Wenn Marcus Roper über die Verbreitungsstrategien von Pilzen spricht, bringt der Biomathematiker von der University of California in Los Angeles die Geschichte der Luftfahrt mit ins Spiel.
"Wenn man sich die Historie der Heißluftballone bis zu den frühen Pionieren zurück anschaut, stößt man auf George Cayleigh. Der hatte die Idee, dass man Ballone mithilfe von Wasserdampf steigen lassen könnte. Denn Wasserdampf ist leichter als Luft, erzeugt deshalb Auftrieb und kann Dinge in die Höhe heben."
In der Praxis wurde dieses Konzept von Menschen nie richtig umgesetzt. In der Natur kommt das gleiche Prinzip aber durchaus zum Einsatz. Pilze nutzen es, um ihre Sporen in die Lüfte zu bringen, hat Marcus Roper beobachtet. Das ist ein durchaus überraschender Fund.
"In vielen Lehrbüchern gibt es bis heute die Darstellung, dass Pilzsporen einfach nur unten aus der Pilzkappe herausfallen. Sie werden dann vom Wind davongetragen, oder auch nicht."
Dass Pilze einen für ihr Überleben so wichtigen Prozess wie die Sporenverbreitung ganz dem Zufall überlassen, wollte Marcus Roper nicht glauben. Denn viele Pilze stehen so dicht gedrängt am Waldboden, dass oft nicht einmal ein Windchen unter ihre Kappen fährt. Wie funktioniert in diesen Fällen die Sporenverbreitung? Um diese Frage zu klären, züchtete Marcus Roper verschiedene Pilzkolonien in absolut windstillen Laborkammern und untersuchte, wie die Pilze ihre Sporen unter solchen Bedingungen verbreiten. Die Physikerin Emilie Dressaire, Expertin für Strömungslehre am Trinnity College im US-Bundesstaat Connecticut, half bei der Visualisierung der Sporenbewegungen.
"Wir nutzen ein sogenanntes Lasersheet. Wir erzeugen dabei mit einem Laser einen schmalen Lichtstreifen entlang der Pilze und filmen alles mit einer Hochgeschwindigkeitskamera. Wenn Sporen ins Laserlicht geraten, leuchten sie als helle Punkte auf. Im Film wird dann die Spur der wandernden Sporen sichtbar."
Die Filme zeigen eine interessante Verfrachtung der Sporen. Erst sinken sie unter den Pilzkappen nach unten, driften dann seitlich von den Pilzen weg, um schließlich nach wenigen Zentimetern wie von Geisterhand gesteuert aufzusteigen – ganz so als würden die Pilze selbst Wind erzeugen. Wie es dazu kommt, erklärt Emilie Dressaire so:
"Ein Pilz ist kühl und feucht. Das kommt von der sogenannten Evapotranspiration. Der Pilz schwitzt. Er gibt Feuchtigkeit ab, und diese Feuchtigkeit kühlt die Luft um ihn herum. Kühle Luft ist schwerer, sie tendiert also dazu, nach unten zu sinken und von der Pilzkappe wegzufließen."
Das ist freilich nur der erste Teil der im Film sichtbaren Effekte. Wenn sich der kühle Luftstrom vom Pilz entfernt, erwärmt er sich wieder und passt sich der Umgebungstemperatur an. Allerdings enthält er weiterhin viel Feuchtigkeit. Und hier kommt die eingangs erwähnte Ballontheorie zum Tragen.
"Der leichte Wasserdampf sorgt jetzt für Auftrieb. Die feuchte Luft beginnt aufzusteigen und nimmt dabei auch die Sporen mit. Sie wandern also nicht nur horizontal unter den Pilzkappen heraus, sondern dann auch noch nach oben. Und das ist wirklich gut. Denn wenn die Pilzsporen aufsteigen, können sie leichter vom üblichen Wind erfasst werden."
Bis zu zehn Zentimeter hoch reichen die von den Pilzen ausgelösten Mini-Aufwinde. Marcus Roper sieht darin einen entscheidenden Faktor, der ihnen das Überleben sichert.
"Pilze kommen häufig sehr dicht gedrängt vor, sie reichen nur knapp über den Boden. Den Sporen bleiben da nur kleine Lücken, um zu entkommen. Ohne die Strömungseffekte würden alle Sporen direkt wieder unter dem Pilz landen. Und der Pilz könnte sich nicht weiter verbreiten."
Hätten die Pioniere der Luftfahrt einst schon die aerodynamischen Tricks der Pilze durchschaut, würden heute vielleicht nicht nur Heißluft-, sondern auch Dampfballone am Himmel fahren.