Fabian Elsäßer: Mindestens 90 Euro kostet es, wenn man nur einen einzigen Tag auf dem nächsten Parookaville-Festival im Juli 2018 tanzen gehen möchte. Für das ganze Wochenende in der Gemeinde Weeze am Niederrhein fallen schnell mehr als 200 Euro an - das ist ganz schön teuer für eine Veranstaltung, bei der man - überspitzt gesagt - DJs dabei zuschaut, wie sie auf einer großen Bühne an Knöpfchen drehen und mit Computertastaturen hantieren. Doch das ist es den Besuchern offenbar wert, in den Vorjahren war Parookaville innerhalb weniger Stunden ausverkauft. Der Vorverkauf für die 2018er-Ausgabe hat soeben begonnen, der Kartenabsatz dürfte wie gewohnt reißend sein. Am Telefon ist jetzt Thomas Vorreyer, beim "Vice"-Magazin zuständig als Redakteur für Clubkultur und elektronische Musik. Hallo!
Thomas Vorreyer: Schönen guten Tag, hallo!
Elsäßer: Herr Vorreyer, 25.000 Besucher hatte das Parookaville beim ersten Mal vor zwei Jahren, jetzt waren es schon 80.000. Das Tomorrowland in Belgien hat noch viel extremere Zuwächse erlebt. Wie erklären Sie sich diesen Zuspruch, diesen Boom für EDM-Festivals?
"Das ist alles sehr konsumfreundlich"
Vorreyer: EDM, diese elektronische Tanzmusik, ist der Pop der Neuzeit. Er läuft in den Charts, auf den YouTube-Kanälen. Und gleichzeitig sind diese Festivals meistens sehr gut organisiert. Die Leute wissen, was sie da bekommen: Sie bekommen so eine Art Traumwelt. Beim Tomorrowland ist das immer als so als märchenhafte Erzählung ausgelegt, beim Parookaville ist es hingegen so eine freiheitliche Stadt, die sich extra für das Festival gründet mit einem eigenen Bürgermeister. Es gibt ganz tolle Visual Effekte und vor allen Dingen gibt es auch nicht so lange Pausen wie bei anderen Festivals, sondern die Musik fließt so von einem DJ zum nächsten. Das ist alles sehr konsumfreundlich.
Elsäßer: Aber beim Sziget in Budapest zum Beispiel, da ballert es doch auch aus allen Himmelsrichtungen. Und auch da gibt es so die Idee eines Staates in der Stadt, mit einem eigenen Pass sogar - man ist dann Einwohner der Republik Sziget für diese drei, vier Tage. Also was unterscheidet denn dann die genannten EDM-Festivals von solchen Festivals?
"Es wird sehr stark auf bereits bekannte Namen gesetzt"
Vorreyer: Ja, im Fall von Parookaville natürlich erst einmal, dass das in Deutschland liegt und zwar auch in einer sehr stark bevölkerten Region, nämlich bei Düsseldorf und Köln, auch noch an der Grenze zu den Niederlanden und Belgien, wo eben auch Festivals wie das Tomorrowland schon jahrelang Vorarbeit leisten. Das heißt, das internationale und nationale Publikum kann auch sehr einfach dorthin kommen. Und zum anderen wird natürlich auch sehr stark auf bereits etablierte und bekannte Namen gesetzt. Also die Namen, die jetzt schon angekündigt worden sind, Steve Aoki, Hardwell, Robin Schulz, Felix Jaehn und Alle Farben, das sind so Leute, die sehr lange dabei sind, sehr erfolgreich sind und auch eigentlich immer alle die gleichen Festivals spielen. Also man wird nicht unbedingt mit neuen Überraschungen und Entdeckungen konfrontiert, auf die man sich erst umständlich einstellen muss, sondern man bekommt halt eben das geboten, was man eh schon kennt.
Elsäßer: Ja, aber ist das cool?
Frauen als feierendes Beiwerk?
Vorreyer: Ob das cool ist, obliegt natürlich immer dem Geschmack desjenigen, der da hin geht und der oder die sagt: Das ist die Musik, die ich gerne höre. Es ist tatsächlich sehr aufwendig inszeniert. Es gibt große Laser und Visual Shows. Diese Bühnen sind halt nicht wie bei einem Festival einfach nur hingestellt und dann ist links und rechts die Soundanlage und dann vielleicht noch ein Werbeplakat daneben, sondern da rauschen die ganze Zeit aufwendig animierte Bildwelten hin und her. Was man aber sagen muss: Tatsächlich ist das Programm in einem Punkt nicht so cool, nämlich was die Geschlechtergerechtigkeit angeht. Also viele dieser Festivals - und da macht auch das Parookaville keine Ausnahme - werden eigentlich fast ausschließlich nur von Männern bespielt, die dann da alleine stehen, während dann in diesen ganzen Livestreams und den Videos, die danach dann zum Festival veröffentlicht werden, werden Frauen meistens nur so als Personen auftauchen, die auf den Schultern ihrer Freunde Fahnen schwenken. Ob das jetzt aus Brasilien ist, aus Sachsen-Anhalt oder eben aus Belgien, das ist jetzt erst einmal egal dabei.
Elsäßer: Also Frauen als feierendes Beiwerk.
Vorreyer: Nicht nur, aber dominierend in der Außenwahrnehmung schon. So, wie sich die Festivals geben. Ja.
"Mehr oder weniger immer die gleiche Suppe"
Elsäßer: Wie könnte man das verändern? Oder beziehungsweise: Besteht da der Wunsch der Veränderung? Denn es gibt ja auch erfolgreiche weibliche DJanes und Techno-Produzentinnen.
Vorreyer: Gibt es auch. Gibt es auch im EDM-Bereich, allerdings nicht so stark. Und gerade, weil dort sehr stark auf bereits bekannte Namen gesetzt wird - bis auf Hardwell, der wahrscheinlich aktuell größte EDM-DJ -, haben alle Namen, die jetzt schon angekündigt worden sind für das nächstjährige Parookaville, dort alle schon mindestens einmal gespielt - sei es jetzt Robin Schulz oder Steve Aoki. Und da bleibt dann eben auch wenig Platz. Es geht da sehr stark in dieser Szene auch um Bestenlistenbewertung, um Klickzahlen, die man irgendwie mit Online-Streams auf Spotify oder in YouTube erreicht. Und diese große Abstimmung, die das sogenannte DJMag jährlich ausrichtet, wo dann Fans aus der ganzen Welt den Top-DJ aus der ganzen Welt wählen können - das war jetzt zum Beispiel zuletzt Hardwell und aktuell ist es Martin Garrix. Dadurch bleibt das halt doch mehr oder weniger immer die gleiche Suppe, zu der sich nur selten eine neue Zutat hinzugesellt.
Elsäßer: Electronic Dance Music ist der Pop der Gegenwart und EDM-Festivals sind dann vielleicht das Woodstock von heute. Und ein Ende ist nicht in Sicht, sagt Thomas Vorreyer, Redakteur bei "Vice" für das Ressort Clubkultur und elektronische Musik. Danke für das Gespräch!
Vorreyer: Gern geschehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.