Wenn Stuart Parkin daran denkt, wie es noch bis vor einiger Zeit in den Fluren seines Instituts ausgesehen hat, verzieht er sein Gesicht. Grau sei es gewesen, grau und abweisend. Heute dagegen wirkt das Gebäude wie verwandelt: Parkin hat es umbauen lassen - und dabei selber kräftig mitgemischt: "Wir haben natürlich mit Architekten zusammengearbeitet. Aber ich hatte meine eigenen Ideen - etwa diese Dreiecks-Muster auf den Fußböden. Und die Auswahl der Farben. Und ich habe mehrere Ecken einrichten lassen, wo sich die Leute zusammensetzen und bei einer Tasse Kaffee auf neue Ideen kommen können."
Helle, freundliche Farben, futuristisch geformtes Mobiliar – fast wähnt man sich in der Zentrale eines kalifornischen IT-Konzerns. Gestaltungswille scheint eine der prägnanten Eigenschaften des Physikers zu sein. 1980 hatte der Brite in Cambridge promoviert, zwei Jahre später heuerte er bei IBM an, in dessen Forschungslabor in Kalifornien. Dort wandte er sich einem noch jungen Forschungsfeld zu: Wie verhalten sich hauchdünne Magnetschichten, wenn man sie übereinander stapelt wie bei einem Sandwich? 1988 hörte Stuart Parkin von einer aufsehenerregenden Arbeit: Unabhängig voneinander hatten der Deutsche Peter Grünberg und der Franzose Albert Fert ein neues Phänomen entdeckt, den GMR-Effekt, den Riesenmagnetowiderstand.
"Als ich von den Arbeiten hörte, entschloss ich mich, die Experimente in meinem Labor zu wiederholen. Dabei habe ich entdeckt, dass man die Strukturen, bei denen sich der GMR-Effekt zeigt, überraschenderweise nicht nur mit der von Grünberg und Fert verwendeten Methode herstellen lassen. Mir gelang das auch mit einem Verfahren, das sich für eine industrielle Massenfertigung eignet", sagt Parkin.
"Ohne diese Entwicklung wäre Cloud-Computing nicht möglich"
In den Labors von IBM entdeckte er weitere Details, die den späteren Nobelpreisträgern Grünberg und Fert durch die Lappen gegangen waren. Und er identifizierte Materialien, die sich für praktischen Einsatz eigneten. Die Folge: "Damit ließ sich die Speicherkapazität von Festplatten um das Tausendfache erhöhen. Nachdem IBM die neue Technologie eingeführt hatte, wuchs die Kapazität jedes Jahr um das Mehrfache. Ohne diese Entwicklung wäre das heutige Cloud-Computing nicht möglich: Ein Großteil der riesigen Datenmengen wird nach wie vor auf Festplatten gespeichert, einfach weil es so billig ist."
Google, Facebook, YouTube - ohne die Arbeiten von Stuart Parkin wären sie heute kaum so erfolgreich und so mächtig. Der Physiker war ein gemachter Mann, heimste Preise und Auszeichnungen ein. Mancher wunderte sich deshalb, als er 2014 ein Angebot der Max-Planck-Gesellschaft annahm und nach Halle ging, als Direktor am Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik.
"Der Hauptgrund war: Ich hatte eine Deutsche geheiratet, eine renommierte Chemikerin, sehr erfolgreich auf ihrem Gebiet", sagt Parkin. Claudia Felser ist Direktorin am Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden. 2002 hatten sich die beiden auf einer Fachkonferenz kennen und später dann lieben gelernt.
Parkin: "Wir arbeiten in mehreren Projekten zusammen. Claudias Institut ist in Dresden, anderthalb Stunden von Halle entfernt. Sie hat in unserem Institut einen Raum, um nicht jeden Tag nach Dresden fahren zu müssen. Die ersten drei Jahre war es umgekehrt: Da haben wir in ihrer Wohnung in Dresden gelebt, und ich musste jeden Tag nach Halle fahren. Aber im letzten September ist unser Haus hier in Halle fertig geworden, und nun leben wir hier."
Doch es waren nicht nur private Motive, die Parkin nach Deutschland lockten: Er schwärmt von den Forschungsmöglichkeiten, die sich ihm hier bieten: "Die Max-Planck-Gesellschaft konzentriert sich auf folgende Frage: Welche grundlegenden wissenschaftlichen Durchbrüche könnten die Welt wirklich verändern? Und genau das ist auch meine Forschungs-Philosophie."
Parkin baute erst einmal das Gebäude um
Er fühle sich in Deutschland sehr wohl, erzählt der 62-Jährige, die Menschen seien offen und freundlich. In seinem Institut war er bislang vor allem damit beschäftigt, das Gebäude umzubauen, Labors einzurichten und Mitarbeiter einzustellen. Jetzt ist das Meiste fertig, und nicht ohne Stolz zeigt Stuart Parkin eines seiner Labors. Mango heißt die Anlage, die aussieht wie das Modell einer Raumstation und mit der sich feinste Nanostrukturen herstellen lassen. Eine weltweit einzigartige Apparatur: "Das haben wir alles selber gebaut. So etwas kann man nicht kaufen. Das zu bauen, wäre für eine Firma viel zu kompliziert."
Hier arbeiten Parkin und sein Team am "Racetrack Memory", einer Speichertechnik, die künftig die heutigen Festplatten ablösen könnte. Oder an Computern, die der Funktionsweise des menschlichen Gehirns nachempfunden sind. Und demnächst vielleicht auch am Quantencomputer, einem möglichen Wunderrechner der Zukunft. Und wie ist der britische Nanotechnologe so als Chef?
"Er steckt voller Energie. Selbst nach einem Flug aus den USA diskutiert er mit einem auf dem Weg vom Flughafen nach Hause noch über die Arbeit. Ich bin nach so einem langen Flug meist total erschöpft. Er dagegen ist immer hellwach", sagt Tianping Ma, Doktorand aus China. In einer der stylischen Besprechungsecken des Instituts macht er gerade ein Päuschen.
"Er will immer an der Spitze sein. Das setzt einen manchmal unter Druck, ist aber zugleich sehr aufregend: Denn Stuart ermutigt einen, auch mal etwas Schwieriges in Angriff zu nehmen, nach dem Motto: Versuche es doch einfach mal." Parkin sprudelt nur so voller neuer Ideen, sagt Ma. Das sei zwar anregend, aber nicht immer ganz einfach. "Als erfahrener Doktorand erzähle ich jedem neuen Doktoranden: Greife nicht jede seiner Ideen auf, das würde viel zu viel Arbeit machen. Konzentriere dich stets auf dein Thema."
Vor diesem Hintergrund wundert es kaum, dass Stuart Parkin auf die Frage, welche Interessen er neben seiner Arbeit sonst noch so hat, eine klare Antwort weiß: "Ich finde es fantastisch, einen Job zu machen, bei dem man herausfinden kann, wie die Natur funktioniert. Das füllt die 24 Stunden meines Tages völlig aus. Für mich ist nichts aufregender als die Forschung, die wir hier machen."