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Bosbach fordert für "Deutschland einheitlich hohe Sicherheitsstandards"

Videotechnik sei kein Allheilmittel, sie könne aber helfen, "Schutzlücken zu schließen", sagt Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag. Das gelte insbesondere für Verkehrsknotenpunkte mit hohem Publikumsverkehr.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Christiane Kaess: "Run for Boston" – Lauf für Boston, das stand gestern auf Armbändern vieler Läufer beim Marathon in Hamburg. Die Veranstaltung stand also unter dem Eindruck der Bombenanschläge. Erst nach einer Schweigeminute machten sich die Sportler auf den Weg. Nach dem schnellenFahndungserfolg in Boston durch die Aufnahmen von Videokameras, mit denen die mutmaßlichen Täter gefunden wurden, hat auch hierzulande die Diskussion über Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen wieder Fahrt aufgenommen. Bundesinnenminister Friedrich will die Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen ausweiten, die Opposition, aber auch Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP warnt vor überzogenen Reaktionen. – Am Telefon ist Wolfgang Bosbach von der CDU, Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag. Guten Morgen!

    Wolfgang Bosbach: Guten Morgen, Frau Kaess.

    Kaess: Herr Bosbach, wissen Sie, ob beim Großmarathon in Hamburg gestern schon reagiert wurde und mehr Kameras installiert waren als ursprünglich geplant?

    Bosbach: Das ist mir nicht bekannt, vor allen Dingen, weil ich weder weiß noch wissen kann, wie viel Videotechnik in Hamburg ohnehin zum Einsatz kommen sollte. Mir ist auch nicht bekannt, inwieweit in Boston Videoaufzeichnungen aufgezeichnet wurden von Privaten, die jetzt genutzt wurden zur Fahndung nach den Tätern, oder wie viel Videoaufnahmen sozusagen amtlicherseits ohnehin gemacht worden sind, weil es sich ja um ein sportliches Großereignis gehandelt hat mit einem entsprechenden Gefahrenpotenzial.

    Kaess: Aber die Täter wurden offensichtlich über diese Bilder identifiziert?

    Bosbach: Ja.

    Kaess: Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, meint jetzt, dass nach einem Ereignis wie in Boston sofort Forderungen kommen, sei Teil des politischen Geschehens. Bei der konkreten Umsetzung der Videoüberwachung sollte dann aber wieder Besonnenheit einkehren. Also keine vorschnellen Schlüsse über eine stärkere Videoüberwachung hierzulande?

    Bosbach: Es geht darum, die richtigen Entscheidungen zu treffen, und über das Thema wird ja schon seit Jahren und auch seit Jahren kontrovers diskutiert, und es wird Zeit, dass man einmal ganz nüchtern darüber spricht. Es geht ja nicht, wie zum Beispiel in London, um eine flächendeckende Überwachung von allen Straßen, Plätzen oder gar ganzen Stadtvierteln, sondern es geht um den ganz gezielten Einsatz an Gefahrenschwerpunkten, und wir haben ja in Deutschland auch schnelle Fahndungserfolge erzielt durch den Einsatz von Videotechnik – denken Sie an die beiden Kofferbomben-Attentäter, die ja identifiziert worden sind mit dem berühmten Trikot von Michael Ballack. Weil eben Bilder von ihnen aufgezeichnet worden waren, hat es einen raschen Fahndungserfolg auch bei uns gegeben.

    Kaess: Sie sprechen von dem Fahndungserfolg. Aber auf der anderen Seite wissen wir bis heute nicht, wer im vergangenen Dezember die Bombe in einer Tasche am Bonner Hauptbahnhof abgestellt hat. Wo hakt es also hierzulande bei der Videoüberwachung?

    Bosbach: Der Fall Bonn ist ein "schönes" Beispiel dafür, wo die Probleme liegen. Zur Fahndung nach den Tätern mussten wir unter anderem auf Videoaufzeichnungen einer Schnellimbiss-Kette zurückgreifen, weil auf dem Bonner Hauptbahnhof selber der Ablagepunkt der Tasche überhaupt nicht im Blickfeld einer Videokamera war. Und wir brauchen doch in Deutschland einheitlich hohe Sicherheitsstandards, insbesondere bei Verkehrsknotenpunkten mit einem hohen Aufkommen an Publikumsverkehr, denn wir wissen ja, dass sich die Attentäter immer soft targets, weiche Ziele wählen, und es gibt eben bestimmte neuralgische Punkte, wo sich regelmäßig große Menschenmengen aufhalten. Den Tätern in Boston ging es ja auch nicht darum, bestimmte Personen zu töten, sondern möglichst viele. Das war ja der perfide Tatplan. Und da kann Videotechnik helfen, Gefahren rechtzeitig zu erkennen und abzuwehren. Videoeinsatz ist kein Allheilmittel, ist auch kein Patentrezept. Aber es kann einen Beitrag leisten, Videotechnik, um Schutzlücken zu schließen.

    Kaess: Aber, Herr Bosbach, Sie haben gerade selber gesagt, man diskutiert seit Jahren, und jetzt sagt Bundesinnenminister Friedrich, man arbeite mit der Bahn daran, die Überwachung auf Bahnhöfen zu verstärken. Wie kann es denn sein, dass sich Bahn und Bundespolizei für etwa 90 Prozent aller Bahnhöfe da noch nicht einigen konnten?

    Bosbach: Das ist eine gute Frage, die beschäftigt uns auch im Innenausschuss des Deutschen Bundestages. Hier geht es ja nicht darum, dass der Gesetzgeber tätig werden müsste, sondern es geht "nur" darum, dass die, die Verantwortung tragen – das ist auf der einen Seite der Eigentümer Deutsche Bahn AG und auf der anderen Seite die Bundespolizei, die für die Gewährleistung der Sicherheit auf Bahnhöfen und Bahnanlagen zuständig ist – ein Sicherheitskonzept auch umsetzen, das für alle, zumindest große deutsche Bahnhöfe gilt. Da brauchen wir einheitlich hohe Sicherheitsstandards. Nicht jeder Bahnhaltepunkt in Deutschland kann und wird mit Videotechnik ausgestattet werden. Im Übrigen kann sie auch nicht Personal ersetzen. Videotechnik macht nur dort Sinn, wo wir auch genügend Einsatzkräfte haben, um bei Gefahr im Verzug sofort zugreifen zu können.

    Kaess: Und hakt es jetzt an den Kosten, oder an den Kompetenzen? Das habe ich jetzt nicht verstanden.

    Bosbach: Nein es hakt offensichtlich daran, dass ja der Einsatz von Videotechnik, auch der entsprechende Personaleinsatz, mit nicht unerheblichen Kosten verbunden ist. Und dort, wo sich Bahn und Bundespolizei noch nicht einig sind, muss die Einigung rasch herbeigeführt werden. Der Fall Bonn ist ja dafür nur exemplarisch.

    Kaess: Wie wollen Sie diese Einigung schneller herbeiführen?

    Bosbach: Das ist Aufgabe des Bundes. Der Bundesinnenminister ist zuständig für die Bundespolizei. Das Thema Bundespolizei hat noch, wenn auch nicht mit dem Thema Videotechnik, am Mittwoch auf der Tagesordnung des Innenausschusses gestanden und die müssen sich jetzt einig werden, wo noch Schutzlücken sind, die man schließen muss.

    Kaess: Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagt, Deutschland verfüge über ausreichende Sicherheitsgesetze. Könnte man nach bestehenden Gesetzen die Videoüberwachung ausweiten?

    Bosbach: Meinen Sie jetzt im öffentlichen Bereich oder im privaten Hausrechtsbereich? Bei der Bahn sprechen wir ja nicht von öffentlichen Flächen, das ist ja privater Hausrechtsbereich, wie Flughäfen auch. Gerade im privaten Hausrechtsbereich findet ja ein großer Einsatz von Videotechnik statt. Wenn Sie eine Bank betreten, wissen Sie, da gibt es Videoanlagen. Tiefgaragen, selbst jede größere Tankstelle verfügt ja mittlerweile über Videotechnik. An öffentlichen Straßen und Plätzen ist in Deutschland sehr restriktiv Video im Einsatz. Da gibt es Länder, die haben viel mehr Technik im Einsatz als wir.

    Kaess: Finden Sie zu restriktiv?

    Bosbach: Das kommt darauf an. Sehen Sie mal den Fall Reeperbahn. Das ist ein gutes Beispiel dafür. Die Reeperbahn galt und gilt als Gefahrenschwerpunkt. Das Land Hamburg hat sich dort darum bemüht, durch den Einsatz von Videotechnik die Bevölkerung stärker vor Straftaten zu schützen. Dann hat es sofort wieder rechtliche Auseinandersetzungen gegeben. Wir haben in Deutschland ein sehr strenges Datenschutzrecht, also kein Bereich darf geheim videoüberwacht werden, die Bevölkerung muss es wissen, die Daten, die aufgezeichnet sind, müssen gelöscht werden, wenn sie zur Strafverfolgung nicht mehr gebraucht werden. Und diese restriktive Rechtslage, die ich auch für richtig halte, führt eben dazu, dass es keine flächendeckende Überwachung gibt. Das ist doch nicht Sache des Bundesgesetzgebers festzulegen, wo, an welchen Gefahrenschwerpunkten in Deutschland die Technik zum Einsatz kommt. Das ist Sache der Stadt oder des Landes und der Landespolizei vor Ort.

    Kaess: Herr Bosbach, ich möchte mit Ihnen heute Morgen noch über den Fall Hoeneß sprechen, weil der die Gemüter hierzulande sehr stark bewegt. SPD und Grüne werten den Fall als Bestätigung, dass sie mit ihrer Blockade des Steuerabkommens mit der Schweiz richtig gelegen hätten. Da kann man doch nur zustimmen, oder?

    Bosbach: Ja diese Argumentation ist ebenso richtig wie falsch. Das Steuerabkommen mit der Schweiz hätte natürlich dazu geführt, dass wir zwar das Geld eingenommen hätten, dass die Steuerhinterzieher aber anonym geblieben wären. Auf der anderen Seite hat der Bundesfinanzminister mit seiner Argumentation auch recht, denn das jetzige Modell basiert ja darauf, dass wir Zulieferungen bekommen von Datendieben. Das heißt, nur die Personen, deren Daten ausspioniert und weitergegeben werden, werden ja in das Licht der Öffentlichkeit gezerrt und müssen zahlen.

    Kaess: Aber Uli Hoeneß wäre nie aufgeflogen mit diesem Abkommen?

    Bosbach: Uli Hoeneß als Person nicht, aber die Steuern hätte der Staat eingenommen.

    Kaess: Finden Sie es nicht wichtig, dass die Öffentlichkeit weiß, wer hinter diesen Steuerhinterziehungen steht?

    Bosbach: Doch. Ich halte das für wichtig, weil es sich um eine Straftat handelt und der Staat auch strafrechtlich reagieren muss. Aber wenn es bei der jetzigen Rechtslage bleibt, wird es Tausende geben, deren Namen wir nie erfahren und deren Geld wir auch nie bekommen. Das ist natürlich Teil der Argumentation, die die SPD bewusst nicht benutzt. Das heißt, es ist natürlich ein Abwägungsprozess. Ich sage es noch einmal. Das jetzige Geschäftsmodell basiert darauf, dass wir angewiesen sind auf die Zulieferung von Datendieben. Nur dann bekommen wir die Steuern, wenn sie noch zu bekommen sind, und die Steuerhinterzieher werden deanonymisiert. In allen anderen Fällen, wenn es diesen Datendiebstahl nicht gibt, bleiben die Täter anonym und der Staat bekommt auch nicht das Geld.

    Kaess: Dennoch lacht sich natürlich jetzt die Opposition ins Fäustchen.

    Bosbach: Ja klar.

    Kaess: Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin weist darauf hin und sagt, wir wissen nun, welche Leute Schäuble, Seehofer und Merkel mit dem Schweizer Steuerabkommen schützen.

    Bosbach: Ja natürlich! Das ist die übliche Oppositionsrhetorik. Da ist auch mit zu rechnen. Ich bitte Sie allerdings um Verständnis für Folgendes: Es gibt jetzt natürlich viele und auch zurecht Menschen, die Uli Hoeneß hart kritisieren, und ich sage auch, Steuerhinterziehung, das ist kein Kavaliersdelikt. Aber das ist noch nicht lange her, da drängelte sich jeder neben Uli Hoeneß, wollte unbedingt mit ihm gesehen und telefoniert (Anmerkung der Redaktion: gemeint ist fotografiert) werden. Das heißt, bei der langen Schlange derjenigen, die jetzt Uli Hoeneß massiv attackieren, muss ich mich nicht noch unbedingt anstellen.

    Was mich viel mehr interessiert: Wie kommen solche Personen überhaupt auf solche Ideen? Die Summen sind ja atemberaubend hoch. Uli Hoeneß und andere, die betroffen sind oder betroffen waren in der Vergangenheit, das sind doch alles steinreiche Personen. Und wenn sie ihre Steuern zahlen, sind sie immer noch steinreich. Uli Hoeneß hat sich doch ein enormes öffentliches Ansehen erworben. Er war immer Reizfigur, aber die Menschen hatten auch Respekt vor seiner Leistung. Und jetzt ist alles zerstört, Verlust an Autorität, an Glaubwürdigkeit, und das ist doch viel schlimmer als die Steuern, die man zahlen muss.

    Kaess: …, sagt Wolfgang Bosbach von der CDU. Er ist Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag und ich danke für das Gespräch heute Morgen.

    Bosbach: Ich danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.