Matthias Friebe: Es war eine relativ turbulente Woche mit dem vorläufigen Rücktritt von Scheich al Sabah. Wie hat sich das aus Ihrer Sicht dargestellt?
Aaron Bauer: Wie sie gesagt haben: Es war eine turbulente Generalversammlung. Normalerweise sind diese Sachen ziemlich eingespielt. Die Länder treffen sich, sprechen über ein paar Dinge und es gibt keinen echten Dissens. Und jetzt gibt der Scheich, ein starker Macht-Vermittler in der Olympischen Bewegung, seinen Posten ab, um sich um eine Anklage zu kümmern, die in der Schweiz gegen ihn erhoben wird.
In der Generalversammlung haben ihn viele Länder gebeten, das nicht zu tun. Das zeigt, welche Macht er in der Olympischen Bewegung hat. Er ist im IOC die Stimme der kleinen Länder. Die Länder sprechen sich nur selten gegen Entscheidungen aus. Und diese Entscheidung war offensichtlich vom IOC und der Vereinigung der Nationalen Olympischen Komitees gesteuert, damit alle das Gesicht bewahren und Scheich al Sabah die Chance hat, zurückzukehren.
Doch die Länder haben das zunächst nicht akzeptiert, weil er so mächtig ist. Aber es ist dann doch passiert, und der Scheich ist weiterhin unheimlich sicher, dass er bei der Generalversammlung im nächsten Jahr wieder dabei sein wird.
Friebe: Mit Spannung wurde die Entscheidung es IOC erwartet, wie man mit dem Welt-Amateurboxverband AIBA umgeht. Jetzt wurde das olympische Box-Turnier auf Eis gelegt, es soll aber auf jeden Fall geboxt werden, sagt Thomas Bach, der IOC-Präsident. Wie schätzen Sie diese Entscheidung ein?
Bauer: Das IOC sagt, es wird alles tun, um ein Boxturnier zu veranstalten. Der IOC- Sportdirektor Kit McConnel hat das mehrfach wiederholt. Es gibt in diesem Fall keine Entscheidungen, die schon getroffen worden wären. Die Verwaltung wird weitermachen, sie werden mit der Annahme weitermachen, dass es in Tokio ein Boxturnier geben wird.
Aber Boxen ist auch ein Sport, den man relativ einfach veranstalten kann. Der Veranstaltungsort ist bereits da. Man muss nur einen Boxring aufbauen. Da müssen nicht furchtbar viele Gespräche geführt werden. Aber wir werden sehen, was da mit dem Amateurboxverband AIBA passiert. Jetzt kommt es auf eine Untersuchungskommission und das IOC-Exekutivkomitee an. Der Verband sagt immer, dass er alle möglichen Veränderungen umsetzt, aber das IOC-Exekutivkomitee antwortet darauf, dass es immer noch Probleme sieht und besorgt ist.
Das hat es so noch nicht gegeben. Wir könnten einen internationalen Verband bekommen, der seine Anerkennung bei der IOC-Session verliert - das einzige Gremium, das wirklich über den endgültigen Ausgang dieser Affäre bestimmen kann. Aber es ist nicht klar, wie das ausgeht. Es spitzt sich zu, es werden turbulente sechs Monate vor der endgültigen Entscheidung werden. Ich weiß wirklich nicht, wir werden sehen.
Friebe: Manch ein Beobachter schrieb von typischer IOC-Taktik, Handlungsfähigkeit demonstrieren, aber doch nichts tun…
Bauer: In dieser Situation ist das ein bisschen interessant, denn man kann nicht einfach einem Verband seine Befugnisse wegnehmen. Die sind im Schweizer Recht festgelegt. Das IOC ist eine Organisation mit Statuten. Sie versuchen zu erklären, dass sie durch ein Verfahren gehen müssen - und das ist ein umständliches Verfahren - da haben sie auch Recht.
Das wird Monate um Monate dauern. Und dadurch wird das IOC überhaupt keine Zeit haben, direkt vor Tokio 2020 zu handeln. Aber so funktioniert eine bürokratische Organisation nun einmal. Und unglücklicherweise wird das bis zur IOC-Session in der Schwebe bleiben. Dann wird eine Entscheidung getroffen, in die eine oder andere Richtung. Der Tag X steht also fest.
Friebe: Es gibt eine neue Kommission für Menschenrechtsfragen beim IOC. Gleichzeitig sagt das IOC aber, es habe nicht die Autorität, Probleme der Menschenrechte zu lösen, die klar politische Themen sind. Macht man sich es da ein bisschen zu leicht?
Bauer: Das ist ein interessantes Rätsel für das IOC. Menschenrechtsaktivisten werden sie unter Druck setzen und ihnen sagen: ‚Ihr könnt eure Position nutzen und Regierungen daran erinnern, dass sie Dinge tun müssen. Ihr habt die nötige Schlagkraft. Das ist eine Möglichkeit, den Idealen gerecht zu werden, auf denen die Olympische Bewegung aufgebaut ist.‘
Aber das IOC wird sagen: ‚Wir brauchen Orte, an denen weiterhin unsere Veranstaltungen stattfinden können.‘ Durch die steigenden Kosten der Spiele war das zeitweise schwierig. Es haben sich nur autoritäre Regime für die Olympischen Winterspiele beworben - zum Beispiel für 2022. Sie haben das schnell korrigiert und sich nach westlichen, demokratischen Ländern umgesehen: Die Vereinigten Staaten und Frankreich direkt nach dem Rüffel.
Aber sie haben jetzt einen sehr angesehenen Menschenrechts-Vorkämpfer mit dem ehemaligen Hohen Kommissar für Menschenrechte der UNO (Seid al-Hussein aus Jordanien, d. Red.). Der hätte sogar noch vier Jahre Hoher Kommissar bleiben können, trat aber zurück. Und das nach einem öffentlichen Rüffel von Ländern aus der ganzen Welt, dass das IOC sich nicht um Menschenrechte kümmere, um die es sich kümmern muss. Er wird auf jeden Fall Druck machen und das IOC beraten können, mit dem Auftrag, den sie ihm geben. Aber es ist ein sehr begrenzter Auftrag.
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