Auf der Brücke über die Moskwa schieben Räumfahrzeuge der Stadtreinigung Schneematsch hin und her. Ein paar Touristen schlendern vom Roten Platz in Richtung Tretjakow-Viertel. Sie kommen an einem Blumenmeer vorbei. Gelbe Rosen und rote Nelken liegen am Brückengeländer. Hier wurde der Oppositionspolitiker Boris Nemzow erschossen. Morgen jährt sich der Mord zum ersten Mal. Zwischen den Sträußen lehnen Porträts des Politikers: Graues gewelltes Haar, offener Blick, weiter Kragen. Die Rentnerin Tatjana rückt die Blumen zurecht:
"Ich wusste fast nichts über den Menschen, als der Mord geschah. Dann habe ich einiges über Nemzow gelesen. Wenn es in der Politik überhaupt so etwas wie Anstand gibt, dann war er wohl einer der anständigsten. Deshalb bin ich hier. Außerdem habe ich keine andere Möglichkeit zu protestieren. Demonstrationen werden ja kaum noch genehmigt. Hier drücke ich aus, dass ich mit dem, was in Russland passiert, nicht einverstanden bin."
Die Fotos vom Tatort gingen um die Welt: Der leblose Körper auf dem Bürgersteig, der Pullover hochgerutscht. Später dann ein schwarzer Plastiksack mit Nemzows Leichnam. Nur 200 Meter entfernt die Kremlmauer. Im Hintergrund die bunten Türme der Basilius Kathedrale.
Der Staat hat Boris Nemzow zu Lebzeiten an den Rand gedrängt. Nach seinem gewaltsamen Tod soll er nun nicht mal eine offizielle Gedenktafel erhalten. Nemzow begann seine politische Karriere Anfang der 1990er-Jahre. Bereits mit 32 Jahren wurde er Gouverneur des Gebiets Nischnij Nowgorod und setzte dort demokratische Reformen durch. 1997 machte Präsident Jelzin ihn zum stellvertretenden Premierminister. Eine Zeit lang galt Nemzow als möglicher Nachfolger Jelzins. Doch der entschied sich für Wladimir Putin.
"Ich wusste fast nichts über den Menschen, als der Mord geschah. Dann habe ich einiges über Nemzow gelesen. Wenn es in der Politik überhaupt so etwas wie Anstand gibt, dann war er wohl einer der anständigsten. Deshalb bin ich hier. Außerdem habe ich keine andere Möglichkeit zu protestieren. Demonstrationen werden ja kaum noch genehmigt. Hier drücke ich aus, dass ich mit dem, was in Russland passiert, nicht einverstanden bin."
Die Fotos vom Tatort gingen um die Welt: Der leblose Körper auf dem Bürgersteig, der Pullover hochgerutscht. Später dann ein schwarzer Plastiksack mit Nemzows Leichnam. Nur 200 Meter entfernt die Kremlmauer. Im Hintergrund die bunten Türme der Basilius Kathedrale.
Der Staat hat Boris Nemzow zu Lebzeiten an den Rand gedrängt. Nach seinem gewaltsamen Tod soll er nun nicht mal eine offizielle Gedenktafel erhalten. Nemzow begann seine politische Karriere Anfang der 1990er-Jahre. Bereits mit 32 Jahren wurde er Gouverneur des Gebiets Nischnij Nowgorod und setzte dort demokratische Reformen durch. 1997 machte Präsident Jelzin ihn zum stellvertretenden Premierminister. Eine Zeit lang galt Nemzow als möglicher Nachfolger Jelzins. Doch der entschied sich für Wladimir Putin.
"Wir haben einen sehr großen Politiker verloren"
Für Nemzow begann der politische Abstieg. Seine Partei verfehlte den Einzug ins Parlament, er verlor die Wahl zum Bürgermeister in Sotschi. Trotzdem gab er nicht auf. Er wurde Co-Vorsitzender der Partei der Volksfreiheit, kurz RPR-Parnas. Nach den nach Meinung von OSZE-Beobachtern manipulierten Parlamentswahlen 2011 führte Nemzow die Protestbewegung mit an. 2013 ließ er sich in das Regionalparlament der Provinzstadt Jaroslawl wählen.
Nemzow kritisierte Präsident Wladimir Putin aufs Schärfste, prangerte Korruption auf höchster Regierungsebene an und verurteilte Russlands Aggression gegen die Ukraine. Ljudmila Alexejwa, Gründerin des Helsinki Komitees in Russland und mit ihren 88 Jahren die Grand Dame der Menschenrechtler in Russland, sagt über Nemzow:
"Wir haben einen sehr großen Politiker verloren und einen einfach sehr guten Menschen. Nie hat er seinen verlorenen Posten hinterhergetrauert, seinen Überzeugungen ist er treu geblieben und er hat gemacht, was er für nötig hielt, egal, in welcher Lage er war. Er war sich zum Beispiel nicht zu schade, in der Metro Unterschriften zu sammeln."
Der Mord an Nemzow habe mit einem Tabu gebrochen, sagt Alexejewa:
"Im Unterschied zu Boris Nemzow legen unsere Machthaber viel Wert auf die Ranghöhe eines Politikers. Wer jemals einen hohen Posten hatte, galt lange als unantastbar. Das hat sich mit dem Mord an Nemzow geändert."
Nemzow kritisierte Präsident Wladimir Putin aufs Schärfste, prangerte Korruption auf höchster Regierungsebene an und verurteilte Russlands Aggression gegen die Ukraine. Ljudmila Alexejwa, Gründerin des Helsinki Komitees in Russland und mit ihren 88 Jahren die Grand Dame der Menschenrechtler in Russland, sagt über Nemzow:
"Wir haben einen sehr großen Politiker verloren und einen einfach sehr guten Menschen. Nie hat er seinen verlorenen Posten hinterhergetrauert, seinen Überzeugungen ist er treu geblieben und er hat gemacht, was er für nötig hielt, egal, in welcher Lage er war. Er war sich zum Beispiel nicht zu schade, in der Metro Unterschriften zu sammeln."
Der Mord an Nemzow habe mit einem Tabu gebrochen, sagt Alexejewa:
"Im Unterschied zu Boris Nemzow legen unsere Machthaber viel Wert auf die Ranghöhe eines Politikers. Wer jemals einen hohen Posten hatte, galt lange als unantastbar. Das hat sich mit dem Mord an Nemzow geändert."
"Die Mörder wollten Angst verbreiten"
Im Mai, drei Monate nach dem Mord an dem Politiker, wurde Wladimir Kara-Mursa vergiftet. Er leitet die Open Russia Stiftung in Russland, ein von dem Ex-Oligarchen und Putin-Kritiker Michail Chodorkowskij finanziertes Netzwerk. Die Umstände der Tat sind bislang ungeklärt. Das Gift sorgte für einen kompletten Organausfall, die Ärzte gaben ihm eine Überlebenschance von fünf Prozent. Kara-Mursa überlebte. Mit Boris Nemzow war er sehr eng befreundet:
"Die Mörder lagen richtig. Sie haben uns unseren stärksten Mann genommen, den effektivsten und beliebtesten Anführer der russischen Opposition. Und die Mörder hatten natürlich noch ein Ziel. Sie wollten Angst verbreiten. Ihre Botschaft: Wenn wir den Oppositionsführer 200 Meter vom Kreml erschießen können, können wir mit den übrigen machen, was wir wollen."
Die Tat geschah am Abend des 27. Februar gegen Mitternacht. Boris Nemzow war zu Fuß auf dem Heimweg aus einem Café, in Begleitung seiner Lebensgefährtin. Der Täter schoss ihm mehrfach in den Rücken, flüchtete mit dem Auto. Präsident Putin reagierte noch nachts: Er sprach den Angehörigen Nemzows sein Beileid aus und ließ über seinen Sprecher verkünden, es handele sich um einen Auftragsmord und eine Provokation. Und er wies den Leiter des Ermittlungskomitees, den Innenminister und den Geheimdienstchef an, unverzüglich eine Sonderermittlungsgruppe zu bilden und diese persönlich zu beaufsichtigen.
Zwei Tage darauf versammelten sich zigtausende Bürger zu einem Trauermarsch in Moskau. So viele Menschen waren lange nicht zu Protestveranstaltungen gekommen. Die Leute waren entsetzt: Wie war so ein Verbrechen möglich, so nah am Kreml?
Die Ermittler arbeiteten schnell. Wenige Tage nach dem Mord nahmen sie fünf Verdächtige fest. Sie stammen aus Tschetschenien im russischen Nordkaukasus. Den Ermittlern zufolge hatte die Gruppe Nemzow seit September 2014 beschattet. Mindestens zwei von ihnen haben gestanden, teils aber später widerrufen. Darunter der mutmaßliche Schütze. Für den Mord sollen ihnen fünfzehn Millionen Rubel, zu dem Zeitpunkt gut 200.000 Euro, versprochen worden sein, so einer der Verdächtigen bei einem Verhör.
"Die Mörder lagen richtig. Sie haben uns unseren stärksten Mann genommen, den effektivsten und beliebtesten Anführer der russischen Opposition. Und die Mörder hatten natürlich noch ein Ziel. Sie wollten Angst verbreiten. Ihre Botschaft: Wenn wir den Oppositionsführer 200 Meter vom Kreml erschießen können, können wir mit den übrigen machen, was wir wollen."
Die Tat geschah am Abend des 27. Februar gegen Mitternacht. Boris Nemzow war zu Fuß auf dem Heimweg aus einem Café, in Begleitung seiner Lebensgefährtin. Der Täter schoss ihm mehrfach in den Rücken, flüchtete mit dem Auto. Präsident Putin reagierte noch nachts: Er sprach den Angehörigen Nemzows sein Beileid aus und ließ über seinen Sprecher verkünden, es handele sich um einen Auftragsmord und eine Provokation. Und er wies den Leiter des Ermittlungskomitees, den Innenminister und den Geheimdienstchef an, unverzüglich eine Sonderermittlungsgruppe zu bilden und diese persönlich zu beaufsichtigen.
Zwei Tage darauf versammelten sich zigtausende Bürger zu einem Trauermarsch in Moskau. So viele Menschen waren lange nicht zu Protestveranstaltungen gekommen. Die Leute waren entsetzt: Wie war so ein Verbrechen möglich, so nah am Kreml?
Die Ermittler arbeiteten schnell. Wenige Tage nach dem Mord nahmen sie fünf Verdächtige fest. Sie stammen aus Tschetschenien im russischen Nordkaukasus. Den Ermittlern zufolge hatte die Gruppe Nemzow seit September 2014 beschattet. Mindestens zwei von ihnen haben gestanden, teils aber später widerrufen. Darunter der mutmaßliche Schütze. Für den Mord sollen ihnen fünfzehn Millionen Rubel, zu dem Zeitpunkt gut 200.000 Euro, versprochen worden sein, so einer der Verdächtigen bei einem Verhör.
Hintermänner sind nach wie vor auf freiem Fuß
Die fünf Männer sitzen bis heute in U-Haft in einem Moskauer Gefängnis. Ende Dezember wurde ihnen die Anklage vorgelegt. Sie lautet auf Auftragsmord in einer Gruppe und auf unerlaubten Waffenbesitz. Die Ermittlungen gegen sie sind offiziell abgeschlossen. Die Hintermänner allerdings sind nach wie vor auf freiem Fuß und nicht mal vollständig identifiziert. Die Ermittler haben einen Namen veröffentlicht. Behördensprecher Wladimir Markin sagte vor zwei Monaten:
"Ruslan Muchudinow ist seit November 2015 international zur Fahndung ausgeschrieben. Seine Festnahme ist nur eine Frage der Zeit."
Der Tschetschene Muchudinow soll den Mord organisiert und in Auftrag gegeben haben. Außerdem ist die Rede von "unbekannten" Mitorganisatoren. Zu dem Motiv gibt es keine schlüssigen Angaben. Die festgenommenen Tatverdächtigen sprachen in Verhören von angeblichen antiislamischen Äußerungen Nemzows im Zusammenhang mit dem Anschlag auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo Anfang 2015. Die Beschattung Nemzows begann aber schon Monate zuvor.
Der Leiter der russischen Ermittlungsbehörde erklärte das Verbrechen kürzlich sogar für aufgeklärt. Nemzows Mitstreiter und Anwälte sind ganz anderer Ansicht. Nemzows langjähriger Anwalt, Wadim Prochorow, sagt, dass die Ermittler sehr wahrscheinlich die ausführenden Täter gefasst hätten:
"Aber hinsichtlich der Organisatoren haben die Ermittler ein totales Fiasko produziert. Ruslanhat sicher nicht 15 Millionen Rubel versprochen. Er ist Chauffeur."
Muchudinow sei nur ein kleines Licht, so Prochorow. Die wahren Hintermänner seien viel höher angesiedelt, in der politischen Elite Tschetscheniens. Der Anwalt nennt einen Namen: Ruslan Geremejew. Geremejew ist stellvertretender Kommandeur eines Bataillons, das dem tschetschenischen Innenministerium unterstellt ist. Und er ist der Neffe des Vertreters Tschetscheniens im Föderationsrat, dem russischen Oberhaus. Ruslan Geremejew habe das Verbrechen vermutlich organisiert, sagt Prochorow.
"Ruslan Muchudinow ist seit November 2015 international zur Fahndung ausgeschrieben. Seine Festnahme ist nur eine Frage der Zeit."
Der Tschetschene Muchudinow soll den Mord organisiert und in Auftrag gegeben haben. Außerdem ist die Rede von "unbekannten" Mitorganisatoren. Zu dem Motiv gibt es keine schlüssigen Angaben. Die festgenommenen Tatverdächtigen sprachen in Verhören von angeblichen antiislamischen Äußerungen Nemzows im Zusammenhang mit dem Anschlag auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo Anfang 2015. Die Beschattung Nemzows begann aber schon Monate zuvor.
Der Leiter der russischen Ermittlungsbehörde erklärte das Verbrechen kürzlich sogar für aufgeklärt. Nemzows Mitstreiter und Anwälte sind ganz anderer Ansicht. Nemzows langjähriger Anwalt, Wadim Prochorow, sagt, dass die Ermittler sehr wahrscheinlich die ausführenden Täter gefasst hätten:
"Aber hinsichtlich der Organisatoren haben die Ermittler ein totales Fiasko produziert. Ruslanhat sicher nicht 15 Millionen Rubel versprochen. Er ist Chauffeur."
Muchudinow sei nur ein kleines Licht, so Prochorow. Die wahren Hintermänner seien viel höher angesiedelt, in der politischen Elite Tschetscheniens. Der Anwalt nennt einen Namen: Ruslan Geremejew. Geremejew ist stellvertretender Kommandeur eines Bataillons, das dem tschetschenischen Innenministerium unterstellt ist. Und er ist der Neffe des Vertreters Tschetscheniens im Föderationsrat, dem russischen Oberhaus. Ruslan Geremejew habe das Verbrechen vermutlich organisiert, sagt Prochorow.
Hat Ramsan Kadyrow mit dem Mord an Nemzow zu tun?
Nach Recherchen der Zeitung Nowaja Gaseta hat der Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes den russischen Präsidenten schon am 2. März 2015 informiert: Über den mutmaßlichen Tathergang und die vermutlich tragende Rolle des tschetschenischen Kommandeurs. Doch in der Anklageschrift taucht der Name Geremejew nicht auf. Er werde gedeckt, vermutet Nemzows Anwalt Prochorow:
"Nach meinen Kenntnissen haben die Ermittler zwei Mal, im Juli und im September, vorgeschlagen, gegen Ruslan Muchudinow und gegen Ruslan Geremejew in Abwesenheit Anklage zu erheben. Beide Male hat der Leiter der Behörde, Bastrykin, interveniert. Weil es angeblich keine ausreichenden Beweise gäbe. Sobald dann die Ermittler Ende Oktober 2015 vorschlugen, nur den Fahrer Muchudinow in Abwesenheit anzuklagen, war Bastrykin sofort einverstanden. Warum? Muchudinow gehört zu keinem Clan, er ist im Prinzip nichts als ein Freund Geremejews. Geremejew dagegen gehört zur tschetschenischen Elite und zum engen Umfeld Ramsan Kadyrows."
Ramsan Kadyrow. Im Umfeld Nemzows glauben viele, dass er mit dem Mord an Boris Nemzow zu tun hat. Ramsan Kadyrow steht an der Spitze der Teilrepublik Tschetschenien. Der 39-Jährige regiert diktatorisch. Seine Widersacher haben Tschetschenien verlassen oder sind tot. Der Name Kadyrow wird mit mehreren politischen Morden in Verbindung gebracht. Der Tschetschene hat Wladimir Putin mehrfach öffentlich die Treue geschworen. Gleichzeitig beansprucht Kadyrow für sich und seine Republik Sonderrechte, hindert föderale Sicherheitskräfte daran, in Tschetschenien tätig zu werden.
Ein anderer einflussreicher Politiker, der Geremejew möglicherweise deckt, heißt Adam Delimchanow. Er sitzt für die Kreml-Partei "Einiges Russland" in der Staatsduma. Ruslan Geremejew ist sein Cousin. In Tschetschenien zählt Verwandtschaft viel. Im vergangenen Frühjahr schrieben russische Medien, Ruslan Geremejew halte sich in dem tschetschenischen Ort Dschalka auf. Es ist das Heimatdorf des Duma-Abgeordneten Delimchanow. Es hieß, Ermittler aus Moskau hätten versucht, Ruslan Geremejew dort zu verhören. Sie seien aber von tschetschenischen Sicherheitskräften, den Kadyrowzy, vor dem Dorf gestoppt worden und hätten unverrichteter Dinge wieder abziehen müssen.
"Nach meinen Kenntnissen haben die Ermittler zwei Mal, im Juli und im September, vorgeschlagen, gegen Ruslan Muchudinow und gegen Ruslan Geremejew in Abwesenheit Anklage zu erheben. Beide Male hat der Leiter der Behörde, Bastrykin, interveniert. Weil es angeblich keine ausreichenden Beweise gäbe. Sobald dann die Ermittler Ende Oktober 2015 vorschlugen, nur den Fahrer Muchudinow in Abwesenheit anzuklagen, war Bastrykin sofort einverstanden. Warum? Muchudinow gehört zu keinem Clan, er ist im Prinzip nichts als ein Freund Geremejews. Geremejew dagegen gehört zur tschetschenischen Elite und zum engen Umfeld Ramsan Kadyrows."
Ramsan Kadyrow. Im Umfeld Nemzows glauben viele, dass er mit dem Mord an Boris Nemzow zu tun hat. Ramsan Kadyrow steht an der Spitze der Teilrepublik Tschetschenien. Der 39-Jährige regiert diktatorisch. Seine Widersacher haben Tschetschenien verlassen oder sind tot. Der Name Kadyrow wird mit mehreren politischen Morden in Verbindung gebracht. Der Tschetschene hat Wladimir Putin mehrfach öffentlich die Treue geschworen. Gleichzeitig beansprucht Kadyrow für sich und seine Republik Sonderrechte, hindert föderale Sicherheitskräfte daran, in Tschetschenien tätig zu werden.
Ein anderer einflussreicher Politiker, der Geremejew möglicherweise deckt, heißt Adam Delimchanow. Er sitzt für die Kreml-Partei "Einiges Russland" in der Staatsduma. Ruslan Geremejew ist sein Cousin. In Tschetschenien zählt Verwandtschaft viel. Im vergangenen Frühjahr schrieben russische Medien, Ruslan Geremejew halte sich in dem tschetschenischen Ort Dschalka auf. Es ist das Heimatdorf des Duma-Abgeordneten Delimchanow. Es hieß, Ermittler aus Moskau hätten versucht, Ruslan Geremejew dort zu verhören. Sie seien aber von tschetschenischen Sicherheitskräften, den Kadyrowzy, vor dem Dorf gestoppt worden und hätten unverrichteter Dinge wieder abziehen müssen.
Morddrohungen gegen russische Oppositionspolitiker
Der Anwalt Wadim Prochorow hat aufgrund all dessen beantragt, Kadyrow, Delimchanow und andere einflussreiche Tschetschenen als Zeugen im Mordfall Nemzow zu vernehmen. Der Antrag wurde abgelehnt. Kadyrow und seine Unterstützer wurden nach dem Nemzow-Mord immer aggressiver. Im Januar gingen in Grosny Zigtausende für Kadyrow und gegen angebliche "Volksfeinde" auf die Straße. Auf der Bühne trat unter anderem der Kadyrow-Vertraute und Duma-Abgeordnete Delimchanow auf, mit unverhohlenen Drohungen:
"Wir kennen unsere Feinde und die Verräter dieses Landes. Wir haben Listen mit ihren Namen in den Taschen. Für jedes Wort gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin oder gegen das Oberhaupt Tschetscheniens werden sie sich verantworten müssen. Im Rahmen des Gesetzes und auch außerhalb."
Dann fielen Namen, darunter die von Oppositionspolitikern und Journalisten in Moskau. Kurz darauf tauchte im Internet ein Video auf, das im Namen Kadyrows veröffentlicht wurde. Es zeigt den russischen Oppositionspolitiker Michail Kasjanow von der Nemzow-Partei Parnas und den Nemzow-Vertrauten Wladimir Kara-Mursa. Beide in einem Fadenkreuz mit der Unterschrift: "Wer bis jetzt nicht verstanden hat, wird jetzt verstehen." Kasjanow begriff das als Morddrohung.
Boris Nemzow berichtete bereits 2007 in seiner Autobiografie von einer Begegnung mit Ramsan:
"Ramsan Kadyrow lernte ich unter ziemlich heiklen Umständen kennen. Sein verstorbener Vater Achmat Kadyrow hatte mich auf einen Kongress des tschetschenischen Volkes eingeladen, im Dezember 2002. Wir diskutierten die Verfassung Tschetscheniens. Ich sagte, dass die tschetschenische Tradition keinen Präsidenten vorsehe und man ein Parlament gründen müsse. Als ich aus dem Saal ging, kam ein Mann mit blassen Augen auf mich zu und sagte, für solche Worte müsse man mich töten. Das war Ramsan Kadyrow. In seinen Augen konnte ich keine Andeutung von Spaß entdecken. Ich sah dort Hass."
"Wir kennen unsere Feinde und die Verräter dieses Landes. Wir haben Listen mit ihren Namen in den Taschen. Für jedes Wort gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin oder gegen das Oberhaupt Tschetscheniens werden sie sich verantworten müssen. Im Rahmen des Gesetzes und auch außerhalb."
Dann fielen Namen, darunter die von Oppositionspolitikern und Journalisten in Moskau. Kurz darauf tauchte im Internet ein Video auf, das im Namen Kadyrows veröffentlicht wurde. Es zeigt den russischen Oppositionspolitiker Michail Kasjanow von der Nemzow-Partei Parnas und den Nemzow-Vertrauten Wladimir Kara-Mursa. Beide in einem Fadenkreuz mit der Unterschrift: "Wer bis jetzt nicht verstanden hat, wird jetzt verstehen." Kasjanow begriff das als Morddrohung.
Boris Nemzow berichtete bereits 2007 in seiner Autobiografie von einer Begegnung mit Ramsan:
"Ramsan Kadyrow lernte ich unter ziemlich heiklen Umständen kennen. Sein verstorbener Vater Achmat Kadyrow hatte mich auf einen Kongress des tschetschenischen Volkes eingeladen, im Dezember 2002. Wir diskutierten die Verfassung Tschetscheniens. Ich sagte, dass die tschetschenische Tradition keinen Präsidenten vorsehe und man ein Parlament gründen müsse. Als ich aus dem Saal ging, kam ein Mann mit blassen Augen auf mich zu und sagte, für solche Worte müsse man mich töten. Das war Ramsan Kadyrow. In seinen Augen konnte ich keine Andeutung von Spaß entdecken. Ich sah dort Hass."
"Putin trägt die politische Verantwortung für den Nemzow Mord"
Kann man aus all dem schließen, dass Kadyrow den Mord an Nemzow in Auftrag gegeben hat? Anwalt Prochorow ist vorsichtig:
"Ich sage nicht, dass Kadyrow persönlich den Mord angeordnet hat. Wer nachdenkt, kann seine eigenen Schlüsse ziehen."
Ilja Jaschin sieht es ähnlich. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Parnas-Partei und hat gerade einen Bericht über Kadyrow veröffentlicht:
"Niemand weiß, ob Kadyrow den Mord in Auftrag gab. Ich weiß, dass die Spur zu ihm führt. Die Leute, die Nemzow umgebracht haben, sind mit dem Umfeld Kadyrows verbunden. Und ich habe große Zweifel, dass sie handeln konnten, ohne das mit Ramsan Kadyrow abzustimmen. Aber ob Kadyrow das letzte Glied der Kette ist, weiß ich nicht."
Jaschin hält es für möglich, dass Kadyrow den Mord nur organisierte, der Auftrag aber von noch höherer Stelle kam. Die Frage, welche Verantwortung Wladimir Putin für den Mord an Nemzow trägt, wurde im vergangenen Jahr oft gestellt. Jaschin beantwortet sie so:
"Ich weiß nicht, ob Putin eine direkte Beziehung zum Mord an Nemzow hat. Ich will das nicht glauben. Aber ich kann es nicht ausschließen. Und Putin trägt zumindest die politische Verantwortung für den Nemzow Mord. Er trägt direkte Verantwortung für das, was Kadyrow tut, denn Putin hat ihn an die Spitze Tschetscheniens gesetzt, Putin hat ihn mit beispiellosen Vollmachten versehen, Putin hat das Regime Kadyrows mit Geld, Ressourcen und Einfluss vollgepumpt. Kadyrow ist, politisch gesehen, Putins Kind."
Bei seiner Jahrespressekonferenz Ende letzten Jahres wurde Putin gefragt, ob er mit Kadyrow über die Ermittlungen im Fall Nemzow gesprochen habe. Der Präsident verneinte und stellte klar:
"Ich habe das Verhältnis zu Boris Nemzow nicht verdorben. Er hat diesen Weg des politischen Kampfes und persönlicher Angriffe gewählt. Aber deshalb muss man einen Menschen nicht umbringen. Einen Mord würde ich nie akzeptieren."
"Ich sage nicht, dass Kadyrow persönlich den Mord angeordnet hat. Wer nachdenkt, kann seine eigenen Schlüsse ziehen."
Ilja Jaschin sieht es ähnlich. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Parnas-Partei und hat gerade einen Bericht über Kadyrow veröffentlicht:
"Niemand weiß, ob Kadyrow den Mord in Auftrag gab. Ich weiß, dass die Spur zu ihm führt. Die Leute, die Nemzow umgebracht haben, sind mit dem Umfeld Kadyrows verbunden. Und ich habe große Zweifel, dass sie handeln konnten, ohne das mit Ramsan Kadyrow abzustimmen. Aber ob Kadyrow das letzte Glied der Kette ist, weiß ich nicht."
Jaschin hält es für möglich, dass Kadyrow den Mord nur organisierte, der Auftrag aber von noch höherer Stelle kam. Die Frage, welche Verantwortung Wladimir Putin für den Mord an Nemzow trägt, wurde im vergangenen Jahr oft gestellt. Jaschin beantwortet sie so:
"Ich weiß nicht, ob Putin eine direkte Beziehung zum Mord an Nemzow hat. Ich will das nicht glauben. Aber ich kann es nicht ausschließen. Und Putin trägt zumindest die politische Verantwortung für den Nemzow Mord. Er trägt direkte Verantwortung für das, was Kadyrow tut, denn Putin hat ihn an die Spitze Tschetscheniens gesetzt, Putin hat ihn mit beispiellosen Vollmachten versehen, Putin hat das Regime Kadyrows mit Geld, Ressourcen und Einfluss vollgepumpt. Kadyrow ist, politisch gesehen, Putins Kind."
Bei seiner Jahrespressekonferenz Ende letzten Jahres wurde Putin gefragt, ob er mit Kadyrow über die Ermittlungen im Fall Nemzow gesprochen habe. Der Präsident verneinte und stellte klar:
"Ich habe das Verhältnis zu Boris Nemzow nicht verdorben. Er hat diesen Weg des politischen Kampfes und persönlicher Angriffe gewählt. Aber deshalb muss man einen Menschen nicht umbringen. Einen Mord würde ich nie akzeptieren."
Störungen gehören zum Alltag der russischen Opposition
Doch auch ohne Morddrohungen haben Kritiker des Kreml immer weniger Möglichkeiten, sich zu artikulieren und für ihre Positionen zu werben. Demonstrationen werden kaum noch genehmigt. Im Februar wurde die erste Menschenrechtsorganisation aufgelöst, die sich weigerte, sich in das sogenannte Register ausländischer Agenten einzutragen. Es traf die unabhängige Juristenvereinigung Agora. Selbst private Versammlungen von Oppositionellen werden unter fadenscheinigen Vorwänden aufgelöst. Störungen gehören zum Alltag der russischen Opposition.
Vor wenigen Tagen in Moskau im Büro der Partei Parnas, deren Co-Vorsitzender Boris Nemzow war. Ilja Jaschin steht vor Journalisten. Jaschin stellt seinen Bericht über Ramsan Kadyrow vor. Es geht um Korruption, die Privatarmee, um politische Morde. Gerade spricht er zum Mordfall Nemzow, da kommt die Polizei. Eine Bombendrohung. Die Journalisten sollen das Gebäude unverzüglich verlassen. Jaschin lässt sich nicht aus der Ruhe bringen:
"Leute, die Bombe geht noch nicht hoch, die wichtigste Bombe halte ich in der Hand. Haben Sie keine Angst."
Er hält den Bericht in die Kameras. Es ist schon die zweite Bombendrohung binnen 24 Stunden. Bereits am Vortag wurde das Parteibüro von Parnas durchsucht und nichts gefunden. Angst habe er nicht, sagt Jaschin. Aber:
"Natürlich kenne ich die Risiken für mich. Die Leute, die wir kritisieren, sind sehr gefährlich, sie haben Machtressourcen, sie haben politische Morde veranlasst. Aber wenn wir schweigen, dann steigen die Risiken für alle. Deshalb sind wir verpflichtet, weiterzumachen."
Vor wenigen Tagen in Moskau im Büro der Partei Parnas, deren Co-Vorsitzender Boris Nemzow war. Ilja Jaschin steht vor Journalisten. Jaschin stellt seinen Bericht über Ramsan Kadyrow vor. Es geht um Korruption, die Privatarmee, um politische Morde. Gerade spricht er zum Mordfall Nemzow, da kommt die Polizei. Eine Bombendrohung. Die Journalisten sollen das Gebäude unverzüglich verlassen. Jaschin lässt sich nicht aus der Ruhe bringen:
"Leute, die Bombe geht noch nicht hoch, die wichtigste Bombe halte ich in der Hand. Haben Sie keine Angst."
Er hält den Bericht in die Kameras. Es ist schon die zweite Bombendrohung binnen 24 Stunden. Bereits am Vortag wurde das Parteibüro von Parnas durchsucht und nichts gefunden. Angst habe er nicht, sagt Jaschin. Aber:
"Natürlich kenne ich die Risiken für mich. Die Leute, die wir kritisieren, sind sehr gefährlich, sie haben Machtressourcen, sie haben politische Morde veranlasst. Aber wenn wir schweigen, dann steigen die Risiken für alle. Deshalb sind wir verpflichtet, weiterzumachen."
"Wir müssen weitermachen, dem Gedenken an Boris Nemzow zuliebe"
Das sieht auch Nemzows Freund Wladimir Kara-Mursa so, der im Mai die Vergiftung nur knapp überlebte. Er wurde mehrere Monate im Ausland ärztlich behandelt, ist aber bewusst nach Russland zurückgekehrt:
"Das Kalkül der Mörder, dass wir Angst bekommen, dass wir verstummen, vielleicht sogar Russland verlassen, darf nicht aufgehen. Wir müssen weitermachen, dem Gedenken an Boris Nemzow zuliebe und für die Millionen unserer Mitbürger, die den tödlichen Kurs unserer Führung hin zu Isolation, Autoritarismus und Korruption nicht akzeptieren. Im Sinne derer, die unser Land demokratisch sehen wollen, müssen und werden wir weitermachen."
Für den morgigen Samstag haben Nemzows Freunde zu einem Gedenkmarsch in Moskau angerufen. Die Kundgebung wurde genehmigt. Die Veranstalter hoffen auf mehrere zigtausend Teilnehmer.
"Das Kalkül der Mörder, dass wir Angst bekommen, dass wir verstummen, vielleicht sogar Russland verlassen, darf nicht aufgehen. Wir müssen weitermachen, dem Gedenken an Boris Nemzow zuliebe und für die Millionen unserer Mitbürger, die den tödlichen Kurs unserer Führung hin zu Isolation, Autoritarismus und Korruption nicht akzeptieren. Im Sinne derer, die unser Land demokratisch sehen wollen, müssen und werden wir weitermachen."
Für den morgigen Samstag haben Nemzows Freunde zu einem Gedenkmarsch in Moskau angerufen. Die Kundgebung wurde genehmigt. Die Veranstalter hoffen auf mehrere zigtausend Teilnehmer.