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Boykott der Frankfurter Buchmesse
Faschismus ist keine "andere Meinung"

Viele Medien diskutieren den Buchmessen-Boykott einiger Autorinnen und Autoren wegen der Anwesenheit rechter Verlage. Der Fokus liegt dabei oft auf dem Aspekt "Meinungsfreiheit". Unsere Kolumnistin Marina Weisband findet: Faschismus auf "eine andere Meinung" zu reduzieren, ist eine unzulässige Verharmlosung.

Von Marina Weisband |
Menschen schlendern während des ersten Besuchertags der Frankfurter Buchmesse 2021 durch Halle 3
Menschen schlendern während des ersten Besuchertags der Frankfurter Buchmesse 2021 durch Halle 3 (picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow)
Auf der Frankfurter Buchmesse war also ein Verlag vertreten, dessen Programm gut begründet als faschistisch bezeichnet werden könnte. Moment – Frankfurter Buchmesse? Ist das jetzt nicht etwas spät? Die ist immerhin seit drei Tagen vorbei. Also warum noch darüber reden?
Ich fände es erstens recht gut, uns anzugewöhnen, Sachen auch unabhängig von tagesaktuellen Aufhängern zu diskutieren. Zweitens ist das Problem rechtsradikaler Verlage auf der Buchmesse nicht neu, und es wird nächstes Jahr die exakt gleiche Debatte geben, wenn wir es nicht schaffen, sie auch mal unterjährig zu führen. Soll man wirklich jedes Mal überrascht sein, wenn diverse Autoren die Buchmesse boykottieren?

Medien übernehmen PR-Positionen

Ich war diesmal recht persönlich involviert. Ich hatte selbst ein Buch vorzustellen. Ein Buch über jüdisches Leben in Deutschland. Während gleichberechtigt auf derselben Messe Faschisten ihre Vorstellungen davon verbreiten durften, warum Leute wie ich in diesem Land nicht existieren sollten. Meinungsvielfalt. Sie wissen schon.
Marina Weisband wurde 1987 in der Ukraine geboren und kam 1994 als Kontingentflüchtling nach Deutschland. Von 2011 bis 2012 war sie politische Geschäftsführerin der Piratenpartei. Die Schwerpunkte der Autorin und Diplompsychologin sind Partizipation und Bildung. In ihrem Buch "Wir nennen es Politik" schildert sie Möglichkeiten neuer politischer Partizipation durch das Internet. Seit 2014 leitet sie bei politik-digital.de das aula-Projekt zur Demokratisierung von Schulen.
Ich habe in dieser für mich unfassbar unbequemen Situation sowohl mitbekommen, wie viele Autoren Druck auf meinen Verlag gemacht haben, ein ernstes Wort mit der Buchmesse zu sprechen oder sie ebenfalls zu boykottieren – und ich habe mit dem PR-Team der Buchmesse telefoniert.
Zwischen diesem tieferen Einblick und der medialen Berichterstattung sind mir zwei Dinge aufgefallen, die ich aufbereiten möchte.
Erstens: Im Telefonat mit dem PR-Team musste ich etwa drei Mal betonen, dass ich mir nicht Sorgen um meine physische Sicherheit auf der Messe mache und dass – nein – auch ein Bodyguard nichts an dem Problem ändern würde. Die besondere Betonung des Sicherheitsaspekts haben die Medien direkt vom PR-Team übernommen.

Unzulässige Verharmlosung von Faschismus

So schreibt der "Spiegel" als Einordnung: "Es liege 'ein umfassendes Sicherheitskonzept zugrunde, das es allen ermöglicht, die Messe sicher zu besuchen'". Als ob es normal sei, dass bestimmte Autoren aufgrund ihres Aussehens oder ihrer Herkunft sich nur mit Personenschutz über die Messe bewegen dürften. Vor allem aber: Es geht mir persönlich überhaupt nicht um die Sicherheit vor Ort. Ein solcher Verlag gefährdet meine Sicherheit auf ganz andere Weise und viel langfristiger.
Was uns zum zweiten Punkt führt. Medial wird immer wieder das Credo der Buchmesse von der "Meinungsfreiheit" aufgegriffen. Auch in diversen Kommentaren liest man Kritik am Boykott – man müsse sich mit "anderen Meinungen" auseinandersetzen.

"Mediale Verharmlosung bringt uns nichts"

Hier ist meine Meinung: Die Reduktion von Faschismus auf "eine andere Meinung" ist eine unzulässige Verharmlosung. Hier ist, was Faschismus außerhalb des Bereichs von Meinungsfreiheit stellt: Faschisten wollen nicht am Diskurs teilnehmen. Sie wollen niemanden mit ihren Argumenten überzeugen und erst recht nicht überzeugt werden. Faschisten wollen den Diskurs zerstören.
Mediale Verharmlosung bringt uns also gar nichts. Wir stehen vor der Frage: Wenn eine bunte Party mit vielen verschiedenen Stimmen das Ziel ist – wie verfahren wir mit den Menschen, die das Haus anzünden wollen?