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Bosnien-Herzegowina
Der Zorn der Verlierer

Korruption und Misswirtschaft haben Bosnien-Herzegowina zu dem Land in Europa mit der höchsten Arbeitslosenquote gemacht. Üppig ausgestattet sind dagegen die sage und schreibe 160 Ministerien. Bei Demonstrationen entlud sich in den letzten Wochen der Zorn vieler Jahre.

Von Stephan Oszvath |
    Blick auf das brennende Kantonverwaltungsgebäude in Sarajevo, Bosnien-Herzegowina, am 06.02.2014, während der Proteste.
    Blick auf das brennende Kantonverwaltungsgebäude in Sarajevo, Bosnien-Herzegowina, am 06.02.2014, während der Proteste. (picture alliance / dpa)
    Es ist ein Sightseeing der besonderen Art. Taxifahrer Zoran zeigt uns seine Heimatstadt Tuzla im Norden Bosniens. Manchen Regierungsgebäuden sieht man die Zerstörungen im Zuge der Proteste noch an. Der Sitz der Regionalregierung: ein verbranntes Hochhaus. Zoran zeigt auf ein verfallendes Fabrikgelände: grau in grau.
    "Das hier ist die alte Gießerei. Sie suchen jetzt einen Investor", sagt der Taxifahrer.
    Zoran fährt an einigen solcher Firmen vorbei. Tuzla war einmal ein wichtiges Industriezentrum. Salz- und Kohlebergbau, Chemieindustrie, Schuhe, Möbel. Das war einmal: Bei der Privatisierung nach dem Bürgerkrieg der 1990er ist viel schiefgelaufen. Das hat 10.000 Menschen ihre Jobs gekostet, schätzt Zoran. Das Absurde, sagt der Taxifahrer, der auch zehn Jahre lang Minen geräumt hat.
    "Die Firmen haben sogar während des Krieges einigermaßen arbeiten können, mal mit mehr, mal mit weniger Problemen. Aber sie haben gearbeitet. Und dann wurden sie privatisiert und die Probleme fingen an. Windige Investoren kauften Unternehmen, und verkauften die Maschinen als Alteisen."
    Immer wieder spricht der Taxifahrer von "Tycooni", Tycoons, die sich an den Privatisierungen bereichert haben. Wer sind diese Leute ? Er winkt ab. Lieber keine Namen. Klar ist: Auch Politiker haben profitiert, das bestätigen Wirtschaftsexperten.
    Erst kam der Krieg, dann der Sozialfall
    Vor dem ausgebrannten Gebäude der Regionalregierung von Tuzla haben sich vielleicht 200 Demonstranten eingefunden, wie jeden Tag. Einer schwenkt eine rote Fahne, aus Lautsprechern ertönt ein Partisanenlied.
    Stolz trägt der ehemalige Soldat Esad Bajric seinen Jugo-Orden an der Brust: Udarnik steht darauf, für die Winterolympiade vor 30 Jahren hat er gearbeitet. Besonders gut. Dann kam der Krieg – jetzt ist er ein Sozialfall.
    "Wir, meine Tochter, meine Frau und ich leben zu dritt von 100 Euro, die verdient seine Frau."
    Er selbst kann nicht mehr arbeiten: Der Bürgerkrieg hat ihn traumatisiert. "Jede Nacht wacht er schweißgebadet aus Alpträumen auf, erzählt der Mittfünfziger, der fast 20 Jahre älter aussieht."
    Wie man von 100 Euro überleben kann, weiß er auch nicht, sagt er. Und dann schaut er auf die anderen Demonstranten. Seine bittere Genugtuung: "Ich bin nicht allein."