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Bosnien-Krieg vor 25 Jahren
Mein Vater, der Kriegsverbrecher

Alen Muhic ist 24 Jahre alt und ein Kind des Bosnien-Krieges. Sein Vater ist bosnischer Serbe und hat in einem Lager Alens Mutter, eine Muslimin, vergewaltigt. Sie gab Alen zur Adoption frei, erst vor zwei Jahren lernte er sie kennen - und auch seinen Vater. Über die Vergewaltigungen im Krieg werde in Bosnien kaum gesprochen, sagt der junge Mann.

Von Jakob Mayer |
    Alen Muhic in Gorazde
    Erst als junger Mann lernte der Bosnier Alen Muhic seinen Vater kennen. (AFP/ Elvis Barukcic)
    Alen Muhic ist 24 Jahre alt und lebt in Goraschde, 100 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Sarajevo. Er ist Krankenpfleger im Kantonalkrankenhaus, ein blaues Gebäude am östlichen Ufer des Flusses Drina. Alen Muhic ist ein Kind des Bosnien-Krieges. Sein Vater ist bosnischer Serbe und hat in einem Lager seine Mutter, eine Muslimin, vergewaltigt. Neun Monate später kam Alen auf die Welt – in dem Krankenhaus, wo er jetzt arbeitet. Das Hausmeister-Ehepaar nahm ihn auf.
    "Ich war sechs, sieben Jahre alt, als ich in der Schule mitbekommen habe, was da geschehen ist. Ich wusste, dass ich adoptiert worden war, aber richtig kapiert hatte ich das nicht. Meine Adoptiveltern haben sich immer bemüht, dass ich mich nicht als Adoptionskind fühle. Dann wurde ein Film über mich gedreht, den habe ich 15 Mal hintereinander angeschaut und dann habe ich Fragen gestellt. Das ist nicht nur meine persönliche Last, sondern die Last der ganzen bosnischen Gesellschaft."
    Treffen mit dem Vater
    Seine leibliche Mutter ist nach der Geburt in die USA geflohen, sie hat geheiratet und zwei weitere Kinder bekommen. Mit 22 Jahren hat Alen sie zum ersten Mal getroffen:
    "Als ich sie gesehen habe, bin ich völlig zusammengebrochen. Wir mussten beide weinen, wir haben uns über die Ereignisse im Krieg unterhalten und ich habe erfahren, dass der Mann, der sie vergewaltigt hat, auch ihren Vater getötet hat."

    Und diesen Mann hat Alen schließlich ebenfalls getroffen, seinen Vater, den Kriegsverbrecher. Ein spontaner Entschluss: Alen hatte in einem Dorf bei Goraschde die Moschee besucht zum Freitagsgebet, dann fuhr er mit dem Imam in die serbische Nachbarstadt Foca, wo sein Vater wohnt.
    "Wir sind an seine Tür gekommen. Er hat aufgemacht und sagte: Bitte? Ich fragte: Bist du Radmilo? Er sagte: Ja. Dann habe ich mich vorgestellt. Er sagte, ich weiß, wer du bist. Ich habe über deine Geschichte im Internet gelesen. Wir haben uns unterhalten. Er hat abgestritten, mein biologischer Vater zu sein und meine Mutter zu kennen. Und ich habe gesehen, dass in ihm nichts von einem Menschen ist."
    Die Wahrheit wird verborgen
    Und gleichzeitig sieht er Ähnlichkeiten mit diesem Menschen: Wir haben die gleiche Statur, sagt er. Der Mann wurde für seine Taten verurteilt, ins Gefängnis musste er nicht. Ganz Goraschde kennt Alen Muhics Schicksal, und er selbst sagt, dass es 1.000 Kinder gibt wie ihn in Bosnien. Aber niemand redet darüber:
    "Die Wahrheit wird verborgen. Mir fällt das schwer, denn ich weiß, die Lage würde anders aussehen, wenn man darüber sprechen würde. Aber man spricht kaum über den Krieg und die Vergewaltigungen. Das wird unter den Teppich gekehrt."
    Aber der junge Mann redet ruhig und ohne Zorn.
    Das Glück gefunden
    Er hat sein Glück gefunden: seine Frau Dschenana, die er bei der Arbeit im Krankenhaus kennengelernt hat, als sie ein Praktikum in der Chirurgie machte. Ihr Sohn Rejjan wird jetzt ein Jahr alt.
    "Ich habe ihm viel Unterstützung gegeben. Alen ist immer positiv. Er strahlt eine positive Energie aus, man merkt ihm dieses Leid nicht an."
    Alen:
    "Mit meiner Familie ist es leichter. Dann widmet man dem anderen nicht so viel Aufmerksamkeit. Man konzentriert sich einfach auf die Familie und auf die Erziehung und mir ist das alles unwichtig geworden. Das war vor zwei, drei Jahren noch völlig anders."

    Die drei haben sich in einer kleinen, hellen Wohnung eingerichtet direkt am Fluss. Aus dem Wohnzimmerfenster sieht man das blaue Krankenhaus gegenüber am anderen Ufer.