Olympia 2024
Der Kampf ums Geschlecht im Frauen-Boxen

Das Olympische Achtelfinale im Frauen-Boxen dauert nur 46 Sekunden: Die Italienerin Angela Carina gibt sich Imane Khelif geschlagen. Weil der Algerierin vorgeworfen wird, keine Frau zu sein, entfacht das hitzige Debatten. Dabei ist vieles unklar.

    Die algerische Boxerin Imane Khelif (in rot) und die italienische Boxerin Angela Carini während ihres Boxkampfes im Achtelfinale der Frauen bis 66 kg bei den Olympischen Spielen Paris 2024 in der North Paris Arena in Villepinte am 1. August 2024.
    Sekundenkampf: Die algerische Boxerin Imane Khelif (l.) siegte im Weltergewicht nach nur 46 Sekunden gegen die Italienerin Angela Carini (picture alliance / abaca / Blondet Eliot / ABACA)
    Der Achtelfinal-Kampf im Olympischen Boxturnier der Frauen dauert nur 46 Sekunden. Die Italienerin Angela Carini kassiert von ihrer algerischen Gegnerin Imame Khelif mehrere Schläge, den letzten direkt auf die Nase. Carini hebt die linke Faust, dreht sich zu ihrem Trainer um und gibt auf.
    "Ich habe große Schmerzen in der Nase und ich habe 'Stopp' gesagt. Es ist besser, nicht weiterzumachen, meine Nase blutete schon nach dem ersten Treffer", sagte Carini, die ihrer algerischen Gegnerin nach Ende des Kampfes den Handschlag verweigerte. Sie erklärte sogar, sie habe ihr “Leben schützen” müssen. Ihr Trainer sprach von einem "unfairen Kampf".

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    Box-Weltverband zweifelt am Geschlecht von Boxerinnen

    Denn die Teilnahme der Algerierin Imane Khelif an den Olympischen Spielen in Paris war schon vorher umstritten. Der Box-Verband IBA hatte die 25-Jährige bei der Weltmeisterschaft 2023 disqualifiziert, genauso wie die damalige Bronzemedaillengewinnerin Lin Yu-ting aus Taiwan.
    IBA-Präsident Umar Kremlew sagte der russischen Nachrichtenagentur Tass damals, die Disqualifikationen seien erfolgt, weil "bewiesen wurde, dass sie XY-Chromosomen haben". Der Verband hat also Zweifel, ob beide wirklich Frauen sind.
    Im Protokoll der entscheidenden Sitzung des IBA-Vorstands heißt es, dass beide Frauen die von einem unabhängigen Labor durchgeführten Tests nicht bestanden hätten. Der IBA-Generalsekretär teilte den Teilnehmern des Treffens auch mit, dass beide Frauen bei den Weltmeisterschaften im Vorjahr in Istanbul einen anderen Test ebenfalls nicht bestanden hatten, der von einem anderen Labor durchgeführt wurde. Damals seien die Ergebnisse aber zu spät gekommen, um die Kämpferinnen zu disqualifizieren.

    IBA agiert instransparent und wird nicht mehr vom IOC anerkannt

    Um was für Tests es sich handelt und welche Labore sie durchgeführt haben, ist aber unklar. Die IBA schrieb in einem Statement schon vor dem Kampf von Khelif, dass die Art des Tests geheim bliebe. Es sei aber nicht auf das Sexualhormon Testosteron getestet worden, das im männlichen Körper deutlich höher konzentriert vorkommt, als bei einer Frau.
    Die Intransparenz ist für die IBA nicht neu. Der Verband durchlebt seit vielen Jahren einen Skandal nach dem anderen. Wegen "mangelnder finanzieller Transparenz" und "fehlender Integrität der Schiedsprozesse" wird die IBA vom IOC nicht mehr anerkannt. IBA-Präsident Umar Kremlev pflegt zudem enge Beziehungen zu Russlands Präsident Wladimir Putin.

    IOC verteidigt Zulassung

    Das IOC verteidigt deswegen auch die Zulassung von Imane Khelif und Lin Yu-ting. In einer am Donnerstagabend veröffentlichten Erklärung heißt es: "Die derzeitige Aggression gegen diese beiden Athleten beruht ausschließlich auf dieser willkürlichen Entscheidung, die ohne angemessenes Verfahren getroffen wurde - insbesondere wenn man bedenkt, dass diese Athleten seit vielen Jahren an Wettkämpfen auf höchstem Niveau teilnehmen."
    Sowohl Imane Khelif als auch Lin Yu-ting haben ihre gesamte Karriere bei Frauen-Wettkämpfen geboxt, mit wechselnden Erfolgen. Bei beiden gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass sie eine Geschlechtsumwandelung von Mann zu Frau hinter sich gebracht haben - entsprechende Berichte, die von einer "transsexuellen Boxerin" sprachen, sind entsprechend falsch.

    Kein Geschlechtertest mehr bei Olympischen Spielen

    Aufgrund der Suspendierung der IBA hat das IOC die Austragung der olympischen Boxwettbewerbe übernommen. Entsprechend hat auch das IOC darüber entschieden, wer zu den Kämpfen zugelassen wird. Entscheidend dafür sei das Geschlecht im Pass gewesen, so das IOC.
    Einen Geschlechtstest, wie es ihn in der Vergangenheit gegeben hat, gebe es aktuell nicht. Bis in die 60er-Jahre mussten Leichtathletinnen nackt vor Doktoren treten, um ihr Geschlecht zu beweisen. In diese Zeiten wolle man nicht zurück, betonte IOC-Sprecher Mark Adams auf einer Pressekonferenz am Freitag.

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    Umgang mit intersexuellen und transgender Athletinnen ist umstritten

    Der Umgang mit Sportlerinnen, die entweder eine Transition von Mann zu Frau durchgeführt haben oder die Abweichung von der typischen Geschlechtsentwicklung erlebt haben, ist seit Jahren umstritten. Der bekannteste Fall ist der von der südafrikanischen Läuferin Caster Semanya.
    Sie besitzt XY-Chromosome und hat einen natürlich erhöhten Testosteronspiegel. Sie wurde deswegen vom Welt-Leichtathletikverband ausgeschlossen, unter der Annahme, dass sie einen unfairen Vorteil besitzt. Die Studie, die dies belegen soll, ist aber umstritten.
    Auch die Studienlage dazu, ob transgender Sportlerinnen einen sportlichen Vorteil haben können, ist bisher nicht eindeutig. Immer mehr Sportverbände haben transgender Athletinnen trotzdem komplett von Wettbewerben der Frauen-Kategorie ausgeschlossen.
    Die Verbände müssen dabei verschiedene Rechte miteinander abwägen. Zum einen das Recht von transgender Athletinnen oder Sportlerinnen mit Varianten in der Geschlechtsentwicklung, an Wettkämpfen teilzunehmen. Auf der anderen Seite die Rechte der Kontrahentinnen auf einen fairen Wettkampf.
    "Das ist einen Mienenfeld", sagte IOC-Sprecher Mark Adams. "Und wie so oft wollen wir eine einfache Erklärung, jeder will eine Schwarz-Weiß-Erklärung – aber diese Erklärung gibt es nicht, weder in der Wissenschaft noch irgendwo woanders."
    al/sima/mjr