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Botschafter Estlands verteidigt geplante Verlegung des russischen Kriegerdenkmals

In Estland ist es im Streit um ein sowjetisches Kriegerdenkmal erneut zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstranten gekommen. Der estnische Botschafter in Berlin, Clyde Kull, verteidigte die Position der Regierung. Die Befreiung vom Faschismus und die Okkupation des Landes durch Russland könne man nicht getrennt sehen, sagte Kull.

Moderation: Klaus Remme |
    Klaus Remme: In der zweiten Nacht in Folge ist es in der estnischen Hauptstadt Tallinn zu Ausschreitungen gekommen. Wieder setzte die Polizei Wasserwerfer und Gummigeschosse ein, wieder wurden einige Menschen verletzt. In der Nacht zum Freitag hatte es bereits Ausschreitungen gegeben, die schwersten in Estland seit der Unabhängigkeit 1991. Auslöser der Unruhen ist ein Schreit über ein sowjetisches Kriegerdenkmal in der Hauptstadt Tallinn, das von einem zentralen Platz umgelagert werden soll auf einen Soldatenfriedhof. Dieses Denkmal - viele Esten meinen, es ist eine Erinnerung an 50 Jahre sowjetische Besatzung, die Russen aber sind empört und sehen das Denkmal als Zeichen des Sieges der Roten Armee über das Nazi-Deutschland und der Befreiung Estlands. Ich habe vor der Sendung mit dem estnischen Botschafter in Berlin, Clyde Kull, über die Unruhen ??? und ihn zunächst gefragt, wo er die Wurzeln für die Ausschreitungen sieht.

    Clyde Kull: Der Vandalismus, der in Estland und in Tallinn stattgefunden hat, hat ganz wenig zu tun mit dem Denkmal zur Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg. Wir haben diese Krawalle und Vandalismus sehr scharf kritisiert. Die Regierung und unsere Streitkräfte haben sehr moderat reagiert. Die formelle Ursache waren die Pläne unserer Regierung, das Denkmal und diesen Begrabungsplatz ins Zentrum Tallinns zu verlagern.

    Remme: Sie sagen zu verlagern - ich wollte Sie gerade nach diesem Denkmal fragen. Warum lassen Sie sowjetische Kriegerdenkmäler in Tallinn abreißen?

    Kull: Das ist nicht eine Frage des Abreißens der Denkmäler und das ist nicht ungewöhnlich in der Welt und in anderen Ländern, dass man aus verschiedenen Ursachen Denkmäler verlagert. Und die Ursache in Estland war, dass vor zwei Jahren dieser Platz einen Demonstrationsplatz war zwischen Anhängern des Denkmals und den Oppositionellen. Und die Opposition zu diesem Denkmal war, dass die sowjetischen Soldaten so viele Esten auch an die sowjetische Besetzung und Okkupation erinnern.

    Remme: Aber ist es nicht eigentlich überraschend, Herr Kull, dass gerade jetzt im Jahr 2007 es Streit gibt um ein Kriegerdenkmal in Tallinn?

    Kull: Ja, es passiert, und es ist auch in verschiedenen Ländern, dass Sie sehen, dass die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg zurück kommt. Es ist ja nicht ungewöhnlich, und die Pläne unserer Regierung waren, das sehr zivilisiert und im Zusammenhang mit dem internationalen Gesetz, das Verlagern zu einem anderen Platz, zum Friedhof für Soldaten. Das war nur die Planung.

    Remme: Herr Kull, die Russen sehen in diesem Denkmal eine Erinnerung an den Sieg über den Faschismus. Können Sie das nachvollziehen?

    Kull: Ja, genau, das ist auch die Position unserer Regierung. Wir bestreiten nicht die Frage vom Sieg über den Faschismus, das ist auch unsere offizielle Position. Aber nach der Befreiung vom Faschismus war es auch eine Okkupation unseres Landes. Und wir könnten auch diese zwei Sachen nicht getrennt sehen.

    Remme: Das heißt, Sie sehen in dem Denkmal auch eine Erinnerung an die Fremdherrschaft der Russen in Estland?

    Kull: Genau.

    Remme: Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder hat sich zu Wort gemeldet zu diesem Konflikt, und er hat die Art und Weise, wie Estland mit dem Gedenken an junge russische Soldaten umgegangen ist, scharf kritisiert. Er hat gesagt, das widerspricht jedem zivilisierten Verhalten. Können Sie die Kritik von Gerhard Schröder nachvollziehen?

    Kull: Nein.

    Remme: Warum nicht?

    Kull: Weil es gibt zwei verschiedene Sachen der Erinnerung, dass sie über Faschismus und Verlagerung eines Denkmals auf einen ruhigeren Platz, das ist nur eine technische Frage. Es gibt natürlich eine symbolische Frage über diesen Platz, wo dieses Denkmal gewesen ist, aber auch in Berlin, ich würde so sagen, wenn man ein Denkmal verlagert um zwei Kilometer auf einen anderen Platz, das bedeutet nicht, dass das die Meinung und Bedeutung dieses Denkmals ändert.

    Remme: Herr Kull, etwa ein Viertel der Einwohner Estlands gehören ja zur russischen Bevölkerungsgruppe. Wie tief ist denn der Graben zwischen Esten und Russen im eigenen Land?

    Kull: Ich glaube, dass die Russen, die in Estland wohnen, sind ganz zufrieden mit dem Leben in Estland, und meistens die Russen in Estland sind loyale Bürger Estlands und arbeiten auch für unsere gute Zukunft in der Europäischen Union. Und sie sind Europäer geworden.

    Remme: Aber aus Moskau kommt natürlich harsche Kritik, einige Stimmen fordern gar den Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Wie ernst nehmen Sie das?

    Kull: Für uns ist das nur eine erste hysterische Reaktion von Duma und Senat, und wir haben auch gehört, dass Außenminister Lawrow gesagt hat, dass es keinen Grund für Hysterie gibt.

    Remme: Herr Kull, wie wichtig sind denn die Beziehungen zu Russland für Ihr Land, für Estland?

    Kull: Russland ist sehr wichtig und der größte Nachbar von uns. Wir sind immer bereit, gute, bilaterale Beziehungen mit Russland zu haben. So hoffe ich, dass auch die russische Seite guten Willen für diese Beziehungen zeigt.

    Remme: Erst vorgestern konnten wir ja mit Wladimir Putin das Gesicht des aktuellen Russlands bei der Trauerfeier für Boris Jelzin sehen. Haben Sie als Este Angst vor der aktuellen politischen Entwicklung in Moskau?

    Kull: Wir teilen diese Angst von verschiedenen Ländern der Europäischen Union und der NATO. Und auch die Europäische Union hat letzte Woche eine kritische Bemerkung über die Polizei […]. Wir teilen diese Bemühungen, ja.

    Remme: Wovor haben Sie Angst, wenn wir nach Moskau schauen, Herr Kull?

    Kull: Das ist immer besser, wenn ein Nachbar ein demokratisches Land ist. Und was wir heute sehen, ist leider nicht so. Es gibt viel zu tun in Russland auch mit der Demokratie, mit Pressefreiheit, mit Meinungsfreiheit. Und wir hoffen, dass auch die russische Seite diese Bemühungen teilen wie ein europäisches Land.

    Remme: Parallel zu diesen Misstönen zwischen Tallinn und Moskau gibt es ja ein wachsendes Misstrauen - Sie haben es angesprochen - zwischen Moskau und der NATO. Ursache des Konflikts sind die amerikanischen Pläne für ein Raketenabwehrsystem. Wie sieht Estland diese Frage?

    Kull: Wir sind der Meinung, das ist eine bilaterale Sache zwischen den Vereinigten Staaten und Polen und Tschechien. Und natürlich muss man das auch in der NATO und der Europäischen Union diskutieren, dass diese Pläne auch im europäischen Sicherheitssystem gut zusammenkommen. Das ist die Frage, die man in der NATO angefangen hat zu diskutieren. Und wir haben gesehen, dass die Vereinigten Staaten sich auch bemüht haben, die russische Seite positiv zu engagieren in dieser Frage. Leider hat die russische Seite ganz kritisch geantwortet.

    Remme: Herr Kull, letzte Frage: Fürchten Sie denn die Neuauflage eines Kalten Krieges oder eines Wettrüstens?

    Kull: Nein, ich denke, dass diese Zeit vorbei ist. Was man heute machen muss, ist, einen Dialog zu haben, aber das bedeutet auch eine Bereitschaft von russischer Seite. Und wir hoffen, dass die auch verstehen, dass in unser aller Interesse eine gute Zusammenarbeit untereinander ist.

    Remme: Warum sind Sie so sicher, dass dieser Kalte Krieg nicht wiederkommt?

    Kull: Die Erfahrungen und die Erinnerungen an diese Zeit sind ganz frisch, und ich denke, dass es nicht so viele Leute gibt, die diese Zeit zurückhaben möchten.

    Remme: Das war der estnische Botschafter in Berlin, Clyde Kull.