlauer Berg führt die Kastanienallee geradewegs hinunter nach Mitte zum Weinbergpark. Unweit davon in der Brunnenstraße ist Frithjof Klepp nach langer Suche fündig geworden und hat im Juni seine Buchhandlung Ocelot eröffnet. Es ist wohl die ambitionierteste Neugründung in der Hauptstadt. Das hat mit Erfahrungen zu tun: Klepp, heute 37, hat bei der einstigen Vorzeigebuchhandlung Kiepert gelernt, beim Onlineversand Kohlibri gearbeitet und als Filialleiter bei Zweitausendeins. Er will nicht weniger als die Verbindung von Online- und Offline-Welt.
"E-Book ist sehr wichtig, weil es das Thema ist, was mit Buchhandel, was mit Buch verknüpft wird, wo du einfach als der Fachmann, nämlich als der Buchhändler, Experte sein musst. Egal, was die Konsequenz daraus ist, du musst wissen, was es bedeutet."
Sichtbar wird die "digitale Kompetenz" im Laden weniger als zunächst beabsichtigt. Auf den "Multitouchtisch" etwa hat Klepp verzichtet. An seinem Ziel jedoch hält er fest.
"Im Moment ist es noch nicht so, wie ich es mir mittelfristig oder auch schon kurzfristig vorstelle, dass man nämlich das Thema ‚digital’ mit einem konkreten Kaufvorgang oder Servicevorgang hier noch deutlicher abgebildet sieht."
Seine Kunden können bei ihm über Wlan E-Books herunterladen, aber das tun sie wohl doch eher von zu Hause aus. Zu Ocelot kommen sie einstweilen vor allem wegen der erlesenen Auswahl schöner Bücher, denen Klepp regelrechte Logenplätze auf großzügigen 265 Quadratmetern reserviert hat, oder auch nur, um einen Espresso zu trinken und Zeitung zu lesen. Das Café gleich beim Eingang ist Bestandteil einer Inneneinrichtung, die zum Verweilen einladen soll.
"Ich bin davon überzeugt, dass auch in heutigen Zeiten Menschen mit Menschen zu tun haben wollen. Das heißt ganz klar, ich gehe an einen Ort, wo ich mich wohlfühle, wo ich die Atmosphäre schön finde, ich gehe an einen Ort, wo ich vielleicht auch andere Genüsse befriedigen kann, ich gehe an einen Ort, wo ich Kompetenz erwarte. Was mich, glaube ich, bis an mein Lebensende motivieren wird, ist es, einen Ort zu schaffen, wo interessante Menschen zusammenkommen können, wo etwas passiert, wo sich Sachen treffen."
Neben dem so ungewöhnlichen wie einprägsamen Buchhandlungsnamen über den großen Schaufenstern steht "Not just another bookstore". Es soll nicht überheblich klingen, aber ein Statement ist es trotzdem.
"Natürlich heißt es schon, okay, nicht schon wieder so ein kleiner staubiger Laden. Und das beinhaltet digital und Café und schöne Architektur. Mir wird immer bewusster, dass der Beruf des Buchhändlers sich wahnsinnig ändert, dass man viel mehr im Blick haben muss."
Hat Berlin es besser als der Rest der Republik? Sind die Menschen hier mutiger? Gibt es mehr Leser als anderswo? Fest steht, dass sich keine andere Stadt so nachdrücklich anschickt, den Beweis anzutreten, dass - entgegen dem vordergründigen Trend und vieler Prognosen - womöglich gerade jetzt "die Stunde des unabhängigen Buchhandels schlägt", wie der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Gottfried Honnefelder, unlängst mutmaßte.
Gab es 2011 noch 298 Buchhandlungen in der Hauptstadt, sind es mittlerweile 307. Vom Bücherparadies ist Berlin trotzdem ein Stück entfernt, auch wenn der größte Büchertempel, das Kulturkaufhaus Dussmann, reüssiert. Die Schließung der Hugendubel-Filiale am Tauentzien im Frühjahr 2012, die - so die offizielle Begründung - "vom Zuschnitt nicht mehr den Anforderungen entsprochen" habe, wird durch die selbstbewussten Neugründer bei Weitem nicht kompensiert.
Sechs Geschäfte betreibt Hugendubel derzeit noch in Berlin, angekündigt ist bereits die Schließung der Filiale am Potsdamer Platz. Auch Thalia bleibt dem Abwärtstrend treu: Die Buchhandelskette hat jüngst eine der beiden Tegeler Filialen wegen rückläufiger Umsätze dicht gemacht, zählt aber immerhin noch zwölf Geschäfte in der Hauptstadt.
Mit Büchern allein lassen sich die teuren Großflächen längst nicht mehr lukrativ betreiben, das Angebot an sogenannten Non-Books wird im Gegenzug immer opulenter. Dass jedoch ausgerechnet so den Schwierigkeiten erfolgreich begegnet werden kann, bezweifeln andere.
"Ein guter Buchladen ist zuallererst mal ein Fachgeschäft, kein Sammelsurium, keine Teebeutel, keine Briefmarken."
So einfach ist das. Christiane Fritsch-Weith war 25, als sie das Geschäft am Bayerischen Platz in Schöneberg vor 38 Jahren übernahm. Seit 93 Jahren gibt es den Laden, die junggebliebene, resolute Frau ist die dritte Besitzerin. Einige der einfachen Holzregale sind noch aus den 50er-Jahren. Die Atmosphäre sei wichtig, Ausstattungsdinge eher nicht, glaubt sie und weiß sich einig mit ihren Kunden; vielleicht sind diese jedoch noch ein bisschen konservativer als ihre Buchhändlerin.
"Wenn ich einen Stuhl auswechsle, komme ich schon in Erklärungszwang. Ich habe meinen jungen Leuten, die, die 15 sind, die, die 18 sind, denen habe ich erklären müssen, warum ich mir plötzlich einbilde, eine andere Kasse dahinstellen zu müssen. Ich will damit sagen, Buchhandlungen mit diesem Modell, wie es der Buchladen Bayerischer Platz ist, können nie altmodisch werden. Das gibt es gar nicht. Völlig unmöglich."
Sie hat nicht viele solcher Veränderungen riskiert, die Einrichtung ist so funktional wie schlicht, vielleicht mit Ausnahme eines großen roten Sessels unter einer Leselampe. Auffallen sollen die Bücher. Wer einmal in dem Laden war, kommt zumeist wieder. Zu den Stammkunden zählen nicht wenige Künstler, darunter Schauspieler und Schriftsteller wie Ulrich Nöthen, Monika Maron und Eva Menasse. Doch "die Buchhändlerin", die selbst gern so in der dritten Person von sich spricht, will kein Aufhebens machen ob ihrer prominenten Besucher.
"Das Wichtige sind die Familien, die Mütter und Väter, die ihre Kinder versorgen, die Omas, die lesewütig bis ins hohe Alter bleiben, die große Gruppe der Männer. Ich bin eine bekennende Männerversteherin und finde es grandios interessant, Männer beim Lesen zu beraten und mich in sie einzudenken."
Die Menschen lesen weniger und kaufen vorzugsweise im Internet? Hier am Bayerischen Platz jedenfalls nicht. Aber Fritsch-Weith ist keine Romantikerin. Früh kümmerte sie sich um einen eigenen Internetauftritt, die Seite wird mittlerweile wöchentlich bis zu 5000 Mal aufgerufen. Ihren Kunden erklärt sie, dass man ebenso gut wie bei Amazon über den auf ihrer Seite hinterlegten Buchkatalog fündig werden kann.
"Natürlich ist das Internet eine Bedrohung für den Buchhandel mit Standort. Zumal der Buchhandel, so wie wir ihn machen, viele Kosten beinhaltet. Es gibt natürlich ungeheuer viele Buchhandlungen - große, kleine, dicke, dünne. Ob die wirtschaftlich arbeiten können, das steht auf einem ganz anderen Blatt geschrieben. Ich kann meine Buchhandlung wirtschaftlich führen, trotz Amazon, trotz großer Kettenausweitungen und -zurückschrumpfungen. Ich habe die Dinge kommen und gehen sehen. Das ist nicht wirklich relevant. Ich bin ein Modell, das von mir gesteuert wird. Ich kenne meine Klientel, ich kenne meine Möglichkeiten. Die Schwierigkeit ist eigentlich eine andere: Wie führe ich diesen Buchladen in die nächste Generation. Ich werde versuchen, wieder jemanden zu finden, der jung ist und der diesen unglaublichen Laden übernehmen kann und der damit ein ungeheuer interessantes Arbeitsleben vor sich hat."
"Für mich ist Romaneschreiben die schönste Tätigkeit, die ich mir vorstellen kann. Und so gern ich das mache, so einsam ist es aber auch. Romaneschreiben ist etwas, wo man den ganzen Tag tausend Entscheidungen treffen muss, die trifft man aber immer nur mit sich selbst. Ich bin schon ein sehr kommunikativer Mensch, und ich habe gern mit anderen zu tun. Insofern ist das hier auf eine andere Art spannend."
Zu verdanken hat der 45-Jährige den Perspektivwechsel der ehemaligen Buchgestalterin Katharina von Uslar. Auf deren Initiative wurde aus einer früheren Table-Dance-Bar ein Buchgeschäft. Reminiszenzen an das erotische Etablissement lassen sich noch im Keller besichtigen.
Ebenerdig ist alles Verwinkelte und Verschmockte einer freien Fläche gewichen. Es gibt reichlich Platz, um sich zwischen den Büchern bequem in dem Laden zu bewegen, der mit dem alten Steinfußboden und den hohen weißen Wänden beabsichtigt ein bisschen improvisiert aussieht. Auch für Katharina von Uslar hat Mitte November ein neues, bislang unbekanntes Leben begonnen.
"Dass wir es nicht gelernt haben, ist eine Sache. Was man voraussetzen muss, ist ein eigenes Bedürfnis, eine eigene Vorstellung von Buchladen. Wir machen es so, wie wir es gerne hätten. Das brauchen wir nicht zu lernen, wir sind Buchhandlungsgänger. Und das andere ist natürlich Begeisterung. In dem Moment, wo man jemanden ein Buch empfiehlt, soll es nicht so klingen wie: Jetzt quatsch’ ich dir etwas auf."
Uslar & Rai eröffnet in keiner Notstandszone. Ähnlich ausgerichtete Buchläden, wie Anakoluth oder Georg Büchner, sind in unmittelbarer Nachbarschaft. Aber Bedenkenträger sehen anders aus als die beiden Neubuchhändler, die schlicht davon ausgehen, dass man eine Buchhandlung nah bei sich braucht - wie etwa einen Zeitungsladen. Aber sind Subjektivität und Leidenschaft ausreichend angesichts eines übermächtigen Konkurrenten wie Amazon und dem nicht mehr nur herbeigeredeten Aufschwung des E-Books?
"Wenn man einen Grund finden will, eine Buchhandlung nicht zu eröffnen, dann findet man sicher eine Menge guter Gründe. Die Frage ist, sollte man sich davon ins Bockshorn jagen lassen. Ich wäre, wenn ich hier im Haus wohnen würde, ganz dankbar für einen Laden wie diesen. Ich fand nicht, dass das ein Entscheidungskriterium sein dürfe, ob wir den Laden eröffnen oder nicht, ob es Amazon gibt oder nicht. Wir haben dieses Projekt sehr euphorisch angegangen. Es trägt uns, es macht Spaß. Wir haben das große Glück, diesen Laden auf die Beine zu stellen, ohne ihn fremdfinanzieren zu müssen. Das reicht mir, um mich vor überhaupt nichts zu fürchten. Jetzt machen wir das Ding einfach mal, dann werden wir ja sehen."
Vom Prenzlauer Berg führt die Kastanienallee geradewegs hinunter nach Mitte zum Weinbergpark. Unweit davon in der Brunnenstraße ist Frithjof Klepp nach langer Suche fündig geworden und hat im Juni seine Buchhandlung Ocelot eröffnet. Es ist wohl die ambitionierteste Neugründung in der Hauptstadt. Das hat mit Erfahrungen zu tun: Klepp, heute 37, hat bei der einstigen Vorzeigebuchhandlung Kiepert gelernt, beim Onlineversand Kohlibri gearbeitet und als Filialleiter bei Zweitausendeins. Er will nicht weniger als die Verbindung von Online- und Offline-Welt.
"E-Book ist sehr wichtig, weil es das Thema ist, was mit Buchhandel, was mit Buch verknüpft wird, wo du einfach als der Fachmann, nämlich als der Buchhändler, Experte sein musst. Egal, was die Konsequenz daraus ist, du musst wissen, was es bedeutet."
Sichtbar wird die "digitale Kompetenz" im Laden weniger als zunächst beabsichtigt. Auf den "Multitouchtisch" etwa hat Klepp verzichtet. An seinem Ziel jedoch hält er fest.
"Im Moment ist es noch nicht so, wie ich es mir mittelfristig oder auch schon kurzfristig vorstelle, dass man nämlich das Thema ‚digital’ mit einem konkreten Kaufvorgang oder Servicevorgang hier noch deutlicher abgebildet sieht."
Seine Kunden können bei ihm über Wlan E-Books herunterladen, aber das tun sie wohl doch eher von zu Hause aus. Zu Ocelot kommen sie einstweilen vor allem wegen der erlesenen Auswahl schöner Bücher, denen Klepp regelrechte Logenplätze auf großzügigen 265 Quadratmetern reserviert hat, oder auch nur, um einen Espresso zu trinken und Zeitung zu lesen. Das Café gleich beim Eingang ist Bestandteil einer Inneneinrichtung, die zum Verweilen einladen soll.
"Ich bin davon überzeugt, dass auch in heutigen Zeiten Menschen mit Menschen zu tun haben wollen. Das heißt ganz klar, ich gehe an einen Ort, wo ich mich wohlfühle, wo ich die Atmosphäre schön finde, ich gehe an einen Ort, wo ich vielleicht auch andere Genüsse befriedigen kann, ich gehe an einen Ort, wo ich Kompetenz erwarte. Was mich, glaube ich, bis an mein Lebensende motivieren wird, ist es, einen Ort zu schaffen, wo interessante Menschen zusammenkommen können, wo etwas passiert, wo sich Sachen treffen."
Neben dem so ungewöhnlichen wie einprägsamen Buchhandlungsnamen über den großen Schaufenstern steht "Not just another bookstore". Es soll nicht überheblich klingen, aber ein Statement ist es trotzdem.
"Natürlich heißt es schon, okay, nicht schon wieder so ein kleiner staubiger Laden. Und das beinhaltet digital und Café und schöne Architektur. Mir wird immer bewusster, dass der Beruf des Buchhändlers sich wahnsinnig ändert, dass man viel mehr im Blick haben muss."
Hat Berlin es besser als der Rest der Republik? Sind die Menschen hier mutiger? Gibt es mehr Leser als anderswo? Fest steht, dass sich keine andere Stadt so nachdrücklich anschickt, den Beweis anzutreten, dass - entgegen dem vordergründigen Trend und vieler Prognosen - womöglich gerade jetzt "die Stunde des unabhängigen Buchhandels schlägt", wie der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Gottfried Honnefelder, unlängst mutmaßte.
Gab es 2011 noch 298 Buchhandlungen in der Hauptstadt, sind es mittlerweile 307. Vom Bücherparadies ist Berlin trotzdem ein Stück entfernt, auch wenn der größte Büchertempel, das Kulturkaufhaus Dussmann, reüssiert. Die Schließung der Hugendubel-Filiale am Tauentzien im Frühjahr 2012, die - so die offizielle Begründung - "vom Zuschnitt nicht mehr den Anforderungen entsprochen" habe, wird durch die selbstbewussten Neugründer bei Weitem nicht kompensiert.
Sechs Geschäfte betreibt Hugendubel derzeit noch in Berlin, angekündigt ist bereits die Schließung der Filiale am Potsdamer Platz. Auch Thalia bleibt dem Abwärtstrend treu: Die Buchhandelskette hat jüngst eine der beiden Tegeler Filialen wegen rückläufiger Umsätze dicht gemacht, zählt aber immerhin noch zwölf Geschäfte in der Hauptstadt.
Mit Büchern allein lassen sich die teuren Großflächen längst nicht mehr lukrativ betreiben, das Angebot an sogenannten Non-Books wird im Gegenzug immer opulenter. Dass jedoch ausgerechnet so den Schwierigkeiten erfolgreich begegnet werden kann, bezweifeln andere.
"Ein guter Buchladen ist zuallererst mal ein Fachgeschäft, kein Sammelsurium, keine Teebeutel, keine Briefmarken."
So einfach ist das. Christiane Fritsch-Weith war 25, als sie das Geschäft am Bayerischen Platz in Schöneberg vor 38 Jahren übernahm. Seit 93 Jahren gibt es den Laden, die junggebliebene, resolute Frau ist die dritte Besitzerin. Einige der einfachen Holzregale sind noch aus den 50er-Jahren. Die Atmosphäre sei wichtig, Ausstattungsdinge eher nicht, glaubt sie und weiß sich einig mit ihren Kunden; vielleicht sind diese jedoch noch ein bisschen konservativer als ihre Buchhändlerin.
"Wenn ich einen Stuhl auswechsle, komme ich schon in Erklärungszwang. Ich habe meinen jungen Leuten, die, die 15 sind, die, die 18 sind, denen habe ich erklären müssen, warum ich mir plötzlich einbilde, eine andere Kasse dahinstellen zu müssen. Ich will damit sagen, Buchhandlungen mit diesem Modell, wie es der Buchladen Bayerischer Platz ist, können nie altmodisch werden. Das gibt es gar nicht. Völlig unmöglich."
Sie hat nicht viele solcher Veränderungen riskiert, die Einrichtung ist so funktional wie schlicht, vielleicht mit Ausnahme eines großen roten Sessels unter einer Leselampe. Auffallen sollen die Bücher. Wer einmal in dem Laden war, kommt zumeist wieder. Zu den Stammkunden zählen nicht wenige Künstler, darunter Schauspieler und Schriftsteller wie Ulrich Nöthen, Monika Maron und Eva Menasse. Doch "die Buchhändlerin", die selbst gern so in der dritten Person von sich spricht, will kein Aufhebens machen ob ihrer prominenten Besucher.
"Das Wichtige sind die Familien, die Mütter und Väter, die ihre Kinder versorgen, die Omas, die lesewütig bis ins hohe Alter bleiben, die große Gruppe der Männer. Ich bin eine bekennende Männerversteherin und finde es grandios interessant, Männer beim Lesen zu beraten und mich in sie einzudenken."
Die Menschen lesen weniger und kaufen vorzugsweise im Internet? Hier am Bayerischen Platz jedenfalls nicht. Aber Fritsch-Weith ist keine Romantikerin. Früh kümmerte sie sich um einen eigenen Internetauftritt, die Seite wird mittlerweile wöchentlich bis zu 5000 Mal aufgerufen. Ihren Kunden erklärt sie, dass man ebenso gut wie bei Amazon über den auf ihrer Seite hinterlegten Buchkatalog fündig werden kann.
"Natürlich ist das Internet eine Bedrohung für den Buchhandel mit Standort. Zumal der Buchhandel, so wie wir ihn machen, viele Kosten beinhaltet. Es gibt natürlich ungeheuer viele Buchhandlungen - große, kleine, dicke, dünne. Ob die wirtschaftlich arbeiten können, das steht auf einem ganz anderen Blatt geschrieben. Ich kann meine Buchhandlung wirtschaftlich führen, trotz Amazon, trotz großer Kettenausweitungen und -zurückschrumpfungen. Ich habe die Dinge kommen und gehen sehen. Das ist nicht wirklich relevant. Ich bin ein Modell, das von mir gesteuert wird. Ich kenne meine Klientel, ich kenne meine Möglichkeiten. Die Schwierigkeit ist eigentlich eine andere: Wie führe ich diesen Buchladen in die nächste Generation. Ich werde versuchen, wieder jemanden zu finden, der jung ist und der diesen unglaublichen Laden übernehmen kann und der damit ein ungeheuer interessantes Arbeitsleben vor sich hat."