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Bots-Ausstellung in Berlin
Gift mit Tiefenwirkung

Tag für Tag löschen soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter Nutzerkonten, weil dahinter keine Menschen, sondern Bots, also Computerprogramme stecken. Eine Ausstellung in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst in Berlin setzt sich künstlerisch mit dem Phänomen auseinander.

Von Marie Kaiser |
    ILLUSTRATION - Auf einem Laptopbildschirm wird das Wort «Virus» angezeigt, aufgenommen am 26.01.2017 in Berlin (Aufnahme mit Zoomeffekt). Foto: Monika Skolimowska/dpa | Verwendung weltweit
    Das sieht schon fast wie Kunst aus - Social Bots in Aktion (picture alliance / Monika Skolimowska/dpa)
    Wie viele Datenspuren hinterlassen wir an einem Tag? Die Nichtregierungs-organisation "Tactical Tech" führt es uns vor - einmal rund um die Uhr - auf einem Plakat in der Ausstellung.
    Beim Morgensport sammelt das Fitnessarmband Gesundheitsdaten, danach verfolgen Apps, in welche Parks, Läden oder Museen wir gehen. Abends verraten wir der Dating-App unsere sexuellen Vorlieben. Und vorm Schlafengehen weiß die smarte Zahnbürste genau, wie gründlich wir die Zähne geputzt haben. Bei all diesen Alltagsbeschäftigungen sind sie am Werk - unscheinbare Computerprogramme - sogenannte Bots, erklärt Tahani Nadim, eine der Kuratorinnen der Ausstellung.
    Nicht von vornherein schlecht oder gut
    Tahani Nadim: "Bots katalogisieren das Internet, die speichern Dateien, die kopieren Dateien, die schicken automatisch Nachrichten, wenn eine Mailbox voll ist oder eine E-Mail nicht zugestellt wurde. Bots sind ganz simple Computerprogramme, die ganz viele Tätigkeiten verrichten, die unsere digitalen Infrastrukturen am Leben erhalten. Die sind nicht von vornherein schlecht oder gut. Die gibt’s, aber man muss darüber nachdenken, wie die verwandt werden und was für Arbeit sie generieren."
    Doch Bots rücken immer dann ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, wenn sie verwendet werden, um Wahlen zu beeinflussen. Das britische Softwareunternehmen Cambridge Analytica soll Millionen Facebook-Profile analysiert haben, um entsprechend der Ängste und Vorlieben der Personen gezielt Werbung zu schalten. Ans Licht gekommen ist das, weil ein ehemaliger Cambridge Analytica Mitarbeiter ausgepackt hat: Christopher Wylie.
    "In November 2015 – it was a bizarre story – no one even knew they were that."
    Der Whistleblower hat in diesem Jahr vor dem britischen Parlament ausgesagt und Cambridge Analytica eine "Propagandamaschine mit umfassendem Service" genannt, die unter anderem im US-Wahlkampf 2016 und beim Brexit-Referendum zum Einsatz gekommen sein soll.
    "All kinds of people had access to the data."
    Es geht um Glaube statt um Vernunft
    Die Befragung Wylies hat die Künstlerin Anna Bromley für ihre Sound-Installation benutzt. An fünf Stationen im Raum rieseln Klangfragmente von oben auf den Besucher herab. Anna Bromley hat die Stimmen technisch manipuliert, so dass sie selbst etwas Roboterhaftes bekommen
    "We could resolve the data to an individual level. Or go for the anonymity of the in between.
    Anna Bromley: "Ich habe viel Sprachmaterial genommen, das eher nebensächlich scheint. Wenn man das aneinander montiert entsteht so eine Art verschwörungstheoretischer Thriller."
    Die Arbeit heißt Deep Poison – Gift mit Tiefenwirkung.
    Anna Bromley: "Das beruht auf einem Satz von Wylie, der sagte, die demokratischen Prozesse sind extrem tiefgründig vergiftet. Oder können vergiftet werden. Ich glaube, dass unser Verständnis von demokratischer Mündigkeit davon ausgeht, dass wir mit Vernunft alles begreifen und die richtigen Entscheidungen treffen können. Und ich glaube, bei Bots ist interessant, dass sie uns in einen Zustand zurückführen, wo es sehr viel mehr um Glauben geht. Gar nicht um Vernunft. Dass wir entscheiden müssen, welcher Stimme schenken wir Glauben, schenken wir Aufmerksamkeit. Und in der Geschwindigkeit, in der Informationen von Bots produziert werden, können wir gar nicht mehr so rational entscheiden."
    Hinter den Maschinen stecken Menschen
    Doch die Ausstellung will Bots nicht nur als Unheilsbringer darstellen, die Fake News verbreiten. Es gehe immer darum, in welchem Kontext Bots verwendet würden, sagt Kuratorin Tahani Nadim - "Was uns besonders gestört hat, dass in den Diskussionen rund um den Cambridge Analytica Skandal, dass da von politischen Bots gesprochen wurde, nur weil diese Bots in Wahlen involviert waren. Bots müssen nicht unbedingt in Wahlen involviert sein, um politisch zu sein. In der Anwendung und Gestaltung von Bots stecken immer Entscheidungen von Menschen, die von gewissen politischen Dynamiken geprägt sind."
    Hinter jeder Maschine stecken immer Menschen. Das macht die Installation "Dark Content" deutlich: Eine Kabeltrasse zieht sich quer durch den Raum, dazwischen liegen umgekippte Büroschreibtische - es sind dieselben Modelle wie sie in der Berliner Löschzentrale von Facebook stehen. An die Schreibtische sind Bildschirme montiert. Darauf berichten Avatare, wie es ist, als Content Moderator zu arbeiten. Denn es sind keine Algorithmen, sondern echte Menschen, die sich grenzwertige Fotos, Videos und andere Daten anschauen müssen, um zu entscheiden, ob diese gelöscht werden sollen.
    Keine Ausstellung für den schnellen Draufblick
    "I’ve seen children in sexually suggestive clothing and poses. I’ve also seen humans have sex with animals."
    Diese nur schwer zu ertragenden Texte basieren auf Interviews, die das New Yorker Künstlerpaar Eva und Franco Matthes mit Content Moderatoren geführt hat. Tahani Nadim: "Da merkt man sehr bald, dass das eine sehr traumatische Tätigkeit ist. Weil man sich mit Inhalten befassen muss vom Spektrum einfach nur blöd bis richtig radikalem Hass."
    "The Influencing Machine" ist keine Ausstellung, die sich auf den ersten Blick erschließt. Es braucht Zeit und Geduld, um die die Zusammenhänge zu verstehen. Doch genau darum geht es den Machern der Ausstellung, dass die Besucher innehalten, selber denken und ihr eigenes Verhalten hinterfragen. Kuratorin Nadim: "Was es braucht, ist ein kritisches Datenbewusstsein. Wie werden Daten produziert? Wie wird aus denen Sinn gewonnen? Wo, wann werden Daten über uns produziert? Was für Algorithmen kommen da zum Einsatz? Wer hat Kontrolle über diese Algorithmen? Wo enden diese Daten?"
    Eins ist klar: Wer diese Ausstellung gesehen hat, wird in Zukunft genau überlegen, wem die wohl größte Lüge im digitalen Zeitalter "Ja, Ich habe die AGB gelesen" am meisten schadet.