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Kommentar zu Pistorius
"Kriegstüchtig" ist das richtige Wort zur Unzeit

Deutschland soll "kriegstüchtig" werden, fordert Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Seine Wortwahl sei drastisch, aber notwendig, meint unser Autor, da wir längst in Zeiten eines neuen Kalten Kriegs leben.

Ein Kommentar von Carsten Schmiester |
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius zu Besuch beim Panzerbataillon 203 in Augustdorf (Februar 2023).
"Kriegstüchtig" will Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius Deutschland machen. (IMAGO / Funke Foto Services / IMAGO / )
„Wir müssen kriegstüchtig werden“, hat Boris Pistorius wiederholt gesagt und damit nicht nur die Bundeswehr gemeint, sondern „unsere Gesellschaft“, also alle. Das ist ein harter Brocken gerade für uns Deutsche, von denen viele die eigene kriegerische Geschichte als übergeordnete Verantwortung für den Frieden begreifen.
Und dann „kriegstüchtig“? Wo doch allein das Wort „Krieg“ schlimm genug ist, Angst macht vor der Aggression anderer, aber eben auch vor dem, was Deutschland selbst einmal war? Dazu noch dieses „-tüchtig“. Es signalisiert Handlungswillen und Entschlossenheit und liegt nahe bei „kräftig“ oder „tapfer“.

Kehrtwende statt Zeitenwende?

Wie weit wäre es vom „Kriegstüchtig“ bis zum „immer feste Druff“ der düsteren Vergangenheit mit Kriegsverherrlichung und Heldenkult? Und ist es nicht genau das, was auch hinter der Idee eines bundesweiten Veteranen-Gedenktages steckt, für den sich im Bundestag eine breite Mehrheit abzeichnet? Tritt Pistorius also keine „Zeiten-“, sondern eine Kehrtwende los mindestens zurück in einen neuen Kalten Krieg?
Das sind berechtigte Fragen und Bedenken, aber der neue Kalte Krieg ist längst Realität und der Minister stellt sich dem nur scheinbaren Widerspruch, dass allein die Fähigkeit und Bereitschaft zum Einsatz militärischer Mittel mögliche Angreifer abschrecken und so Kriege verhindern können. Gefühlt ohne „mögliche Angreifer“ war das lange Zeit Theorie. Deutschland musste sich weder mit der Notwendigkeit, noch mit den Risiken und Nebenwirkungen der Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung auseinandersetzen. Dann hat der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine gezeigt, dass diese „Friedensdividende“ in Wahrheit nur ein Friedensdarlehen war, das jetzt mit schmerzhaften, weil verschleppten Debatten und vielen Milliarden zurückgezahlt wird.
Vor dem Hintergrund der schrecklichen Bilder und Berichte aus der Ukraine, auch aus Israel und Gaza, die doch alle nur das Eine sagen: Krieg ist eine Katastrophe – immer und für alle, Punkt! Das ist tatsächlich kaum zu ertragen. Und dann kommt jemand und sagt: Damit uns das nicht passiert, muss Deutschland „kriegstüchtig“ werden.

Raus aus der friedensbewegten Komfortzone

Diese drastische Wortwahl des Verteidigungsministers katapultiert die Deutschen aus der Komfortzone der vergangenen friedlichen Jahre. Er hat dieses beunruhigende „kriegstüchtig“ bewusst dem leichter verdaulichen „verteidigungsfähig“ entgegengestellt und damit einen Streit entfacht, der nötig ist und unabhängig vom Ergebnis zwei Dinge bewirkt: Die sicherheitspolitische Neuorientierung Deutschlands und eine bessere Bundeswehr. Pistorius hat damit - zur Unzeit - genau das Richtige gesagt.