"Eine Faszination für die Logik, für ihre Stringenz. Die habe ich schon als Kind verspürt. Und die Physik hat dieses Interesse tatsächlich befriedigt."
Rechnen und grübeln statt tüfteln und basteln - bereits während ihres Studiums in Pisa wurde Alessandra Buonnano klar, dass es sie eher zur theoretischen Physik zieht statt in ein Labor mit Geräten und Messinstrumenten. Und wie andere Theoriebesessene auch ließ sie sich früh vom bekanntesten Physikgenie aller Zeiten faszinieren - Albert Einstein.
"Ich war fasziniert von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie. Sie ist ganz anders als jene Theorie von Isaac Newton, mit der wir im Alltag die Gravitation beschreiben. Bei Newton vergeht die Zeit überall gleich schnell. Bei Einstein hingegen vergeht Zeit in der Nähe eines Schwarzen Lochs langsamer als bei uns auf der Erde."
Eine von Einsteins Voraussagen interessierte Buonnano besonders: Wenn irgendwo im Weltall gewaltige Massen zusammenstoßen, zum Beispiel schwarze Löcher, sollte das Raum und Zeit regelrecht zum Erzittern bringen. Dieses Zittern sollte sich dann lichtschnell im All ausbreiten - eine Gravitationswelle.
Den Gravitationswellen auf der Spur
Nur sind solche Wellen extrem schwach. Und so scheiterte die Fachwelt jahrzehntelang daran, sie direkt nachzuweisen. Doch dann ging 2002 in den USA das Megaprojekt LIGO an den Start - zwei riesige, ultrasensible Laserdetektoren. Alessandra Buonnano stieg in das Projekt ein, erst von Frankreich aus, dann zog sie in die USA, um an der University of Maryland zu forschen. Dort befasste sie sich mit folgender Frage: Wie im Detail müssten die Gravitationswellen aussehen, die zwei zusammenkrachende schwarze Löcher erzeugen sollten? Nach welcher Art von Signalen müssen die Laserdetektoren also suchen?
Die Ergebnisse lassen sich hörbar machen und klingen eher unspektakulär. Doch dahinter stecken aufwendige Berechnungen, sowohl mit Papier und Bleistift als auch mit Computersimulationen. Buonnanos Arbeiten überzeugten die Fachwelt - und ließen auch in Deutschland aufhorchen.
"Ich war Professorin an der University of Maryland, da traten die Leute vom Max-Planck-Institut an mich heran. Das war 2014, sie suchten damals nach einer neuen Direktorin. Es war damals keine leichte Entscheidung für mich, doch es waren gleich mehrere Argumente, die mich schließlich überzeugten."
Direktorin eines Max-Planck-Instituts
Als Direktorin eines Max-Planck-Instituts würde sie enorme Forschungsfreiheiten besitzen. Durch die großzügige Finanzierung könnte sie auch langfristige Projekte in Angriff nehmen. Sie hätte Zugriff auf den institutseigenen Supercomputer. Und:
"In Potsdam konnte ich ein Team aufbauen, in dem sowohl Experten für die Berechnung der Signale arbeiten als auch Fachleute, die die realen Messdaten analysieren. Beide Richtungen können sehr viel voneinander lernen - und das fand ich sehr attraktiv."
2014 zog Alessandra Buonnano nach Potsdam - und bald darauf sollte der aufregendste Moment ihrer Karriere folgen. Am 14. September 2015 erfassten die beiden LIGO-Detektoren ein außergewöhnliches Signal: In einer Entfernung von 1,3 Milliarden Lichtjahren waren zwei schwarze Löcher so heftig kollidiert, dass sich das deutlich in den Messdaten der Laserdetektoren zeigte.
"Gemeinsam mit den anderen LIGO-Fachleuten brauchten wir Monate, um sicherzustellen, dass dieses Signal tatsächlich eine Gravitationswelle war. Während dieser Zeit sollte nichts nach außen dringen, wir mussten die Sache für uns behalten. Als wir uns dann sicher waren und die Entdeckung veröffentlichten, haben wir das zwar mit ein paar Flaschen Prosecco gefeiert. Aber ein Teil von mir war auch ein bisschen traurig: Ich hätte das Signal gern noch etwas eingehender analysiert. Doch nun musste ich es mit dem Rest der Welt teilen."
"Deutsch zu lernen - was womöglich schwieriger ist als mathematische Gleichungen"
Am 11. Februar 2016 war es soweit: Auf einer Pressekonferenz verkündeten die LIGO-Macher, erstmals eine Gravitationswelle aufgespürt zu haben. Einsteins Behauptung war damit ein für allemal bewiesen. Ein Meilenstein der Wissenschaft, der Alessandra Buonnano aufgrund ihrer Beteiligung diverse Ehrungen einbrachte - darunter den Niedersächsischen Staatspreis und den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Bis auf Weiteres will sie am Albert-Einstein-Institut bleiben - in einem Land, in dem es für sie noch einiges zu entdecken gibt.
"Ich wusste nicht allzu viel über Deutschland als ich herkam. Aber Berlin und Potsdam finde ich sehr interessant, allein schon wegen ihrer Geschichte. Und womit ich nicht gerechnet hatte, war das große Interesse für Musik hier. Ich mag Musik und liebe es, zu den Berliner Philharmonikern zu gehen. Und ich mag die Fotografie. Ich bin gern in Berlin unterwegs und schieße Fotos. Denn Berlin hat ganz besondere Motive zu bieten."
An einem aber hat sie noch zu knapsen - an der berüchtigten deutschen Sprache.
"Ich bin gerade dabei, Deutsch zu lernen - was womöglich schwieriger ist als mathematische Gleichungen zu lösen. Das braucht seine Zeit."