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Bordeaux in der Krise

Bordeaux ist immer noch das wichtigste Weinanbaugebiet Frankreichs. Mittlerweile aber überfluten Weine aus den USA, Australien, Chile und Südafrika den Markt. Eine weltweite Weinschwemme bedroht die französischen Winzer. Viele von ihnen müssen ihre Tropfen mit Verlust verkaufen; in den Supermärkten werden Bordeaux-Weine zu Billigpreisen verschachert.

Eine Sendung von Bettina Kaps, Redakteur am Mikrofon: Thilo Kößler | 13.05.2006
    Bisher wurden hier die teuersten Weine der Welt gekeltert, jetzt wird ein Teil der Ernte zu Industriealkohol destilliert. Das Bordeaux ist immer noch das größte Qualitätsanbaugebiet Frankreichs, aber viele Winzer überlassen ihren Weinberg dem Wildwuchs. Jahrzehntelang erzielten Bordeauxweine Höchstpreise, die Nachfrage war so groß, dass die Winzer mit der Produktion nicht nachkamen: noch im Jahr 2000 kauften viele Weinbauern Rebland hinzu - kurz darauf brach der Markt ein. Die Weine aus der neuen Welt, fruchtig, gefällig und günstig überschwemmten den Europäischen Markt. Neben der Konkurrenz aus den sonnigen Länder wie Chile oder Südafrika machen den Franzosen aber auch die eigenen Landsleute zu schaffen: sie trinken immer weniger Wein - ein europaweiter Trend. Das Einkommen der Winzer ging allein im letzten Jahr um mehr als ein Drittel zurück. Ihr Bourdeaux steht jetzt für 1,69 Euro bei Plus und Penny. Daran verdienen nur die Discountketten, die Winzer zahlen drauf! Die Folgen? Der nationale Winzerverband entschied 500.000 Hektoliter - das sind ein Drittel- des unverkauften Weins, zu reinem Alkohol zu destillieren und außerdem acht Prozent der gesamten Anbaufläche zu roden. In Virsac, einem kleinen Weinort 25 Kilometer nördlich von Bordeaux, haben sich zwei Winzerfamilien dem Druck gebeugt. Sie holzen ab.

    Destillieren ist eine Schande
    Ein Winzer dem das Wasser bis zum Halse steht
    André Meynard wirft noch einen Holzscheit in den Kamin, dann zieht er seine dicke grüne Wolljacke über, tauscht die Filzpantoffel mit den Gummistiefeln und geht hinaus. Der Kiesweg vor seiner Haustür führt direkt zur Kellerei. Das sandfarbene Gebäude sieht aus, als sei es frisch verputzt. Über dem breiten Holztor prangt in roten Buchstaben der Name des Weingutes: "Château La Croix Pradelle".
    Meynard sperrt auf. Der Raum ist hoch und dunkel wie eine Kirche. An den Wänden reihen sich riesige Stahlcontainer. Sie sind voller Wein.

    "Da stehen ein, zwei, drei… acht große Tanks, die insgesamt 1.200 Hektoliter fassen, außerdem habe ich noch vier Bütten. Aber in diesem Herbst werde ich nur 200 Hektoliter einbringen. Damit fülle ich nicht mal zwei Container. Ich werde also zum Schrotthändler… Den Tank dort mit der Nummer 9, den lasse ich zerschneiden, der kommt weg. "

    Der 53-Jährige bückt sich, stemmt einen Metalldeckel hoch, der im Zementboden eingelassen ist.

    "Da unten habe ich auch noch Wein, die Zisterne ist randvoll. 13.500 Liter, Jahrgang 2005. Nächstes Jahr wird das alles leer sein. "
    Meynard erzeugt Rotwein, anständigen Bordeaux mit dem Qualitätssiegel AOC, Appellation d´Origine Controlé, eine geschützte Herkunftsbezeichnung. Den hat er stets an einen Händler aus Bordeaux verkauft. Doch seit vier Jahren geht nichts mehr: Durch die weltweite Weinschwemme ist der Preis einer Tonne Wein auch im Bordelais in den Keller gesunken. Meynard musste mit Verlust verkaufen: Das 900 Liter-Fass bringt nur noch 700 Euro. Soviel wie vor 35 Jahren. Tausend Euro wären ein korrekter Preis. Inzwischen lässt sich der Händler gar nicht mehr blicken, und die Familie greift auf ihr Erspartes zurück, das sie vorher, in den guten Weinjahren, zur Seite gelegt hat. Jetzt ist das Sparbuch leer, sagt Meynard. Deshalb hat er sich zum Äußersten durchgerungen.

    "Destillieren ist eine Schande. Eine Katastrophe. Ein Kreuz, das man sein Leben lang trägt… Trotzdem habe ich ein Viertel meiner Ernte in die Alkoholbrennerei geschickt, außerdem reiße ich Weinstöcke heraus. Die Regierung verlangt, dass wir hier in der Gironde 500.000 Hektoliter Wein destillieren. Weil wir einen Überschuss von 15 Millionen Hektoliter Wein produziert haben, der unverkäuflich ist. Aber die Leute machen nicht mit. Bei uns, in Bordeaux, gehört sich das nicht. Im Süden, im Midi, da werden Überschüsse destilliert, aber doch nicht hier in Bordeaux. "
    Meynard ist groß und stämmig, ein Landwirt, der mit beiden Beinen auf der Erde steht. Er redet viel und macht gerne Scherze. Doch jetzt greift er zum Taschentuch und wischt sich über die Augen. Aus der Zeitung weiß er, dass sich mehrere Kollegen aufgehängt haben. Er selbst schluckt Anti-Depressiva, seit drei Jahren schon.
    Der Winzer nimmt einen Schlauch, zapft ein Glas ab, hält den Wein gegen das Licht. Er ist tiefrot. 2005 gilt als hervorragendes Weinjahr.

    "Das ist ein besonders dunkler Wein. Er hat fast 13 Grad. Und diesen Wein, den können wir nicht verkaufen. Den schütten wir in den Rinnstein. Oder bringen ihn in die Brennerei. Also weg damit in die Gosse. Ich werfe meinen Wein weg… Das ist traurig, weil es unsere Arbeit ist, die wir wegwerfen. Als ich in diesem Winter Rebstöcke herausgerissen habe, da habe ich geheult, weil ich mich erinnert habe, wie ich sie zusammen mit meiner Frau gepflanzt habe, mit meinem Vater und meinem Bruder, die jetzt beide tot sind. Wir vernichten einen Teil unseres Lebens und das tut weh! Wein ist nicht wie Getreide. Das ist eine Pflanze, die mindestens 40 Jahre lang leben muss. Und die wir mit Liebe hegen. "
    Ein letztes Mal schwenkt er den Wein im Glas, dann schüttet er ihn in hohem Bogen ins Gebüsch.

    Gleich hinter der Kellerei liegen die Felder. In geraden Linien ziehen sich die Rebstöcke bis zum Dorfrand. Eine flache, streng geordnete Landschaft. Aber ausgerechnet in der Mitte ist ein störender Fleck, groß wie vier Fußballfelder. Da wuchert Unkraut. Im Herbst standen dort noch die Reben, die Meynard mit seiner Frau gepflanzt hat, in ihrem Hochzeitsjahr, vor 21 Jahren. Die Weinberge hat er von seinem Vater geerbt, 14 Hektar bestelltes Land. Erde, die zuvor schon sein Großvater und sein Urgroßvater bearbeitet haben. Und die er seinen Kindern überlassen wollte. Bald wird er nur noch 4 Hektar Wein besitzen.
    Meynard begrüßt einen Nachbarn. Der alte Mann im blauen Overall bindet Reben an den Draht. Die beiden plaudern - und wieder dreht sich das Gespräch um das, was allen hier auf der Seele lastet.

    Dialog Nachbar / Meynard

    Nachbar: "Das ist eine seltsame Krise…"

    Meynard: "Selbst die 80-Jährigen, die vor dem Krieg geboren sind, haben so etwas noch nicht erlebt, eine so lang anhaltende harte Krise. Wir wissen nicht mehr weiter und sehen keinen Ausweg. Wenn man sich ein Bein bricht, dann rührt man sich nicht und wartet, bis es geheilt ist und der Gips weg kommt. Aber jetzt fühlen wir uns alle wie behindert, und wissen nicht, was zu tun ist. "
    Schweren Herzens geht Meynard zur Scheune und fährt den Traktor heraus. Es ist Frühling, die Sonne scheint, erste Blattknospen platzen auf, ein zartes Grün überzieht das Feld. Eigentlich Zeit, die überflüssigen Triebe an den Weinstöcken zu beseitigen.

    Nicht für ihn. Meynard reißt die Pfosten heraus, an denen er früher die Drähte für die Reben befestigt hatte. Die Hölzer wandern später in seinen Kamin. Nächste Woche hat er die Firma mit dem großen Traktor bestellt. Die sägt ihm die Weinstöcke ab und reißt die Wurzeln heraus. Sechs Hektar werden diesmal umgepflügt. Dafür gibt es Prämien aus Brüssel, für Meynard ist das Geld ein mageres Trostpflaster.

    "Sein Land kann man nur einmal verkaufen. Ich kann es tun, weil meine Vorfahren nicht auf diese Idee gekommen sind. Bislang waren wir alle Treuhänder, haben das Land von unseren Eltern übernommen und an die Kinder weitergegeben. Damit ist jetzt Schluss. "

    Ein Hauch von Vanille, eine Idee von Zimt, Harz, Tabak ist das Ergebnis jahrelanger Reife im Eichenfass; Oder kurzer Zeit im Alutank! Denn für die typische Barriquenote bedarf es nicht mehr der kostspieligen Lagerung im Holz, es geht schneller und vor allem billiger: auf die "australische Art: der Wein wird mit Eichenspänen versetzt. Und der Gaumen schmeckt die typische Fassnote, auch der des Kritikers. Die stehen dem Verfahren recht gelassen gegenüber, ganz anders Frankreichs Winzer. Eichenspäne in den vergorenen Rebsaft zu kippen, ist verpönt. Doch seit März dieses Jahres möglich. Das neue Weinabkommen zwischen der EU und den USA besagt unter anderem: dass Eichenchips (in Übersee schon seit Jahrzehnten im Gebrauch) nun auch in Europa verwendet werden dürfen. Am Weinbau hängen rund 600 000 Arbeitsplätze auch mit Hilfe der Eichenchips soll der kränkelnde Wirtschaftszweig wieder gestärkt werden. Noch wird gestritten, für welche Weine das Verfahren zugelassen werden soll: nur für Land- und Tafelweine oder auch für die AOC-Qualitätsweine? Unter den französischen Winzern ist ein Glaubenskrieg ausgebrochen. Hin und her gerissen zwischen Tradition und Globalisierung, suchen sie nach ihrer Identität:

    Die Reform für den Wein
    Kirmes, landwirtschaftliche Messe, Wein-Wettbewerb... Das Winzerdorf Vinsobres hat Grund zum Feiern: Sein Wein wurde aufgewertet. Vinsobres darf jetzt als "Cru" verkauft werden, als Côtes-du-Rhône von besonderer Qualität. Aus diesem Anlass ist sogar René Renou aus Paris in die Provence gereist.

    Renou ist Präsident des Instituts für kontrollierte Herkunftsbezeichnungen, INAO genannt. Er steht auf freiem Feld und hält die Festrede. Vor ihm haben die Winzer einen Halbkreis gebildet. In der Ferne zeichnet sich der schneebedeckte Gipfel des Mont Ventoux ab. Der INAO-Präsident ist einer der wichtigsten Funktionäre in der Weinbranche. Das hindert ihn nicht, die Fehler der Vergangenheit einzuräumen.

    Er sei nicht auf alles stolz, was seine eigene Behörde entschieden hat, sagt Renou. Räumt ein, dass gut ein Drittel der 450 französischen Prädikatsweine ihr Qualitätssiegel gar nicht verdienen. Er will jetzt Ordnung schaffen. Das Mandat dazu hat er: Vor wenigen Tagen hat ihn die Regierung für weitere sechs Jahre im Amt bestätigt. Unermüdlich redet er den Winzern ins Gewissen und drängt sie, seine Reformen anzunehmen.

    "Die Anerkennung eures Weins ist keine Endstation, sie ist der Anfang. Von nun an müsst ihr die Maßstäbe immer höher schrauben, müsst transparent und glaubwürdig sein, denn der Markt wird härter. Eine Ära ist vorbei. Die Ära, in der Frankreich weltweit das Monopol beim Wein besaß. Als junger Winzer habe ich die Zeit erlebt, in der wir alles verkaufen konnten, guten und auch schlechten Wein, wo kein einziger Liter im Keller blieb. Heute bleiben wir auf Tausenden und Zehntausenden von Hektolitern sitzen. "

    Die Winzer von Vinsobres wissen, wovon er spricht: Um Überproduktion zu vermeiden, haben sie die Erträge kräftig gesenkt. Wenn die Reben zu viele Früchte tragen, schneiden sie diese weg – so vermeiden sie, dass sie ihren Wein später vernichten müssen und verbessern zugleich die Qualität.

    René Renou beglückwünscht ihren Entschluss. Der Wein von Vinsobres, sagt er, ist jetzt in die Sparte der Spitzenweine aufgerückt. In seinem Rettungsplan für die französische Weinwirtschaft gibt es nur noch zwei Klassen:

    "Weine, die Freude machen und Traumweine. Der ersten Kategorie, also den alltäglichen Weinen, muss es erlaubt werden, neue Techniken einzusetzen und so die Herstellungskosten zu verringern. Einige Appellationen werden gezwungen sein, Eichenspäne zu benutzen, um dem Wein ein besonderes Bouquet zu geben und damit der Konkurrenz aus der Neuen Welt standzuhalten. Für die Spitzenweine gelten schärfere Regeln. Sie müssen sich hohe Ansprüche erlauben, weil sie genau damit eine hohe Gewinnmarge erwirtschaften. Diese Weine müssen auch in Zukunft in Eichenfässern reifen. Jetzt muss jede einzelne französische Appellation entscheiden, welchen Weg sie einschlagen will. "

    Die Winzer hören aufmerksam zu. Es sind Männer mit Wetter gegerbten Gesichtern und schwieligen Händen. Roger Gleze ist Präsident der Winzergenossenschaft von Vinsobres. Ihn stört es nicht, wenn ein Teil der französischen Weine bei der Herstellung und im Geschmack den Weinen aus Kalifornien, Australien und Südafrika nacheifert.

    "Für die alltäglichen Weine können die neuen Produktionsmethoden interessant sein. Mit Holzspänen können die Weine preisgünstiger erzeugt werden, das ist für den Winzer und für den Käufer interessant. Holzchips runden den Geschmack ab. Für gewisse Weine ist das eine gute Sache. "

    Ein weißhaariger Mann fällt ihm ins Wort. Eric Chauvin bringt seine Trauben ebenfalls in die Winzergenossenschaft.

    "Das alles führt zu einer Banalisierung des Weins. Wir verlieren unsere Identität. Stellt euch vor, unsere großen Köche würden sich auf McDonald-Niveau begeben, um zu überleben. Das ist eine verlorene Schlacht. - Bei uns gibt es Jahrgänge, verschiedene Traubensorten im Wein, und die Tradition des Terroir-Weins, der Lagen und Kleinklima in jedem Jahrgang schmecken lässt. Das alles kennen die Weine der Neuen Welt nicht. Die machen industrielle Standard-Getränke wie Coca Cola, die jedes Jahr gleich schmecken. Das ist nicht unsere Spezialität. "

    Sie glauben der Wein kommt aus dem Keller eines Chateaus? Nicht immer wie Wolfram Siebeck im Zwiegespräch mit seiner Katze: "Frau Hoffmann" erklärt. Die Kolumne "Die Weinflüsterer" erschien 2001 in der ZEIT:


    Seit einiger Zeit öffne ich meine Garagentür mit einer gewissen Nervosität. Dass dort ein teures Blech auf vier Rädern auf mich wartet, überrascht mich nicht. Verstörend hingegen sind die fehlenden Weinflaschen. Wo, zum Bacchus, ist mein Garagenwein? Richtig gelesen, Frau Hoffmann: Garagenwein. Das ist das neueste Gesprächsthema im Barrique-Syndikat. Eigentlich ein Gerücht; denn wer hat sie schon gesehen, geschweige denn getrunken, die Garagenweine? Wer hat es in die Welt gesetzt? Wem nützt es? Hat wieder einmal Robert M. Parker jr. seine Hand beziehungsweise seine Nase im Spiel?

    Frau Hoffmann, das muss ich leider sagen, interessiert sich nicht für Garagenweine. Sie trinkt keinen Wein, sie spekuliert nicht damit, und meine Garage ist ihr zuwider, denn Frau Hoffmann ist eine Katze und da steht das Ding, mit dem sie manchmal zum Veterinär gefahren wird.

    Auch ich kann ohne Garagenweine leben, ich muss es sogar, denn sie sind mir zu teuer. Eine Flasche Garagenwein kostet locker an die 2000 Mark und mehr. Da kann ich nur sagen: "No way!"

    Das ist amerikanisch, und ich benutze den Ausdruck nicht deshalb, weil Frau Hoffmann kein Amerikanisch versteht, sondern weil dort, in Amerika, die Garagenweine offenbar entstanden sind. Vielleicht war auch diesmal ein französischer Winzer aus dem Pomerol schneller, aber darauf kommt es nicht an.

    Garagenweine heißen so, weil sie von Weingütern produziert werden, die so klein sind, dass man das bisschen Wein, das sie produzieren, in einer Garage keltern und lagern könnte. Und weil es so wenig ist, ist der Wein so teuer? Nein, Frau Hoffmann, nicht automatisch. Dazu muss er schon gut sein, außergewöhnlich gut und rar.

    Doch das erklärt es noch nicht. Dazu gehört das richtige Klima. Damit ist diesmal nicht die Meteorologie gemeint, wie man das im Weinbau erwarten könnte, sondern das gesellschaftliche Klima. Und das war am Beginn der neunziger Jahre ideal. Damals galt es als superschick, ein Weingut zu besitzen. Filmregisseure, Kardiologen, Anwälte, Makler, Modemacher und wer sonst bereits eine Rolex hatte und einen E-Type fuhr, diese Erfolgsmenschen kauften sich ein Stück Land und bauten Wein an. Nicht viel Land, diesen Hobbywinzern genügten zwei Hektar, die lassen sich leicht von einer Person bewirtschaften.

    Da bleibt sogar noch Zeit, sich den einzelnen Weinstöcken individuell zu widmen: Gutes Zureden hilft nicht nur bei der Pferdezucht. Wenn einem Rebstock täglich eingeflüstert wird, er sei der beste der Welt, dann glaubt er das bald selber und entwickelt sich entsprechend. Hinzu kommt, dass diese Dotcomer noch ein paar Kröten übrig hatten und in ihren kleinen Schuppen (Garage!) die neueste und feinste Technik installierten.


    Die Bordeaux-Weine sind ein Produkt des Terroir, dieses Terroir -zu deutsch schlicht Boden - verleiht dem Bourdaux seine Individualität; Terroir steht für Kultur und Tradition und gegen die industrielle Erzeugung. Doch obwohl die Winzer des Bourdaux das Image des Terroir so betont pflegen, gehen sie mit dem Boden, ihrer Weinberge weniger pfleglich um: rund ein Drittel aller in der Landwirtschaft verwendeten Pestizide landen auf der Rebe bzw. auf dem viel gerühmten Terroir und später im Grundwasser. Wird diese Prozentzahl noch ins Verhältnis zur genutzten Fläche gesetzt, dann ist es schwer nach zu vollziehen, warum die konventionellen Winzer die Natürlichkeit ihrer Weine so hervorheben. Denn 30 Prozent der Pestizide landen auf nur knapp 3 Prozent der gesamten landwirtschaftlich Nutz-Fläche. Eine schlichte Kirche, ein Rathaus, eine Vorschule und ein paar Häuser umgeben von Weinbergen - das ist Pomerol. Ein unscheinbares Dorf, ohne Bäcker oder Cafe und dennoch weltberühmt wegen seiner Weine. Hier wird der Chateau Petrus erzeugt, seine rund 35.000 Flaschen, die jährlich auf den Markt kommen, werden gehandelt wie Aktien. Neben der Kirche liegt das Weingut der Familie Techer, sie haben sich entschlossen ,ihre Weine nach ökologischen Richtlinien zu erzeugen:

    Gegen Pestizide und Chemieeinsatz - der Ökowinzer
    Das Wohnzimmer ist hell und freundlich. Das liegt an den Fenstern, die sich an zwei Seiten wie lange Bänder durch die ganze Wand ziehen. Sie geben den Blick frei auf die Weinberge. Dominique Techer deutet mit dem Zeigefinger hinaus:

    "Wir sind hier auf dem Plateau von Pomerol. Vor uns liegt Château Clinet, Clos l´Eglise, L´Eglise-Clinet, Le Gay…"

    Namen von Weingütern, bei denen Feinschmeckern das Wasser im Mund zusammen läuft. Weil sie Weine erzeugen, die üppiger und konzentrierter sind als die meisten anderen Weine in Frankreich.

    Der Winzer dreht sich um, geht ans andere Fenster. Auch dort reiht sich ein Feld ans andere, bis zum Horizont. Hier und da sind die sandfarbenen Häuser der Besitzer zu sehen. Einzelne Kiefern und Zypressen lockern die Monotonie der Weinberge auf.

    "Auf der anderen Seite sind Château Trotanoy, Le Pin, Vieux-Château-Certan, Certan-de-May, und dort hinter der Kirche ist Petrus. Wir sind im Herzen der Appelation. Was hier in einer Höhe von 35 Metern liegt, das sind die besten Böden von Pomerol. "
    Der Mitt-50er ist ein schmaler Mann mit glatten braunen Haaren. Metallbrille, Schnauzer und ein hauchdünner Backenbart, der die Kieferknochen nachzeichnet, verleihen ihm etwas Intellektuelles. Techer hat in Paris studiert, dann als Informatiker gearbeitet, bis er schließlich - zusammen mit seiner Frau- das Weingut der Schwiegereltern übernahm. Château Gombaude-Guillot liegt ebenfalls auf dem Plateau von Pomerol mit dem berühmten Boden aus Kies und Lehm. Über zwei Jahrzehnte ist Techer jetzt schon Winzer. Seit 13 Jahren erzeugt das Ehepaar nach ökologischen Richtlinien.

    "Es geht uns um den Ausdruck von Terroir. Dieses Zusammenspiel von Bodentyp und Klima kann sich nur entfalten, wenn die Erde gesund und voller Mikroorganismen ist, die Verbindungen zur Pflanze schaffen. Aber nicht, wenn sie mit der chemischen Keule misshandelt wird. Sehen Sie den Boden dort? "

    Techer zieht seine Lederjacke über und geht ins Freie. Sein Weinberg liegt gleich vor dem Haus. Obwohl die Weinstöcke noch kahl sind, ist das Feld grün. Dafür sorgen die krautigen Pflanzen, die sich am Fuß der Weinreben ausbreiten: Veronika, Klee, Gräser, Vogelmiere. Techer umrundet sein Feld. Auf einmal wird die Erde braun und nackt. Hier beginnt das Grundstück seines Nachbarn.

    "Wir stehen am Eingang der Herkunftsbezeichnung Pomerol. Auf einer Parzelle, die komplett mit chemischen Unkrautvernichtungsmitteln behandelt wurde. Und so etwas ist erlaubt! Das gibt ein katastrophales Bild von unseren Prädikatsweinen. "
    Techer geht in die Hocke, nimmt Erde in die Hand, zerkrümelt sie. Vereinzelt wächst ein bisschen Moos. Der Weinbau, sagt er, macht in Frankreich gerade mal drei Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche aus. Aber er verschlingt 30 Prozent aller Pestizide. Wütend wirft er den braunen Klumpen auf den Boden.

    "Mir kommt es vor, als stünde ich vor etwas Totem. Da besteht doch kein großer Unterschied mehr zur Kultur mit Nährlösung auf Steinwolle. Das ist toter Boden dem Nährstoffe zugefügt werden, schließlich muss die Pflanze essen, und dann spricht man von Ausdruck des Terroirs… Ich bin ziemlich sicher, dass da kein Regenwurm mehr in der Erde ist. "
    Techer hat in jedem zweiten Rang Hafer zwischen die Weinstöcke gepflanzt. Um die Monokultur aufzulockern. Wenn er seine Erde mit Traktor und Pflug umwälzt, stürzen sich die Vögel in die Furchen und picken nach Würmern.

    Seine Prinzipien setzt Techer auch im Keller fort: Der Biowinzer arbeitet mit natürlichen Hefen, die auf den Trauben sitzen oder im Keller nisten. Zuchthefen und Enzyme aus dem Handel lehnt er ab. Er ist auch dagegen, dass man den Most konzentriert, ihm Wasser entzieht und den Wein zuckert. Alles Dinge, die den Winzern die Arbeit erleichtern. Aber mit der Natur stehen sie nicht im Einklang.

    "Man muss es verdienen, hier Land zu besitzen, in einem der schönsten Weinanbaugebiete, dessen muss man auch würdig sein. Niemand ist verpflichtet, Wein zu erzeugen, wenn er daran keinen Gefallen findet. "
    Sechs Jahre lang war Techer Bürgermeister von Pomerol, bis 2001 hat er gegen die schlimmsten Praktiken gekämpft. Hat sich einflussreichen Winzern in den Weg gestellt, die Pestizide mit dem Hubschrauber versprüht haben. Er wurde nicht wieder gewählt. Heute engagiert er sich in der alternativen Bauerngewerkschaft "Conféderation Paysanne" dafür, dass sich die Methoden im Weinbau ändern. Für ihn steht fest: Bordeaux-Wein hat nur dann eine Zukunft, wenn die Winzer schonend mit Reben und Boden umgehen.

    Zunächst ging es ihnen wohl nur darum, den Brüdern im Yachtclub eine Flasche Wein vorzuführen, auf denen ihr Name stand. Als dann schon der erste selbst gekelterte Jahrgang so gut ausfiel, wie das bei Minimalerträgen möglich ist, wurden sie ehrgeizig. Drei Jahre später gewannen ihre Garagenweine bei Verkostungen erste Preise.

    Weil da endlich einmal nicht mehr die Premier Grand Cru aus dem Bordelais an der Spitze lagen oder die Champions aus Australien, machte das einen wahnsinnigen Eindruck in der Weinwelt. Jetzt wollten alle solche Weine haben, und genau das war nicht möglich. Es gab nicht genug. Also schossen die Preise in Höhen, von denen aus die alten Matadore wie Zwerge aussahen. Ein neuer Mythos war geboren, eben der Garagenwein.

    Da sich die Rolex-Winzer selbstverständlich an den bisherigen Spitzenweinen orientiert hatten, bauten sie vor allem Rotweine an, Cabernet Sauvignon und Merlot, vielleicht auch Syrah. Zuerst im Napa Valley, dann auch im Bordelais, aber wie gesagt, die Reihenfolge ist dabei ziemlich unerheblich. Überhaupt ist die Existenz solcher Weine nicht so erwähnenswert, weil sie praktisch nur bei Auktionen auftauchen. Man könnte sie auch Phantomweine nennen.

    Was die Medien - gerade, zum Beispiel - natürlich nicht davon abhält, ständig darüber zu berichten. Insofern haben Garagenweine Ähnlichkeit mit den weißen Albatrüffeln, die an jedem Jahresende ihre heiße Phase durchlaufen, in der dauernd und überall von ihnen erzählt wird, obwohl sie mit einem Kilopreis von 4000 Mark eher Fabelwesen sind.

    Dennoch bleibt ein ungelöster Rest Rätsel: Wieso können Garagenweine in so kurzer Zeit zu solchen Kultobjekten werden, wo doch die klassischen Spitzengewächse ein halbes Jahrhundert und länger gebraucht haben? Wieso schmecken diese Reißbrettprodukte so gut, dass sie die in langer Entwicklung groß gewordenen und von allen Weinpäpsten abgesegneten Edelweine so mühelos auspunkten?

    Hat denn das alles keine Bedeutung mehr, der geweihte Boden, der ehrwürdige Name und die heilige Tradition? Lässt sich das, woran Generationen von Winzern verbissen und aufopferungsvoll gearbeitet haben, heute in kürzester Zeit von Berufsfremden imitieren und sogar besser herstellen? Dann hätten wir es, weil ja der Wein eine vergötterte Kulturpflanze ist, mit einer Kulturrevolution zu tun.

    Und die Garagen, wer weiß, werden vielleicht die Kathedralen des 21.
    Jahrhunderts ...

    Literatur: Wolfram Siebeck: "Die Weinflüsterer"; Die ZEIT 2001 (Kolumne)

    Lange Zeit glaubten Frankreichs Winzer, dass der Käufer die jahrhundertealte Weinbaukultur des Landes honorieren und dementsprechend tief in die Tasche greifen würde. Der Konsument hat derweil seine Wahl getroffen: er greift stattdessen zur globalen Konkurrenz, die ist billiger. Die Exportzahlen befinden sich seitdem im freien Fall, auch in Deutschland, dem an Hektolitern gemessenen wichtigsten Auslandsmarkt für den Bordeaux. Seit 2003 ging der Mengenabsatz jedes Jahr um gut 10 Prozent zurück. 2,40 Euro will der deutsche Verbraucher im Schnitt für eine Flasche Wein bezahlen. Für dieses Geld lässt sich in den mittelständischen Weingütern des Bordeaux nicht mal ein anständiger Landwein produzieren. Da das Bordeaux auch noch in dem Ruf steht, zu teuer zu sein, - was es früher tatsächlich oft war -und das Angebot mit seinen über 4000 Chateaus auch schlicht unübersichtlich ist, müssen sich die französischen Winzer etwas einfallen lassen. Jedes Frühjahr präsentieren die Winzer aus dem Bordelais der Fachwelt die Spitzenweine des Vorjahres, die so genannte Primeurs. So auch Jean- Luc Thunevin, er gehört nicht zur Winzeraristokratie, sondern ist Quereinsteiger. Er hat nicht auf einem Chateaus angefangen, sondern in seiner Garage:

    Erfolgreicher Quereinsteiger - der Garagenwein
    Sauber muss es sein, blitzblank. Der Hausherr greift selbst zum Schwamm, geht in die Knie und schrubbt den Boden. Die Kellerei ist hellgrau gekachelt, Wände und Decke sind perfekt geweißt. Die riesigen Gärbottiche aus braunem Eichenholz sehen aus, als stünden sie zur Dekoration hier. Kleine Lampen verbreiten helles Licht. Der Raum hat die Atmosphäre eines Badezimmers. Nur die Flecken stören. Auf den Kacheln hat der Rotwein bläuliche Spuren hinterlassen. Jean-Luc Thunevin bringt seine Leute auf Trab.

    "Hilf doch mal beim Saubermachen… Ich habe hier 50 verwöhnte Kinder. Da lade ich die Winzer ein, ihren Wein zu präsentieren, für sie ist es gratis, und sie packen einfach nicht mit an. Das ist unglaublich viel Arbeit für mich, meine Frau und meine Angestellten! "

    Der 55-Jährige trägt ein karamellbraunes Flanellsakko, ein Polohemd mit offenem Kragen, schwarze Jeans, bequeme Schuhe. Er lässt die Schultern hängen, sieht müde aus, und sein Gesicht ist leicht zerknittert. Aber die hellblauen Augen wachen aufmerksam über das Treiben in seiner Kellerei. Immerhin geht es um das ganz große Business. Thunevin selbst, die Winzer, deren Weine er verkauft und einige Freunde stellen den jüngsten Jahrgang vor. Der Wein vom letzten Herbst ist noch lange nicht fertig, anderthalb Jahre muss er noch reifen. Die Proben geben nur einen Anhaltspunkt für die Qualität. Aber für das Geschäft ist die Woche der Primeurs-Verkostung die wichtigste Woche im Jahr.

    "Die großen amerikanischen Journalisten waren schon in der Region, vor allem Robert Parker, der seine Noten in zwei Wochen bekannt gibt, und der "Wine Spektator". Das Fachblatt hat über 600 Weine gekostet und Höchstnoten vergeben, weil es 2005 für den besten Jahrgang seit einem halben Jahrhundert hält. 2005 ist laut "Wine Spektator" das Jahr der Erneuerung der Bordeaux-Weine. "

    Die Erneuerung der Bordeaux-Weine, sagt Thunevin, die hat er eingeleitet, hier, in diesem schmalen Kellerraum. Weil er unbefangen an die Arbeit gegangen ist und vieles anders gemacht hat als seine Kollegen aus den alteingesessenen Winzerfamilien.

    Thunevin ist ein pied noir, ein Algerien-Franzose, den der Krieg nach Frankreich vertrieben hat. Er ist ein Selfmademan, als Winzer Autodidakt. In Frankreich arbeitete er anfangs in einer Bank. Weil er nicht befördert wurde, schmiss er den Job hin. Im Wein-Städtchen Saint-Emilion eröffnete Thunevin zuerst einen Secondhand-Laden, betrieb dann ein Restaurant und handelte schließlich mit Wein. Eines Tages wollte er selber Wein machen, nur so als Hobby, für sich und seine Freunde. Er kaufte eine kleine Parzelle mit mittelmäßigem Boden, und beschnitt seine Rebstöcke so stark, dass sie nur wenige Trauben trugen, die dann aber einen besonders üppigen Wein ergaben. Den taufte er Château Valandraud. Heute besitzt er 27 Hektar Land.

    "Château Valandraud gilt als Anführer der "Nouvelle Vague", und Michel Rolland höchstpersönlich hat dieser Tage zu einem Journalisten der "Washington Post" gesagt: in Bordeaux müsste es 100 oder 200 Thunevins geben. "

    Michel Rolland, Frankreichs Starönologe, ist Thunevins Berater. Weil der Neu-Winzer in Sachen Önologie ein Laie war, ließ er sich bei der Vinifikation von Rolland helfen, und der mag leicht zugängliche Weine, üppig, mit viel Extrakt und samtigen Tanninen – womit er ziemlich genau Robert Parkers Geschmack trifft. Der US-Amerikaner gilt international als Papst unten den Weinkritikern. Wenn Parker gute Noten gibt, reagiert der Markt wie eine Börse und die Preise schnellen in die Höhe.

    Den Wein des Quereinsteigers Thunevin kostete Parker schon 1993, nach seiner dritten Ernte. Und lobte ihn überschwänglich – seither gehört Château Valandraud zu den Lieblingsweinen der Reichen. Und hat Nachahmer gefunden.

    "Heute gibt es viele Leute, die modernen, sexy Wein machen. Ich bin der Vorreiter dieser Bewegung. Anfangs waren die Profis überrascht, weil mein Wein viel reicher, schwärzer, konzentrierter und auch viel trinkbarer war als die klassischen Bordeaux-Weine. Inzwischen gilt das als normal und auch die traditionellen Erzeuger machen jetzt solche Weine, die in ihrer Jugend schmecken, und nicht erst in 20 Jahren. "

    Durch das weit geöffnete Tor fällt Sonnenlicht. Dahinter ist die schmale Dorfstraße zu sehen. Eine Gruppe Amerikaner schlendert in die Kellerei, junge Männer in Schlips und Anzug, die Aktentasche in der einen, das Handy in der anderen Hand. Ein Weinhändler von der Westküste bringt sein ganzes Team mit. Die Amerikaner, flüstert ein Winzer seinem Kollegen zu, ziehen dieses Jahr mit Blanko-Schecks durchs Bordelais.

    Thunevin breitet die Arme aus, begrüßt den Mann. Er strahlt, und jede Müdigkeit ist aus seinem Gesicht verschwunden. Dann zeigt er auf einen Grand Cru, führt drei Fingerspitzen zum Mund, sagt "2005", und küsst sie hingebungsvoll. Der Amerikaner stimmt zu.

    Amerikaner "Wir sind begeistert, der Kunde wird diesen Wein lieben, er ist fruchtig, leicht zugänglich… "

    Thunevin: " Das ist moderner Bordeaux! Wir haben alles, um dem Weltmarkt zu gefallen, der Wein ist üppig, sexy und hat Klasse! "

    Amerikaner "Das ist wunderbar für Bordeaux, gute Werbung. "

    Thunevin: " Wir haben´s nötig. "

    Die Krise hat auch er gespürt: Der Umsatz seines Weinhandels ist in den vergangenen zwei Jahren von 20 Millionen Euro auf 7,5 Millionen Euro gesunken. Aber dieser Jahrhundertjahrgang, davon ist er überzeugt, wird das Geschäft ordentlich anheizen.

    Jean-Luc Thunevin schiebt sich durch das Gedränge. Die Wein-Profis kosten, machen Notizen. Kaufen können sie hier nicht, denn die Preise für den Großhandel sind noch nicht festgelegt. Er selbst möchte seine Weine möglichst teuer verkaufen, peilt sogar eine Verdoppelung der Preise an: Sein Château Valandraud könnte durchaus von 100 auf 200 Euro pro Flasche steigen, sagt er. Doch wie alle anderen Weingut-Besitzer hält er seine Karten noch bedeckt.

    "Das Ganze ist ein Spiel, bei dem es um die gesellschaftliche Position geht. Natürlich ist auch das Geld sehr wichtig, aber vor allem die Stellung. Je teurer man verkauft, umso mehr wird man als ein Großer betrachtet. "

    Gleich neben dem Tor zur Dorfstraße steht ein junger Mann vor seinem Tischchen. Vier Flaschen hat er aufgestellt, Weine aus feinster Lage, die Thunevin vertreibt. Gael Arpin hört die Gespräche der Händler. Er macht ein bedrücktes Gesicht.

    "Ich höre von allen Seiten, dass sie die Preise wahnsinnig erhöhen wollen. Was bedeutet das für unsere Zukunft? Beim Jahrgang 2006 geht die Talfahrt dann gewiss wieder nach unten. Ich glaube, die Kunden mögen dieses Jojo-Spiel nicht. Zumindest Kunden, die den Wein trinken. Für Börsenspekulanten ist es natürlich aufregend. Aber bevor der Wein eine Aktie ist, ist er doch ein Getränk, das Freude bereitet, das dürfen wir nicht vergessen! "

    Gael Arpin ist Winzer, in vierter Generation. Und selbst Familienvater. Er denkt in anderen Zeiträumen als ein Quereinsteiger, für den die Weinerzeugung nur ein Geschäft ist. Der 29-Jährige hofft, dass seine zwei kleinen Söhne die Familientradition eines Tages fortsetzen werden.

    "Die Weine, mit denen spekuliert wird, drücken jetzt der ganzen Region ihren Stempel auf. Das schadet den kleinen Winzern, die hart arbeiten und Weine erzeugen, die zum Trinken gedacht sind. Hunderte von ihnen müssen derzeit Konkurs anmelden. Und wir spüren die Folgen auch: Unseren Pomerol können wir nicht verkaufen, weil die Kunden von vornherein sagen: Pomerol ist zu teuer. Dabei bemühen wir uns um maßvolle Preise. Es ist riskant, wenn Bordeaux dem Image entspricht, zu teuer zu sein. Wenn sie dieses Jahr erneut diesen Fehler machen, macht mir das Angst. "

    Lange haben Frankreichs Winzer ihre Kollegen aus der neuen Welt belächelt: Coca Cola Weine würden dort produziert, der Weinkeller sei eine Giftküche, bestenfalls ein Versuchslabor. Dort werden Weine nicht nur aromatisiert, sondern auch fraktioniert, das heißt in ihre Bestandteile: Wasser, Alkohol und Aromen zerlegt. Anschließend werden sie dem Massengeschmack entsprechend wieder aufbereitet. Doch was die einen technisch manipulierte Laborweine schimpfen, nennen die anderen moderne Herstellungsverfahren. In Frankreich stehen sich die beiden Ideologien unvereinbar gegenüber, die einen wollen ihre Weine den neuen Geschmacksvorstellungen und Verfahren anpassen, um konkurrenzfähig zu sein. Die anderen meinen: Wer Weine auf die so genannte "australische Art produziert, der hat die Seele seiner Rebe dem Massengeschmack unterworfen. Nur für die hochpreisigen Weine des Bordeaux ist der Markt nicht eingebrochen. Diese Weine werden weiter wie Aktien gehandelt und seien in ihrer Qualität immer noch unerreichbar, da ist sich die Weinwelt weitgehend einig. Allerdings macht der große Bordeaux nur 5-7 Prozent der Gesamtmenge aus. Neal Rosenthal ist Amerikaner, aber ein absoluter Anhänger der Terroir-Weine. Seit 30 Jahren exportiert er französische Spitzenweine in die USA.
    Die Zunge aus Amerika- der Weinhändler aus New York
    Samstagmorgen, halb Neun. Ein gekachelter Raum mit einem langen Holztisch, darauf sechs Flaschen Château La Peyre, Gläser, ein Spucknapf. René Rabillier steht in seinem Degustationsraum. Den Rotwein hat er schon eine Stunde zuvor entkorkt, damit er ein wenig atmet. Jetzt ist der Händler da. Der Winzer schenkt den Jahrgang 2004 ein, dann reibt er sich nervös die Hände, beobachtet den Einkäufer. Neal Rosenthal schwenkt das Glas, hält es an die Nase, riecht, schwenkt noch einmal, kostet, gurgelt und schmatzt den Wein, spuckt ihn aus.

    "Das ist ein Wein, der mir gut gefällt. Er ist nicht immens, will nicht überwältigen, sondern ist sehr subtil, fein und komplex. Ein Wein, der viel über Saint-Estèphe erzählt, sein Anbaugebiet, das Terroir. Ich mag es, wenn der Wein nach dem Ort schmeckt, wo er gewachsen ist. Außerdem spricht er über seinen Jahrgang. Das ist wichtig, denn wenn alle Weine und alle Jahrgänge gleich schmecken würden, dann bräuchten wir ja keine Degustation zu veranstalten. "

    März ist eine ruhige Zeit im Weinbau, der einzige Monat, in dem René Rabillier mit seiner Familie Ferien macht. Der Winzer ist braungebrannt. Für den Besuch des Händlers aus New York hat er seinen Urlaub unterbrochen. Denn Neal Rosenthal ist ein wichtiger Mann: In Amerika hat er einen festen Kundenkreis für französische Spitzenweine aufgebaut.
    Der Winzer strahlt. Die Begeisterung des Händlers beflügelt ihn. René Rabiller greift zur nächsten Flasche, Jahrgang 2003, der Wein des Jahrhundertsommers.
    "2003 ist etwas runder als 2004, der Tanningeschmack ist jedoch härter. Die meisten glauben ja, dass ein heißer Sommer besonders reife und reiche Weine hervorbringt. Aber das stimmt nicht immer. 2003 war es sehr trocken. Ohne Wasser können die Trauben nicht reifen. Selbst wenn dieser Jahrgang viel Zucker und Struktur besitzt, so kann er doch einen Geschmack von Unreife entwickeln, und das ist unangenehm. Heute Morgen bevorzuge ich eindeutig den 2004er. Aber beide Weine sind noch zu jung. Ich bin gespannt, wie sie sich im Lauf der Jahre entwickeln werden. "

    2002, 2001, 2000, 1999… Neal Rosenthal kostet auch die älteren Jahrgänge. Und prüft, ob sich der jüngste Wein in die Linie einfügt. Sein Notizbuch hat er im Auto gelassen. Heute verlässt er sich ganz auf sein Gedächtnis. Da speichert er die Geschmäcker aller Weine, die er in seinen Keller aufnimmt.

    Einen letzten Schluck, dann bricht er auf. Geschäftlich ist ohnehin alles klar: Rosenthal pflegt seine Winzer wie die ihre Reben. Er bleibt ihnen in guten und in schlechten Jahren treu. Das hat er nie bereut.

    "Ich kaufe regelmäßig bei meinen Winzern. Sie nicht im Stich zu lassen, ist extrem wichtig. Ich kaufe jedes Jahr die gleiche Menge. So kann ich die Entwicklung eines Weingutes verfolgen. Und wenn der Jahrgang 2000 früher trinkbar ist als der Millésime 1999, dann muss ich den schwierigeren Jahrgang eben so lange lagern, bis er gereift ist. Ein ganz großes Problem unserer Zeit besteht darin, dass der Markt heute ganz junge Weine beurteilt, kauft und konsumiert. Warum? Weil es teuer ist, Weine zu lagern. Ich arbeite mit Winzern, deren Weine altern können. "

    Rosenthal ist schlank und sportlich. Er trägt einen grauen Cashemir-Pullover und eine dunkle Cordhose. Als junger Mann war er Rechtsanwalt, aber der Beruf fesselte ihn nicht. Dann wollte er Schriftsteller werden. Um Geld zu verdienen, übernahm er einen Laden mit einem Weinkeller. Und plötzlich wurde Wein zu seiner Leidenschaft.

    Zuhause, in New York, läuft er Marathon. Nur deshalb, sagt der 51-Jährige, hält er diese Reise durch. Jedes Frühjahr und jeden Herbst besucht er seine Winzer, seit 25 Jahren schon. Ermutigt sie. Fordert sie auf, authentisch zu bleiben, keinen Verlockungen zu erliegen, ihre Weine nicht zu manipulieren.

    "Großartige Weine erinnern mich an Kinder. Kleine Kinder sind niedlich und lustig. Aber wenn man mit ihnen in einen echten Dialog eintreten will, dann muss man zumindest abwarten, bis sie sich zu Jugendlichen entwickelt haben. Das gilt auch für Weine. Einige zeigen ihren wahren Charakter erst mit 5, 8, 12 oder sogar 15 Jahren. "

    Der New Yorker stemmt sich gegen den Zeitgeist, wehrt sich gegen schnellen und einfachen Genuss. Kalifornische Weine, sagt er, sind oft schwer und gefällig. Außerdem ist es in den USA üblich, dass Weine verwässert, synthetisiert, neu zusammengesetzt und aromatisiert werden. Noch ist das in Frankreich nicht erlaubt. Aber der Druck wächst, diese Verbote zu lockern.

    "Bordeaux kann nicht mit den üppigen Weinen der sonnenreichen Länder konkurrieren. Wenn die Winzer hier Weine wie aus Kalifornien oder Australien machen wollen, dann müssen sie manipulieren, denn die Natur gibt das nicht her. Das ist ein großer Fehler. "

    Château Beychevelle, Château Lagrange, Château Talbot – große Herrenhäuser säumen die Landstraße nach Saint-Julien. Die Weinberge ziehen sich bis ans Flussufer der Gironde, die hier braun und gemächlich dem Atlantik entgegen fließt.

    Rosenthal lässt sie links liegen, fährt an einer riesengroßen Weinflasche aus schwarzem Plastik vorbei, biegt ab in einen kleinen Schotterweg, hält vor einem schiefen Schuppen mit flachem Ziegeldach. "Domaine du Jaugaret", sagt er, nur einen Hektar groß. Aber ein Weingut, das seines Gleichen sucht.
    Danach sieht es eigentlich nicht aus. Das Holztor zur Kellerei ist geöffnet. Die Wände sind schwarz vor Feuchtigkeit. Im Dämmerlicht einer schwachen Glühbirne zeichnen sich die Fässer ab. Neben einer alten Handpresse steht der Winzer, ein grauhaariger Mann mit Borstenschnitt. Jean-François Filastre entkorkt eine Flasche.

    "Ich habe nichts erfunden. Ich erzeuge den Wein so, wie es meine Vorfahren gemacht haben, wiederhole nur, was sich bewährt hat. Ich arbeite mit den klassischen Reben: viel Cabernet Sauvignon, ein bisschen Merlot und ein paar alte Malbec. Einige sind weit über 100 Jahre alt, die haben sogar die Phylloxera im 19. Jahrhundert überlebt. Sie tragen nicht mehr viel, aber ich respektiere sie. "
    Cabernet Sauvignon, sagt der Händler, die Médoc-Traube. Er nickt anerkennend. Eine Rebe, die spät reift und nicht so gefällig ist. Nichts für ungeduldige Winzer. Deshalb ist in Saint-Julien der Merlot auf dem Vormarsch.

    "Wenn der Anteil an Cabernet abnimmt, dann verliert der Wein von Saint-Julien das Terroir. Domaine du Jaugaret erzeugt zwar höchstens 6.000 Flaschen im Jahr… Aber ein Wein wie dieser hat enormen Einfluss. Das ist reiner Saint-Julien. "

    Drei Wochen ist Neal Rosenthal schon unterwegs, hat das Elsass bereist, das Loire-Tal, den Jura und Burgund, jeden Tag an die 60 Weine degustiert. Heute warten noch Winzer in Margaux, Graves und Sauternes auf ihn, am Abend will er im Languedoc übernachten. Wieder am Steuer reibt er sich die Augen. Das Leihauto verzeichnet schon 6.000 Kilometer. Rosenthal wirkt müde. Doch auf die Begegnung mit seinen Winzern verzichtet er um nichts in der Welt.

    "Wein ist wie ein Virus. Wenn man sich einmal dafür interessiert, dann kann man nicht mehr aufhören. Wein ist so faszinierend, das man sich ein ganzes Leben lang damit befassen kann. "