Archiv

Krise im Box-Weltverband IBA
Kein Mangel an Brandbeschleunigern

Weil wichtige Länder die WM boykottieren, um sich gegen die Politik des russischen Präsidenten des Welt- Boxverbands zu wehren, droht die Organisation auseinander zu brechen. Eine mögliche Auswirkung: die Streichung der Sportart aus dem olympischen Programm.

Von Jürgen Kalwa |
Zwei Boxhandschuhe hängen an einem Boxring.
Zwei Boxhandschuhe hängen an einem Boxring. (IMAGO / Panthermedia / NomadSoul via imago-images.de)
Für gründliche Reformen und einen Kulturwandel in einem Sportverband braucht man theoretisch mehr als nur eine Menge Geld und Public-Relations-Kampagnen mit dem Anstrich von Transparenz und Fairplay. Andernfalls läuft man Gefahr, der Welt und sich selbst etwas vorzumachen.
So wie die International Boxing Association IBA, die im Dezember in Abu Dhabi bei ihrem “Global Boxing Forum” zusammenkam, um mit Vortragsrednern von Rang und Namen den Stand der Dinge zu diskutieren. Beharrlich wurde die Botschaft verkündet, es sei alles bestens bestellt. Egal, ob vom Präsidenten Umar Kremlew in seiner Muttersprache Russisch: “Alle arbeiten als ein Team. Und es wurden sehr wichtige Entscheidungen getroffen", oder vom griechischen Generalsekretär George Yerolimpos auf Englisch: “Athletes, trainers, national federations, board of directors are all very united now. They are all united around IBA, which is the home of the boxing.”
Man stehe vereint zusammen, lautete die Parole - die Aktiven und Trainer, die Nationalverbände und der Vorstand der IBA. Doch spätestens seit ein paar Wochen ist klar: Das absolute Gegenteil ist der Fall. Die IBA droht auseinander zu brechen.

Anhaltende Kritik vom IOC an IBA

Der Grund: die anhaltende Kritik an den Reformanstrengungen seitens des IOC, das vor ein paar Jahren dem Verband die Rolle des Organisators der Boxwettbewerbe im Rahmen der Olympischen Spiele entzogen hatte. Und eine lange Liste von Beschwerden über die Arbeit des russischen Präsidenten, der seit Ende 2020 amtiert. Der hatte zwar den Energiekonzern Gazprom mit seinen Millionen ins Boot geholt, um den hochverschuldeten Betrieb zu sanieren. Aber im Gegenzug scharte er jede Menge Ja-Sager um sich herum, die seine Machtposition abstützen.
Die massivsten Vorwürfe hat der amerikanische Verband zusammengetragen, der den Boykott der Frauen-WM im März in Neu-Delhi und das Pendant der Männer im Mai in Taschkent beschlossen hat. Eine Protestmaßnahme, der sich nach dem letzten Stand Kanada, Irland, Schweden und die Tschechische Republik angeschlossen haben. Dazu Großbritannien, das bis dato allerdings nur die Teilnahme an der Frauen-WM abgesagt hat.
Die lange Liste der Beschwerden, die USA Boxing-Geschäftsführer Mike McAtee seinen Mitgliedern vor zehn Tagen beschrieb, ist unmissverständlich. “Die IBA hat es versäumt, ihrem erklärten Auftrag nachzukommen, den Boxsport weltweit im Einklang mit den Anforderungen und dem Geist der Olympischen Charta zu fördern, zu unterstützen und zu regeln, und hat ihre eigene Satzung missachtet.”

Unzureichende Aufarbeitung der Vergangenheit

Zu den einzelnen Punkten zählen die unzureichende Aufarbeitung der desaströsen Vergangenheit. Darunter: “Keine öffentliche Bekanntgabe von Maßnahmen oder Sanktionen gegen die in den von der IBA in Auftrag gegebenen McLaren-Berichten genannten Personen.”
Dazu kommen finanzielle Ungereimtheiten und die Missachtung einer Entscheidung des Internationalen Sportgerichtshofs CAS, der die Wiederwahl von Kemlew im letzten Jahr aufgehoben hatte.
Es mangelt in diesem Konflikt nicht an Brandbeschleunigern, wie der Journalist und Box-Experte Bertram Job sagt, der das Milieu seit vielen Jahren mit Skepsis beobachtet. Im Zentrum? Der Präsident. “Es ist bekannt, dass Kremlew enge Beziehungen zu Putin pflegt. Und dann sind solche Geschichten aufgekommen: Warum trifft sich Kremlew im letzten Jahr mit Präsident Putin, 14 Tage, nachdem die russische Armee in Charkiv das Box-Trainingszentrum in Schutt und Asche gelegt hat? Dazu kommt, dass Kremlev sehr stark machtorientiert ist und unbedingt versucht, an seiner Position festzuhalten.”

Bertram: "Vom CAS geforderte Nachwahlen fanden nicht statt"

So wie im September in Armenien bei einem Sonderkongress, als es um ihn persönlich und das erwähnte CAS-Urteil ging. “Kremlew hat in Eriwan die Delegierten abstimmen lassen, ob sie überhaupt Lust hätten, noch mal abzustimmen. Drei Viertel haben gesagt ‘Nein’. Und somit fanden die vom CAS geforderten Nachwahlen nicht statt. Während der Abstimmung ist eigenartigerweise die Stromversorgung zusammengebrochen. Das betraf auch das gesamte Computerwesen.”
Angesichts solcher Verhältnisse sind die Aussichten auf eine Verbesserung der Beziehungen zum IOC denkbar schlecht. Mit massiven Konsequenzen: “Die Verbände in den USA und Europa sind auf diese olympische Idee angewiesen. Sobald Boxen nicht mehr unter dem olympischen Dach stattfindet, wird es auch keine Zuschüsse von den nationalen olympischen Verbänden mehr geben. Hinter den Kulissen formiert sich immer mehr Widerstand. Man hat sich auch schon darauf verabredet, dass man im ärgsten Fall vielleicht sogar einen eigenen Weltverband gründet. Und dieser Weltverband würde umgehend die Anerkennung des IOC suchen.”
Wie sich der deutsche Boxsport-Verband zu der Eskalation stellt, ist noch nicht ganz klar. Eine Entscheidung wird für die nächste Woche erwartet. Eine Tendenz lässt sich allerdings ablesen, sagt Job. Der anhaltende Zwist mit dem IOC hat einen kuriosen Terminkonflikt produziert. Die Situation bei den Männern stellt sich so dar: Im Mai soll in Taschkent bei der Weltmeisterschaft geboxt werden. Zwei bis drei Wochen später müssten die gleichen deutschen Athleten in die Nähe von Krakau ziehen, um sich dort für die Olympischen Spiele zu qualifizieren. Im Zweifel sind die olympischen Qualifikationen wichtiger als die Weltmeisterschaften. Deshalb wird man wahrscheinlich schon aus sportlichen Gründen auf die Teilnahme an den Weltmeisterschaften verzichten.”