Jürgen Schubert beobachtet in der schmalen Werkshalle, wie seine Mitarbeiter den Kunststoff-Rumpf eines neuen Schiffes abschleifen."Eine 606 Variant", sagt der Bootsbaumeister stolz und fährt fast zärtlich über die glänzenden Mahagoni-Holz-Teile der Kajüte. Seit der Wende hat Schubert 140 Schiffe vom Typ Variant hier in seiner Werft am Störkanal bei Schwerin gebaut. Kein anderes Schiff sorgte so für das wirtschaftliche Überleben des Handwerkbetriebes wie die kleine Jacht für kleine Fahrt:
"Nach der Wende wollten sie alle erst mal reisen, alle wollten ein Auto haben. An ein Boot haben wir nie gedacht, aber das kam nach drei Jahren, auf einmal ging das dann wieder aufwärts. Und da habe ich so nach sieben, acht Jahren, habe ich dann gedacht, 1997, an für sich, der Variant, so wie er früher war, denn müsste man doch heute machen mit den neuen Möglichkeiten wie Kunststoff. Das Material ist überhaupt kein Problem, heutzutage ein solches Boot zu bauen. So ist der neue Variant 606 entstanden."
Mahagoni-Jacht war DDR-Verkaufsschlager
Die Variant nennt der Bootsbaumeister sein Kind. 1967, als Vorsitzender einer Bootsbaugenossenschaft in Schwerin entwarf Schubert die Grundrisse des neuen Bootstyps, einer Wasserwanderjacht, speziell ausgelegt auf die Seen und Kanäle in der DDR:
"Zu DDR-Zeiten war ein Wasserfahrzeug eine verbreitete Sportart, weil wir nicht viel Möglichkeiten hatten, was anderes zu tun. Gleichzeitig muss man sagen, zu DDR-Zeiten wurden die Boote für einen geringen Preis, nämlich der Variant wurde mit einem Heckmotor für 11700 DDR-Mark, verkauft. Das heißt, das Erzeugnis war durch den Staat gestützt. Und deswegen musste man sich für ein solches Boot anstellen, vormerken lassen, genauso ähnlich wie man das beim Auto hatte. Zwischen sechs und acht Jahre musste man schon warten, um was zu bekommen. Das war so die Regel."
Die sechs Meter lange Mahagoni-Jacht wurde ein Verkaufsschlager. Über 700 Mal wurde die Variant zu DDR-Zeiten gebaut und viele davon in den Westen exportiert:
"Der alte Variant mit sechs Meter Länge hatte entweder einen Warthburg-Motor und Lunze-Getriebe drin. Und dann hatten wir entweder die Forelle, den Wiechel. Das sind alles Motoren bis maximal 23 PS Leistung. Heute ist ja die PS-Zahl fast unbegrenzt. Heute bauen wir in unserem Variant zwischen 30 und 100 PS hintendran."
Schubert verlässt die Halle, geht über den Hof zum Hafen am Störkanal. Beides hat er zusammen mit der Familie gebaut, genauso wie die Werkshalle. Auf dem Gelände stand früher ein Bauernhof. Es war die Zeit, als Schubert keine Lust mehr hatte, den VEB Wiking als Direktor zu führen und den Mangel an Material zu verschleiern. Er stieg aus und der Fall der Mauer kam zur rechten Zeit:
Vom VEB-Direktor zum West-Selbstständigen
"Während der Wende oder besser gesagt, während die Mauer fiel, haben wir hier auf dem Dach der neuen Werkstatt gelegen und haben die Bretter angenagelt und haben nicht mal mitgekriegt, was da so los war. Und erst am nächsten Morgen hat meine Frau vom Bäcker erfahren, dass die Grenzen gefallen sind. So waren wir intensiv beschäftigt, uns ein neues Leben aufzubauen."
400.000 Euro investierte der 74-Jährige in Werkzeuge, Maschinen, Betriebsgebäude: Alles was er so brauchte, um weiter Boote bauen zu können. Von der Selbstständigkeit, träumte Schubert schon, als er noch Direktor eines volkseigenen Betriebes war. Und plötzlich 1989 bot sich die Chance dazu:
"Ich habe nur manchmal geflucht, dass ich das zu spät erfahren konnte. Da habe ich am meisten darüber geflucht. Es gab natürlich sehr viel zu lernen und sehr viel umzulernen. Denn das ganze wirtschaftliche Verhalten ist heutzutage ein völlig anderes. Bei uns musste man ein Jahr vorher wissen, was ich im nächsten Jahr alles baue. Heute muss ich jeden Tag etwas dafür tun, dass ich immer wieder etwas zu tun habe. Das ist der Unterschied, und nach der Wende war es ja speziell schwerer."
Neun Mitarbeiter hat heute die Schubert GmbH in der Gemeinde Plathe, zirka fünf Kilometer von der Landeshauptstadt entfernt. Zwei Töchter und der Sohn, ebenfalls Bootsbaumeister, arbeiten im Betrieb, den der Seniorchef bald übergibt. Jürgen Schubert will dann, wie er sagt"der Klugscheißer im Hintergrund" sein.
So wie seine Boote sieht sich der Bootsbauer auch selbst: traditionell, solide, verlässlich. So legt der Bootsbauer großen Wert darauf, dass alle Schiffsteile, mit Ausnahme der Motoren, von deutschen Herstellern kommen und die Variant in Handarbeit zusammengebaut wird. Was die Schiffe nicht billig macht.
Für die 606 werden rund 40.000 Euro aufgerufen, für das ein Meter längere Schwesterschiff 707 sogar 90.000 Euro. Jahresumsatz: rund eine Million Euro:
"Das Hauptproblem ist heute, das die Arbeit so teuer ist. Denn wenn ich daran denke, wir hatten zu DDR-Zeiten einen Stundenlohn von 1,52 DDR-Mark. Und da war natürlich der Lohnanteil ein äußerst geringer. Heute ist der Lohnanteil der Hauptanteil. Man könnte also ein von Anfang an handwerklich gefertigtes Holzboot gar nicht mehr bezahlen."
Deshalb ist der Rumpf heute aus glasfaserverstärkten Kunststoffmatten und nur noch der Innenausbau aus Teak-Holz und Mahagoni. Die Konkurrenz aus Polen oder Asien fürchtet der Plather Firmenchef trotzdem nicht:
Traditionelle Bauweise sticht asiatische Konkurrenz aus
"Unsere Boote sind anders als die anderen. Wir sind immer, auf jeder Messe, in jeder Riesenhalle wo wir stehen, sind wir die einzigen, die Boote in dieser traditionellen Bauweise herstellen. Unsere Kunden sind überwiegend Leute ab 40 Jahren. Es sind alles gestandene Leute. Die wollen die Ruhe auf dem Wasser für sich haben."
Der Betrieb steht wirtschaftlich auf drei Beinen: Bootsbau, Reparaturbetrieb und Bootslager. Daran soll sich zukünftig nichts ändern. Warum auch, lächelt der Firmenchef und streichelt schon wieder ein Holzstück.