Im Morgenrot kommt ihr Elternhaus in Sicht. Es liegt an den Hügel geschmiegt ganz am Ende des kleinen Dorfes Banovici. Die Kinder hopsen aufgeregt auf der Rückbank und Senija Lübke gibt noch einmal Gas. Sie hat 1.600 Kilometer am Steuer zurückgelegt.
Jetzt liegt sie ihrer Mutter in den Armen. Endlich wieder zusammen. Nana hat drei Tage lang gekocht zu Ehren ihrer Jüngsten.
Es gibt Riisa, Reis mit Hühnchen, Nana hat es im neuen Elektroherd warm gemacht. Senija hat ihn gekauft, genau wie die Gefrierkombi und die kleine, aber feine Küchenzeile. Alles Luxus in Bosnien. Die Nana blickt auf die Fotos an der Wand. Eines davon zeigt Senija mit Kochmütze. Die ersten Jahre hat sie in einem Balkan-Restaurant in Deutschland geschuftet und jeden Cent ihres mageren Lohnes nach Bosnien geschickt. Sie hatten es hier nötig.
Eine Viertelstunde entfernt von Nanas Haus, am zentralen Platz in Banovici steht ein mächtiges Hochhaus; Plattenbauweise. An vielen Ecken platzt der Putz ab; Reste von Granatsplittern, erzählt Senija, die nie beseitigt wurden.
"Alles provisorisch gemacht, siehst du das, Fassade, nach dem Krieg. Da oben guck mal, das ist alles kaputt gewesen, hier, dahinten."
20 Jahre nach dem Krieg
Senijas Ziel ist eine Gedenkstätte. Sie erinnert an die Gefallenen aus Banovici. Senija hat - auch 20 Jahre nach dem Krieg - den Grund zu kämpfen nicht verstanden. Hier leben alle zusammen.
"Orthodox mit katholisch verheiratet, katholisch mit Muslimen, Muslime mit orthodoxen, das meine ich. 80 Prozent, wir gucken nicht auf diese Religion; alle leben zusammen, ja, heiraten, Kinder kriegen und das war auf einmal wie mit Händeklatsch Krieg und mit Händeklatsch das ist alles vorbei. Das ist wie Traum, dass hier das passiert - dieser Religionskrieg. Das versteht keiner bis jetzt nicht!"
Sie schimpft auf die großen Serben-Führer aus der Zeit - auf Karadzic, auf Mladic, deren Prozesse vor dem Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag noch immer nicht abgeschlossen sind. Zurück zum zentralen Platz, in ein Café. Hier hält Senija heute Hof.
Alle wollen die Cousine, die Schwester, die Freundin wieder sehen. Auch Denis, ihr Neffe, ein durchtrainierter junger Mann von 28 Jahren; gelernter Kuchenbäcker mit Meisterbrief. Auch er hat Zeit mitten am Tag.
"Das ist bisschen ein Problem in Bosnia. Alles ist gut, alles ist wunderbar, aber keine Arbeit. Kein Geld. Für keine Frau und so. Immer noch bleibt man bei Mama und Papa im Haus."
Er zuckt mit den Achseln. Die Wirtschaft liegt noch immer am Boden und vor allem junge Leute sind arbeitslos. 70 Prozent, ohne jegliche staatliche Hilfe. Senija gibt noch einen aus; Kaffee, Wasser, Limonade. Ihre Euro sind hier Gold wert.
Lebensmittel werden selbst angebaut
Am nächsten Tag auf dem Hof von Senijas mittlerem Bruder. Cazim ist Lehrer und - nach Feierabend - Landwirt. Seine Kuh erwartet ein Kälbchen. Vier Personen können davon leben, erzählt er im Stall: Von der Milch macht er Käse und Schmand; und das Kälbchen kann er verkaufen.
"Die ackern wie verrückt, auf jede Art musst du kämpfen. So läuft das hier, nicht auf der Couch und DVD gucken – bisschen Nüsse hier und da; gibt´s nicht! Bis heute Abend zehn, elf Uhr."
Cazims Lehrergehalt reicht nicht, um Frau und Kinder zu ernähren. Was sie essen, bauen sie im Garten selbst an, wie alle hier in Bosnien. Und wo immer es ein paar bosnische Mark extra zu verdienen gibt, steht Cazim bereit. Die Töchter haben beide studiert; keine hat Arbeit. Aber er lacht. Sein Haus ist neu; er hat es Stein für Stein selbst gebaut; mit Senijas Hilfe. Sie ist stolz auf sich.
"Und wie! Und die ganze Familie auf mich. Ich bin hier wie eine Prinzessin, wenn ich komme."
Sie strahlt und holt die Geschenke aus dem Auto: Schicke Jeans und Polohemden. Später wird sie ihrem Bruder noch bei der Ernte helfen; damit sie im Winter zu essen haben.