Wieder einmal wird ein wichtiger Schritt Bosnien-Herzegowinas in Richtung Europäischer Union von Streitigkeiten führender Politiker überschattet. Grund: Der Koordinierungsmechanismus, eine notwendige Voraussetzung für EU-Beitrittsverhandlungen, soll nicht einstimmig beschlossen worden sein. Die bosnisch-serbischen Behörden bestreiten das. Die Regierung in Sarajewo will jedoch diesmal trotzdem den EU-Beitrittsantrag in Brüssel überreichen. Bosnien und Herzegowina war bereits im September 2003 dazu eingeladen worden. Die Aussicht auf zusätzliche Mittel aus dem Brüsseler Subventionstopf ließ die schwache Zentralregierung aus Bosniaken, Serben und Kroaten hektische einige Gesetze und Reformen verabschieden. Ministerpräsident Denis Zvizdic rechnete vor:
"Wir haben genug Zeit und mehrere Millionen Euro verloren. Wegen mangelnder Strategien bekommen wir nur etwa 168 Millionen Euro für den Zeitraum von 2014 bis 2017, während Serbien 900 Millionen und Albanien rund 360 Millionen Euro aus dem EU-Fond für regionale Entwicklung bekommt. Wenn wir uns dem Koordinierungsmechanismus der EU anpassen, bekommen wir auch mehr."
Hauptarbeitgeber ist der Staat
Geld, das das gebeutelte Land dringend braucht: Die Arbeitslosenquote liegt weiter bei über 27 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit ist mehr als doppelt so hoch. Hauptarbeitsgeber ist der Staat, der nur mit rasanter Verschuldung seine aufgeblähte Verwaltung finanzieren kann. Zu den von der Politik bewusst geschürten Dauerspannungen zwischen muslimischen Bosniaken, orthodoxen Serben und katholischen Kroaten kommen zunehmende Probleme mit den Teilstaaten, vor allem mit der Republik Srbeska, deren Dauerpräsident Milorad Dodik gern zum Nachbarland Serbien gehören würde. Der Vertrag von Dayton brachte Bosnien und Herzegowina vor gut 20 Jahren Frieden, ein kompliziertes Staatsgebilde und die Kontrolle durch die internationale Gemeinschaft. Seit fast sieben Jahren sorgt der Österreicher Valentin Inzko für die Einhaltung des Daytoner Friedensvertrages. Er ist für eine EU-Annäherung von Bosnien und Herzegowina, aber:
"Also, meine Formel ist: früher Kandidatenstatus, späte Mitgliedschaft. Was dazwischen ist, ist das Wichtigste, die Veränderung, die Modernisierung, die Anpassung an europäische Rechtsnormen."
Knapp vier Millionen Einwohner
Von diesen europäischen Rechtsnormen ist das kleine Land mit seinen knapp vier Millionen Einwohnern noch weit entfernt. Ein EU-Beitritt von Bosnien und Herzegowina ist für die Menschen auf den Straßen von Sarajewo noch weit. Ein Taxifahrer meint pessimistisch, was oft dieser Tage zu hören ist:
"Es wird noch lange dauern, bis wir in die EU kommen. Unsere Politiker haben kein Interesse an einem EU-Beitritt, obwohl sie so tun. Sie wollen aber nicht in einem Rechtsstaat leben, weil sie keine illegalen Geschäfte mehr machen können. Sie müssten ja dann ihre Untaten vor Gericht verantworten. Und das wollen sie nicht zulassen. Sie täuschen uns ihren Wunsch vor, das Land in die EU bringen zu wollen. Das ist aber nicht wahr."