"Ich habe als Kind oder auch Teenager die Bücher vom Konrad Lorenz gelesen, und das hat mich sofort fasziniert. Und nachher als ich 18 war habe ich per Zufall in einem Laden das Buch 'Ein Jahr mit den Gorillas' von George Schaller gesehen, gekauft, gelesen und dann auch gesagt: Das möchte ich jetzt machen."
Christophe Boesch, geboren 1951 in St. Gallen in der Schweiz, verwirklicht seinen Jugendtraum. Er studiert Biologie an der Universität Genf. Über eine Professorin erhält er Kontakt zu der berühmten Primatologin Dian Fossey, die Gorillas in den zentralafrikanischen Virunga-Bergen erforscht. Christophe Boesch bricht dorthin auf, um an einem Zensus der Berggorillas teilzunehmen - die Daten bilden später die Grundlage seiner Diplomarbeit.
"Die Feldarbeit war auch wunderbar. Ich meine, die Virungas sind ja ein wunderschöner Ort. Es ist sehr schwer physisch, weil es ist ja sehr hoch, und man muss dann die Gorillas suchen. Die sind von Zeit zu Zeit ja über 4.000 Meter hoch. Aber das ist spannend, und es war wirklich eine sehr schöne Zeit."
Schimpansen, die Nüsse knacken
Dian Fossey - die trotz schwieriger Bedingungen vor Ort beharrlich für den Schutz der Gorillas arbeitet, bis sie einige Jahre später im Forschungscamp in den Virunga-Bergen ermordet wird - beeindruckt Christophe Boesch. Und so macht er sich nach dem Diplom auf die Suche nach einem eigenen Freilandprojekt. Seinen Lebensunterhalt verdient er in dieser Phase als Lehrer an einer Genfer Schule. Schließlich hört er von einer Schimpansen-Population in der Elfenbeinküste, die angeblich Nüsse knackt - damals nicht mehr als ein faszinierendes Gerücht.
"Menschenaffen, Werkzeuggebrauch, menschliche Evolution - das alles klang eigentlich sehr spannend. Und dann habe ich eben auch nach Geld gesucht, um überhaupt ins Feld gehen zu können."
1976 hat er schließlich genug Fördermittel zusammengekratzt: Christophe Boesch reist erstmals in den Taï Nationalpark in der Elfenbeinküste, um die Schimpansen dort zu beobachten.
"Am Anfang ist der durchschnittliche Arbeitstag recht frustrierend. Weil die Schimpansen sind immer und überall in Afrika von Menschen gejagt (worden). Sie werden getötet und gefressen. Und dann sind sie, was zu erwarten ist, sehr ängstlich und haben einfach Angst vor jeglichem Mensch. Und nach sieben Monaten dort im Wald konnte ich dann eine Schimpansin sehen mit einem Steinhammer in der Hand, die dabei war, Nüsse zu knacken. Leider hat sie mich dann sofort gesehen und ist weggerannt. Aber den Beweis hatte ich!"
Arbeit und Leben in den Wäldern Westafrikas
Diese einzelne Beobachtung verhilft dem aufstrebenden Verhaltensbiologen zu weiteren Forschungsgeldern für seine Doktorarbeit, die er 1984 abschließt - und sie legt den Grundstein für ein Langzeitprojekt im Taï Nationalpark, das bis heute andauert und ihn zu einem weltweit renommierten Primatologen gemacht hat. Von Anfang an dabei: seine Frau Hedwige.
"Wir haben geheiratet, bevor wir zusammen in die Elfenbeinküste gegangen sind, als ich auch diese drei Jahre Finanzierung gekriegt hatte. Und obwohl sie nicht die Universität gemacht hat, hat sie sich auch an den Schimpansen begeistert. Und wir haben eigentlich zwölf Jahre lang nachher im Wald gearbeitet, gewohnt, haben auch unsere zwei Kinder dort gehabt. Und das war, ja, eine sehr schöne Zeit, und wir haben da unglaublich viel entdeckt."
Über die Jahre im Dschungel entwickelt Christophe Boesch eine - wie seine Frau einmal gesagt hat - fast unheimliche Fähigkeit vorherzusagen, was die Schimpansen als nächstes unternehmen werden.
"Dieser Prozess, dass die Tiere sich an den Menschen habituieren, hat eigentlich fünf Jahre gedauert. Das heißt: Fünf Jahre lang haben wir versucht, die überhaupt zu sehen; haben wir versucht zu verstehen, wo gehen sie, in welche Richtung, was sie für Rufe machen, wenn sie sich im Wald bewegen. Das heißt, man wurde gezwungen, als Schimpanse zu denken, sich als Schimpanse zu bewegen."
Seine Doktorarbeit über das Nüsseknacken frei lebender Schimpansen reicht Christophe Boesch an der Universität Zürich ein. Anschließend habilitiert er sich an der Universität Basel. Als 1997 in Leipzig das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie gegründet wird, erhält er das Angebot, die primatologische Abteilung zu leiten.
"Das war ein Riesenglück. Weil Max-Planck bleibt in der Forschung eine der besten Möglichkeiten, die es in Europa oder weltweit gibt. Und für mich als Feldforscher war das eine Riesenchance, weil die geben uns eben diese Freiheit und unterstützen uns auch, wenn wir mit verrückten Ideen kommen."
Erfinder des Schimpansen-Monitoring
Das von Christophe Boesch initiierte Schimpansen-Monitoring in der Elfenbeinküste hat über die Jahre wertvolle Einblicke in das Leben unserer tierischen Verwandten geliefert und eindrucksvoll belegt, dass Schimpansen vieles können, was man lange nur Menschen zugetraut hatte. Nicht nur, dass Schimpansen mit gezielt gesuchten Werkzeugen Nüsse knacken. Sie kooperieren auch bei der gemeinsamen Jagd auf kleine Affen und teilen deren Fleisch unter sich auf. In zahlreichen anderen afrikanischen Ländern hat der Verhaltensforscher inzwischen ähnliche Beobachtungen gemacht.
"Und all das hat mich überzeugt, dass es bei Schimpansen Kulturen gibt. Wie wir das beim Menschen verstehen: Kulturen, wo die Tiere sich wirklich anders verhalten in Abhängigkeit davon, in welcher sozialen Gruppe sie leben. Das geht so weit, dass, wenn Sie mir sagen, wie ein Schimpanse sich verhält, kann ich Ihnen genau sagen, in welcher Gruppe er lebt."
Der Max-Planck-Direktor beschränkt sich aber nicht aufs Beobachten, sondern engagiert sich auch dafür, die Lebensräume der bedrohten Tiere zu erhalten. Nachdem er in der Elfenbeinküste immer wieder Holzfäller und Wilderer in den Nationalpark eindringen sieht, gründet er im Jahr 2000 die Wild Chimpanzee Foundation, eine Schutzorganisation für frei lebende Schimpansen in Westafrika.
2019 wird Christophe Boesch in Pension gehen. Mit zunehmendem Alter, sagt er, werde es für ihn immer schwieriger, den Schimpansen im Wald zu folgen. Aber sein Enthusiasmus, die Tiere zu schützen und zu erforschen, ist ungebrochen. Denn wie nah sich Mensch und Schimpanse tatsächlich sind, sei immer noch ein Rätsel.
"Wir kennen nur zwölf Populationen - verglichen mit hunderten Menschen-Populationen. Das heißt, wir wissen nur zu einem Bruchteil, was Schimpansen sind. Und da muss man ein bisschen Demut haben und akzeptieren zu sagen: Es ist noch zu früh, um überhaupt die Frage zu beantworten, was der Mensch ist."