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Boom in down under

Seit Jahren boomt die Wirtschaft in Australien, in den vergangenen zehn Jahren lag das durchschnittliche jährliche Wachstum bei 4 Prozent. Die letzte Rezession liegt fast 15 Jahre zurück. Die australische Börse boomt. Hintergrund Wirtschaft schaut hinter die Kulissen des Wirtschaftswunders am anderen Ende der Welt.

Von Michael Frantzen |
    Das Land erhält schon seit Jahren Bestnoten von der OECD und trotzt allen Wirtschafts-Krisen. Nicht von den USA ist die Rede und nicht von Großbritannien, sondern vom anderen Ende der Welt: Australien weist satte Wachstums-Raten auf und einen ausgeglichenen Bundes-Haushalt. Besonders gut läßt sich das "australische Wirtschaftswunder", wie es einmal die FAZ formuliert hat, in Australiens Wirtschaftsmetropole Nummer eins beobachten: in Sydney – und dort am besten im Hafen:

    "Time is money - Zeit ist Geld - das ist die Devise im Hafen von Sydney. Im Minutentakt werden die Container be- und entladen. Alles voll-automatisch. Henning Harders kennt hier fast jeden Winkel. Der gebürtige Hamburger hat vor über zwanzig Jahren den Sprung gewagt nach Australien - und sich in Sydney als Spediteur niedergelassen. Drei Leute waren sie damals, heute sind es fünfzig. "

    Wenn man so will, profitiert Harders vom Wirtschaftsboom auf dem Fünften Kontinent: Von durchschnittlichen Wachstumsraten von vier Prozent seit über zehn Jahren; von niedriger Inflation und vom immer größer werdenden Appetit der zwanzig Millionen Australier auf ausländische Produkte - auf chinesische Textilien, koreanische Unterhaltungselektronik und deutsche Nobelkarossen. Um 13.5 Prozent sind die Importe letztes Jahr gestiegen. Zuwachs auch beim Export: Plus sechs Prozent. Zwar stehen Rohstoffe und Agrarprodukte immer noch ganz oben auf der Liste der Exportschlager, aber: Die australische Wirtschaft hat sich diversifiziert, wie Hennig Harders in den letzten Jahren beobachtet hat.

    "Da gibt es auch Produkte, von denen man eigentlich nicht annehmen sollte, dass die aus Australien kommen. Holzprodukte, Türen, Plastikkarten für die Telefonindustrie. Sie werden sich sicherlich nicht vorstellen, dass Lotterietickets in Australien produziert und exportiert werden. "

    Wirtschaftswunderland Australien: Viele Australier können sich schon gar nicht mehr an die letzte Rezession erinnern: 1991 war das. Seitdem wächst und wächst die Wirtschaft, verbuchte die australische Börse letztes Jahr ein Plus von 21.6 Prozent; fuhr der weltweit größte Bergbaukonzern BHP Billiton mit 1.7 Milliarden Euro den höchsten Halbjahresgewinn ein, den je eine australische Firma erwirtschaftet hat.

    Zu verdanken haben die Australier das der konservativen Bundesregierung, die seit 1996 amtiert. So jedenfalls der Slogan, mit dem Premierminister John Howard letztes Jahr in den Wahlkampf zog. Die Rechnung ist aufgegangen: Der Langzeitpremier wurde im Amt bestätigt.

    Es gibt nicht wenige Analysten in Australien, die sagen: Der eigentliche Architekt der miracle economy ist Schatzkanzler Peter Costello. Tatsächlich hat der Mann, der alles daran setzt, Howard als Premierminister zu beerben, mit seiner neoliberalen Finanz- und Wirtschafts-Politik der Regierung seinen Stempel aufgedrückt. Egal, ob bei der Lockerung des Flächentarifvertrages, niedrigen Unternehmenssteuern oder der großen Steuerreform vor fünf Jahren – Howards Vize hat sich immer für Reformen stark gemacht - und dafür gesorgt, dass Australien globalen Wirtschaftskrisen wie der Rezession in den USA oder SARS getrotzt hat. Meint der Sprecher des Schatzministeriums, David Parker.

    "Diese Widerstandsfähigkeit und Flexibilität kann auf das koheränte Struktur-Reform-Programm zurückgeführt werden. Es hat etwas gedauert, bis sich die Reformen ausgezahlt haben. Das ist generell ein Problem für Politiker: Dass solche Reformen erst einmal zu Mehr- Belastungen führen - was natürlich unpopulär ist - bevor sie einem Großteil der Bevölkerung längerfristig zu Gute kommen. "

    Die australische Erfolgsgeschichte - alles das Ergebnis der weitsichtigen Politik des Gespanns Howard/Costello?! Peter Dawkins schüttelt den Kopf. Der Direktor des Melbourne Institute of Applied Economic and Social Research - eines der führenden Wirtschaftsinstitute Australiens - macht eine ganz andere Rechnung auf.

    "Diese wirtschaftliche Erfolgsgeschichte wäre undenkbar gewesen ohne die Reformen, die unter der sozialdemokratischen Regierung von Premierminister Hawke in den 80ern durchgeführt wurden. Damals öffnete sich unsere Wirtschaft. Der Dollar wurde freigegeben; Schutzzölle reduziert - und unsere Finanzmärkte zum Großteil dereguliert. Die Sozialdemokraten haben damals eine Reihe mikroökonomischer Reformen in der Wettbewerbspolitik eingeleitet, die unsere Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit erhöht haben. Davon profitieren wir heute noch. "

    In den 70er Jahren war Australien noch ein rückständiges Bergbau- und Agrarland mit zweistelliger Inflationsrate und einem der unflexibelsten Arbeitsmärkte weltweit. So mussten für einfache Arbeiten wie das Anschließen eines Computers gleich mehrere Arbeiter beschäftigt werden, die auch noch unterschiedlichen Minigewerkschaften angehörten. Bob Hawke räumte damit auf.

    "Bevor Hawke Premierminister wurde, war er Präsident des australischen Gewerkschaftsbundes. Das hat es ihm leichter gemacht, die Reformen durchzuführen. Er hat in den 80ern die Gewerkschaften mit ins Boot geholt. "Wenn ihr euch bei den Löhnen zurückhaltet und bei den Wirtschaftsreformen mitmacht" - so sein Angebot - "dann werden wir uns auch erkenntlich zeigen - beim Mindestlohn, der Sozialpolitik und Steuern und Sozialleistungen. "

    Die guten, alten Zeiten: Richard Miles - der stellvertretende Direktor des australischen Gewerkschaftsbundes - wird ganz nostalgisch. Seitdem die Konservativen das Sagen haben, haben die Gewerkschaften massiv an Einfluss verloren. Waren Mitte der 70er Jahre noch zwei von drei Arbeitnehmern gewerkschaftlich organisiert, ist es heute nur noch jeder vierte. In vielen kleineren und mittleren Unternehmen sind die Gewerkschaften überhaupt nicht mehr vertreten. Und es droht weiteres Ungemach: Die Howard-Regierung, die ab Juli erstmals in beiden Häusern des Parlaments die Mehrheit besitzt, will den Kündigungsschutz in Kleinbetrieben aufheben. Richard Miles passt die ganze Richtung nicht.

    "Der Wirtschaft mag es zwar ziemlich gut gehen, aber gleichzeitig spaltet sich das Land immer mehr in Gewinner und Verlierer. Es herrscht ein großes Ungleichgewicht zwischen denen, die vom Wirtschaftsboom profitieren und dem Rest. All unsere Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Kluft zwischen Arm und Reich wächst. Dabei hatte Australien noch 1970 das niedrigste Einkommensgefälle aller OECD-Länder. Es war etwas, was unser Land ausgezeichnet hat: Dieser Gedanken von Fairness, Kameradschaft und Egalität. Es war die Basis unseres Selbstverständnisses; was es heißt Australier zu sein. Und heute? Wächst in keinem anderen Land der OECD die Kluft zwischen Arm und Reich so stark wie bei uns. "

    Was die OECD auch festgestellt hat: Die Australier sind in den letzten fünfzehn Jahren durch die Bank wohlhabender geworden. Und besser ausgebildet: Kaum ein Land auf der Welt, in dem so viele Menschen einen Hochschulabschluss besitzen.

    Wirtschaftswunderland Australien?! An Wunder, meint Klaus-Peter Schuurmann und lacht –an Wunder glaube er schon lange nicht mehr. Der Geschäftsführer der Deutsch-australischen Industrie- und Handelskammer in Sydney wirbt lieber mit harten Fakten für den Standort Australien. Schon jetzt haben sich mehr als 370 deutsche Unternehmen down under niedergelassen - darunter Schwergewichte wie Hochtief und Siemens. Rund zehn Milliarden Euro wurden investiert. "Könnte noch mehr sein," meint Schuurmann. Aber Australien ist weit weg, gerade Mittelständler schreckt das ab. Dass Australiens Bruttosozialprodukt trotz seiner nur knapp zwanzig Millionen Einwohner genauso groß ist wie das von Singapur, Malaysia, Thailand und Indonesien zusammen, weiß in Deutschland so gut wie keiner. Oder dass das Land längst den Übergang geschafft hat von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft.

    "Man geht immer davon aus, dass der wichtigste Faktor in der Wirtschaft für Australier die Rohstoffe sind. In Wirklichkeit ist 70 Prozent des Bruttosozialprodukts...wird durch Dienstleistungen erzielt. Dabei soll man natürlich den Rohstofffaktor nicht unterschätzen, aber: Die australische Wirtschaft ist weniger produktionsorientiert als wir das in Deutschland sind. Und: Die Australier haben früh erkannt, dass sie in Hochtechnologie, aber auch in der Dienstleistungsbranche Vorteile haben. Denken Sie nur mal an den Zeitunterschied: Während wir noch schlafen, haben die Australier schon einige Dienstleistungen für uns erledigt. Ob das jetzt Callcenter sind, ob das im Bankenbereich ist, im Finanzdienstleistungs-Bereich. Und das hat sich in den letzten 15, 20 Jahren enorm entwickelt. "

    Der Boom im Dienstleistungssektor hat auch dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit auf den niedrigsten Stand seit fast dreißig Jahren gefallen ist. Bei fünf Prozent liegt die Quote jetzt. Peter Dawkins:
    "Es herrscht immer noch eine starke Nachfrage in der Wirtschaft. Die Binnennachfrage in Form von Investitionen ist weiterhin hoch, es gibt sogar schon Engpässe bei der Produktion, weil die Nachfrage so groß ist. Was dazu führt, dass es in einigen Branchen an Arbeitskräften mangelt. Also: Obwohl die Nachfrage da ist, können einige Unternehmen nicht liefern - weil sie unter anderem nicht genügend qualifizierte Arbeitskräfte finden. "

    Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften hat in den letzten Monaten oft für Schlagzeilen gesorgt. Besonders prekär ist die Lage in Sydney. Überall werden händeringend Arbeitskräfte gesucht – besonders in der seit Jahren boomenden Baubranche. Das gleiche Bild bei Krankenschwestern, Ärzten und Klempnern.

    Wirtschaftswunderland Australien?! Ein bisschen hat das Image Kratzer abbekommen. Die australische Handelskammer vermeldet, die Unternehmen im Lande sehen nicht mehr in der Steuerlast das Hauptproblem, sondern im Arbeitskräftemangel. Und: Der Mangel hat auch mit dazu beigetragen, dass die australische Wirtschaft letztes Jahr nur noch um 1.5 Prozent gewachsen ist.

    Henning Harders ist bislang glimpflich davon gekommen. In seinem Unternehmen gibt es kein Arbeitskräftemangel - noch nicht.

    "Ich rechne damit und bereite mich darauf vor. Indem ich selbst junge Kräfte einstelle und sie selbst schule. So dass ich da in der Lage bin, die Stellen zu besetzen, die besetzt werden müssen. Auf dem Speditionssektor haben wir eigentlich keine Ausbildung richtig in Australien. So im Vergleich mit Deutschland, Schweiz, Österreich, England. So dass das sehr zu bedauern ist, dass wir eigentlich davon abhängig sind, dass wir selbst ausbilden. "

    Problem erkannt, wir handeln: Gerade erst hat die australische Bundesregierung eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht, um den Arbeitskräftemangel in den Griff zu bekommen. So sollen ältere Arbeitnehmer, Langzeit-Arbeitslose, Alleinerziehende und Menschen mit leichten Behinderungen dazu gebracht werden, wieder zu arbeiten. 3.6 Milliarden australische Dollar, rund zwei Milliarden Euro, will Schatzkanzler Costello dafür bereit stellen. Sticks and carrots lautet seine Devise - Zuckerbrot und Peitsche.

    Beispiel Alleinerziehende: Die sind jetzt verpflichtet, nach Arbeit zu suchen oder sich weiterbilden zu lassen - sobald ihr Kind das Grundschulalter erreicht hat. Bislang lag die Grenze bei 16 Jahren. Gleichzeitig sollen knapp 90.000 neue staatlich subventionierte Plätze in Kindertagesstätten geschaffen werden.

    Beispiel Sozialhilfeempfänger: Wer nicht zu einem vereinbarten Jobinterview erscheint und nach drei Tagen keine passende Erklärung parat hat, dem wird die Hilfe gestrichen. Gleichzeitig aber erhalten die Arbeitsagenturen mehr Mittel, um Sozialhilfeempfänger fit zu machen für den Arbeitsmarkt.
    Genug Geld ist da: Der im Mai verabschiedete Haushalt weist ein Plus knapp neun Milliarden australischen Dollar auf, gut fünf Milliarden Euro.

    Der Haken ist nur: Bis die Maßnahmen greifen, wird Zeit vergehen - das weiß auch die Howard-Regierung - und setzt kurzfristig auf die Anwerbung qualifizierter Einwanderer und Gastarbeiter. Seit 1997 hat sich deren Zahl verdreifacht, auf zuletzt über 77.000 im Jahr. Und es sollen noch mehr werden: Von 100.000 ist die Rede.

    Band Aid solutions seien das – mosert Gewerkschafts-Mann Miles: Alles Augenwischerei.

    "Ich denke, wir sollten da sehr vorsichtig sein und uns genau überlegen, ob wir wirklich Gastarbeiter ins Land holen wollen. Schließlich gibt es in Australien jede Menge Leute, die liebend gerne die Qualifikationen erlangen würden, die gefragt sind. Wirklich: Die gibt es. Das Problem ist nur: Die Bundesregierung tut nicht genug, um diese Menschen weiterzubilden. Das muss als erstes angepackt werden. "

    "Tun wir ja" – sagt die Bundesregierung – und verweist auf ihre Doppelstrategie: Weiterbildung und Einwanderung.

    Sprecher 1
    Der Mangel an Arbeitskräften ist nicht das einzige Thema, durch das die Regierung in Canberra unter Rechtfertigungszwang geraten ist. Da ist nämlich noch die Sache mit der Infrastruktur. Laut einem Bericht der OECD hat der australische Staat zwischen 1997 und 2003 so wenig Geld für Infrastruktur-Maßnahmen ausgegeben wie kaum ein anderes reiches Land. Das wird fürs erste auch so bleiben: Im neuen Haushalt schöpft Schatzkanzler Costello zwar wieder aus den Vollen: Steuererleichterungen allein für die Privathaushalte: Knapp 22 Milliarden australische Dollar – für neue Straßen und Schienen aber bleiben nur etwas mehr als zwei Milliarden übrig.

    "Zu wenig," klagt das Australian Council for Infrastructure Development. Das unabhängige Institut hat ausgerechnet, dass 25 Milliarden australische Dollar gebraucht würden, um die vernachlässigte Infrastruktur wieder auf Vordermann zu bringen. Da bricht in Sydney schon einmal das komplette U-Bahnnetz zusammen. Weil die Technik veraltet ist; kriechen die Trams in Australiens zweitgrößter Metropole Melbourne im Schritttempo durch das Bankenviertel. Vollbeladene Schiffe im Bundesstaat Queensland können nicht gelöscht werden, weil die Kapazitäten der Häfen nicht Schritt halten mit der gestiegenen Nachfrage nach Kohle und Eisenerz.

    Auch Henning Harders kann von den bottlenecks - den Engpässen - ein Lied singen.

    "Kennen wir auch. Müssen wir nicht bis nach Queensland gehen. Das kennen wir auch in Sydney. Wenn wie in den letzten Monaten die Schiffe dermaßen gefüllt sind, der Warenstrom so groß ist - dann kommen sie hierhin und müssen durch Sydney durchgehen. Und da gibt es wirklich bottlenecks. Kann nicht erledigt werden, was an Volumen hereinkommt. "

    Mehr als eine Milliarde Dollar – so viel geht jährlich allein bei den Exporten verloren - wegen der Engpässe bei der Infrastruktur. Für eine Lösung könnte der gut geführte Staats-Haushalt sorgen:

    "Ein großes Thema ist gerade, ob der Staat wieder Schulden machen soll - für Infrastrukturmaßnahmen. Ein Grund, weshalb Australien in der letzten Zeit wirtschaftlich so erfolgreich war, ist, dass die Bundes- und Landesregierungen solide gehaushaltet haben. Die Haushalte sind alle im Plus. Das war bei uns im Bundesstaat Victoria in den 80ern noch anders. Damals wurde der Haushalt schlecht verwaltet: Viel zu viele Schulden, zu viele Ausgaben. Daraus hat man seine Lektionen gezogen. Seitdem ist das Bedürfnis groß, einen ausgeglichenen Haushalt zu haben und das Geld nicht aus dem Fenster zu werfen. Was an sich ja gut ist, nur: Ein Nebeneffekt mag gewesen sein, dass wir nicht genug in Infrastruktur investiert haben. Jetzt, wo wir die Haushalte in Griff haben und Bund und Länder gute Noten beim Kreditranking bekommen, könnte es an der Zeit sein darüber nachzudenken, wieder mehr zu investieren. "

    Im Klartext: Schatzkanzler Costello soll zur Not wieder Kredite aufnehmen - natürlich maßvoll, wie Peter Dawkins betont. Doch der denkt gar nicht daran. Costello will sich seinen Nimbus als solidester Schatzkanzler, den Australien je hatte, nicht kaputtmachen lassen. Um 42 Milliarden Dollar hat er die Staatsschulden abgebaut, Stand: Ende 2004.

    Verkehrte Welt in down under: Während in Deutschland die Riesenlöcher in den öffentlichen Kassen mit immer mehr Schulden gestopft werden und die Privathaushalte ihr Geld lieber auf die hohe Kante legen, ist es in Australien genau umgekehrt: Der Staat: grundsolide. Dagegen viele australische Haushalte: über beide Ohren verschuldet. Weil sie konsumiert haben, als ob es kein Morgen gäbe. Mit 818 Milliarden australischen Dollar, rund 490 Milliarden Euro, stehen die Privathaushalte in der Kreide.

    "Wenn sie das jetzt mal analysieren, dann muss man auch sagen, dass die Australier zur Zeit über ihre Verhältnisse leben. Jeder hat sich hier ein Haus gekauft, jeder hat sich hier sehr stark verschuldet. Und der verbleibende Betrag, den man nun für den Konsum ausgibt, der wird in erster Linie über Kreditkarten finanziert. So dass auch da ne hohe Überschuldung ist. Also, in Deutschland spricht man von einer Sparquote, ich sag mal, von elf Prozent. Hier haben die ne Sparquote von zwei Prozent, wenn überhaupt. "

    Sagt der Präsident der Deutsch-Australischen Handelskammer. Peter Schuurmann hat selbst erlebt, wie die Immobilienpreise in Sydney innerhalb von ein paar Jahren in immer schwindelerregendere Höhen gestiegen sind. Ein kleines Reihenhaus in mittelprächtiger Lage: Kostet mindestens 300.000 Euro; wen es in einen der noblen Vororte im Osten der Stadt zieht , der muss mindestes eine halbe Million hinblättern. Euro wohlgemerkt.

    Wohlstand auf Pump – oft waren es ausländische Banken, die die Australier beim Häuserkauf mit Krediten versorgten. Auf 250 Milliarden Euro sind die Auslandsschulden angewachsen: Ein Minusrekord. Genau wie das Leistungs-Bilanz-Defizit von 32 Milliarden Euro. Alarmierende Zeichen – klagt die Opposition.

    Alarmierende Zeichen?! David Parker vom Schatzministerium wiegelt ab. Sicher: Das Leistungs-Bilanzdefizit müsse sinken. Und sicher: Die Verschuldung der Privathaushalte sei zu hoch. Nur:

    "Die Privathaushalte sind gleichzeitig auch viel reicher geworden. Jedem Dollar Schulden stehen sechs Dollar an Werten gegenüber. Also, die Privathaushalte sind immer noch in einer starken Position. Da findet gerade eine leichte Konsolidierung statt. Das kann man auch auf dem Immobilienmarkt beobachten. Die Preise beruhigen sich. Was gar nicht einmal schlecht ist. Sie waren ja vorher extrem hoch. Also: Ja, die Immobilienpreise sinken, aber nicht so stark, dass uns es beunruhigen würde. "

    Tatsächlich sind die Immobilienpreise in den großen Metropolen Australiens nur leicht gesunken: Minus 1.9 Prozent in Melbourne, Minus 3.3 in Sydney. Gesunken ist auch die Spendierfreudigkeit der Australier. Für das Finanzjahr 2005/2006 erwarten die Experten aus dem Hause Costello nur noch einen Zuwachs von 1.3 Prozent bei den Privatausgaben.

    Das liegt nicht zuletzt daran, dass die australische Notenbank die Zinsschraube angezogen hat - zuletzt im März um ein Viertel Punkt auf 5.5 Prozent. Höhere Leitzinsen gleich höhere Hypothekenzinsen gleich weniger Geld zum Ausgeben.

    Und Notenbankchef Ian MacFarlane hat schon angekündigt, das Ende der Fahnenstange sei noch nicht erreicht – mag die Inflationsrate mit 2.6 Prozent auch vergleichsweise niedrig sein. MacFarlane hat der Howard-Regierung vor kurzem die Leviten gelesen. Ihr Reformeifer habe nachgelassen - in Australien, betont Peter Dawkins, gelte das fast schon als Todsünde.

    "Viele Wirtschaftswissenschaftler machen sich ohne Zweifel Sorgen, dass das Land in den letzten Jahren von einer Art Reformmüdigkeit befallen sein könnte. Weil unsere Wirtschaft so erfolgreich war. Da besteht natürlich die Gefahr, dass man die Sachen schleifen lässt. Deshalb appellieren viele Experten wie ich an die Bundes- und Landesregierungen: Wenn wir unsere wirtschaftliche Erfolgsgeschichte weiterschreiben wollen, dann führt kein Weg vorbei an weiteren Reformen. "

    Von wegen stotternder Reformmotor! David Parker hört den Motor förmlich aufheulen. Die knapp 22 Milliarden Dollar Steuererleichterungen, sie kurbeln den Konsum wieder an. Ein weiteres Vorhaben. Die Restprivatisierung des staatlichen Telekommunikations-Anbieters Telstra, anvisierter Gewinn: 32 Milliarden Dollar, gedacht für die Altersabsicherung der Australier. Und dann noch die Umgestaltung des Sozialhilfesystems! Und ansonsten gelte: Immer schön realistisch bleiben….

    "Man darf Eines nicht vergessen: Die durchschnittlichen Wachstumsraten von vier Prozent in den letzten 13 Jahren haben dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit von elf auf fünf Prozent gesunken ist. Das lässt sich nicht wiederholen. Wir bewegen uns Richtung Vollbeschäftigung. Dementsprechend wird die Wirtschaft auch nicht mehr so rasant wachsen wie im Vergleichszeitraum. Deshalb bin ich auch nicht besonders überrascht oder besorgt, dass das Wachstum sich etwas verlangsamt hat. Wir sind jetzt in einer Phase der Konsolidierung. Auch die Privathaushalte konsolidieren sich, es wird wieder mehr gespart. Was nicht das schlechteste ist, wenn man sich unsere Sparquote anschaut. Also, wir beobachten die Entwicklung sorgfältig - ohne beunruhigt zu sein. "

    Betont der Sprecher des Schatzministeriums – und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. No worries – wie die Australier sagen: Kein Problem. Peter Dawkins ist nicht ganz so gelassen.

    "Wir werden wohl in den nächsten zwei, drei Jahren eine Phase der konjunkturellen Abschwächung durchmachen. Wegen der Engpässe auf der Angebotsseite und weil die Bundesbank versucht, die Nachfrage zu zügeln, damit die Inflation nicht außer Kontrolle gerät. Die große Frage ist natürlich: Wird aus dieser Abschwächung eine Rezession? Wir hoffen, es wird bei der Abschwächung bleiben - wenn wir weiter auf Reformen setzen, also: Bessere Ausbildung, Wiederaufbau der Infrastruktur. Damit wir wieder durchstarten können.

    Wirtschaftswunderland Australien?! Die OECD stellt dem Fünften Kontinent in ihrem aktuellen Länderbericht trotz aller Engpässe und Defizite bei der Infrastruktur wieder Bestnoten aus - und prognostiziert für dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum von über drei Prozent.

    Einzige Änderung: Das Wachstum wird nicht mehr so stark durch den Privatkonsum getragen, sondern durch die Ausfuhren - besonders nach China. Wie kaum ein anderes Land profitiert Australien vom Riesenappetit der Chinesen auf australische Rohstoffe. Erst im März erhöhte Rio Tinto, eines der großen Bergbauunternehmen, den Preis für Eisenerz um satte 71.5 Prozent. Peking war not amused - aber: Den kommunistischen Machthabern blieb nichts anderes übrig, als zähneknirschend zu zahlen.

    Und auch er profitiert: Henning Harders und seine Logistikunternehmen. Für den Mann aus Hamburg ist Australien zum lucky country geworden – zum Glücksland, wo alles möglich ist, wenn man es nur anpackt.

    "Ich bin sehr stolz darauf, dass wir in 18 Jahren nicht ein Jahr hatten, bei dem wir stehen geblieben sind, stagniert haben.