"So lange ich denken kann, haben Tiere mich fasziniert. Ich habe früher Insekten in meinem Spind in der Schule gehabt. Ich hatte Schnecken an der Rückseite meines Bettes. Ich habe Ameisen gehalten und Schlangen. Mich hat schon immer das Verhalten von Lebewesen interessiert."
Iain Couzin wurde 1974 in Edinburgh geboren. Seine Kindheit verbrachte er im abgelegenen Nordosten Schottlands. Um Biologie zu studieren, ging er an die Universität St Andrews, eine der ältesten Hochschulen Großbritanniens. Dort begann sein Weg zum weltweit renommierten Wissenschaftler, der das Verhalten von Tier und Mensch mittels modernster Technik erforscht. Von Computern habe er aber selbst zu Beginn seiner Doktorarbeit an der Universität Bath Mitte der 1990er-Jahre noch keine Ahnung gehabt.
"Ich habe damals eine Ameisen-Kolonie beobachtet und versucht zu verstehen, was dort abläuft. Und ich habe gemerkt: Immer nur ein Individuum zu beobachten, reichte nicht. Da passieren so viele wichtige Dinge zur selben Zeit. Aber was wäre, wenn ein Computer samt Kamera so programmiert werden könnte, dass er alle Tiere der Kolonie gleichzeitig verfolgt?"
Untersuchungen zum Verhalten von Ameisen
Der Gedanke brachte Iain Couzin dazu, sich selbst das Programmieren beizubringen und eine Software zu entwickeln, die das Verhalten mehrerer Ameisen fortlaufend registriert.
"Mir wurde dann klar, dass es eine ganze Welt der Simulation mit virtuellen Organismen gibt. Einerseits kann man also reale Daten sammeln, andererseits Hypothesen mit Hilfe des Computers testen. Für mich ist ein Computer eine Erweiterung des Gehirns. Und Programmieren ist nicht langweilig. Ich würde das am ehesten mit Poesie vergleichen. Es ist ein kreativer Prozess, Algorithmen zu entwickeln, die solche Probleme lösen können. Diese neuen Technologien eröffnen uns eine neue Sicht auf die Welt."
An der US-amerikanischen Princeton Universität verfeinerte Iain Couzin sein Wissen über Simulationen und Modellierungen. Anschließend gründete er an der Universität Oxford eine eigene Arbeitsgruppe.
"Zu der Zeit habe ich meine Faszination für Heuschrecken entdeckt. Das sind schwarmbildende Insekten, die bekanntermaßen biblische Plagen verursachen können. Und obwohl sie das Leben jedes zehnten Menschen auf dem Planeten beeinflussen, war nicht bekannt, warum sie Schwärme bilden."
Umzug nach Deutschland - auch aus familiären Gründen
Das Ergebnis seiner Forschung: Zum einen entfliehen die eigentlich einzelgängerischen Tiere so nahrungsarmen Gebieten. Zum anderen spielt offenbar Kannibalismus eine Rolle – jede Heuschrecke jagt das Insekt vor sich und wird vom nachfolgenden Artgenossen angeknabbert, wenn sie nicht weiter wandert. Die wegweisende Arbeit verschaffte Iain Couzin erneut eine Position in Princeton. Dort erforschte er Fisch-Schwärme, die Entscheidungsfindung unter Pavianen und das Verhalten von Menschenmengen. Er veröffentlichte in den renommiertesten Fachmagazinen und hatte ab 2013 eine unbefristete Professur inne. Trotzdem entschied er sich ein Jahr später, nach Deutschland überzusiedeln.
"Da haben mehrere Faktoren eine Rolle gespielt. Zum einen bietet einem die Max Planck-Gesellschaft so unglaublich flexible Forschungsbedingungen, wie man sie kaum anderswo auf der Welt findet. Das andere war ein persönlicher Grund: Meine Frau stammt aus Israel, ich aus Schottland, und wir wollten näher bei unseren Familien sein – unsere Eltern werden älter. Und Konstanz ist sehr nah am Flughafen Zürich, von wo es sehr gute Verbindungen nach Tel Aviv gibt."
Zunächst seien Familie und Freunde seiner Frau zwar irritiert gewesen, dass sie ausgerechnet nach Deutschland zieht. Mittlerweile komme sein Schwiegervater aber jedes Jahr, um in den Alpen Fahrrad zu fahren. Eine weitere – allerdings fortbestehende – Schwierigkeit sei die Sprache, zum Beispiel beim Friseur.
Große Pläne für die Zukunft
Für die Zukunft in Deutschland hat Iain Couzin große Pläne. Gerade wurde der Grundstein für ein neues Gebäude an der Universität Konstanz gelegt. Am "Center for Visual Computing of Collectives" sollen künftig Biologen, Psychologen und Informatiker interdisziplinär das kollektive Verhalten von Mensch und Tier erforschen. Das könnte auch dabei helfen, in Zukunft praktische Anwendungen auf der Grundlage von Iain Couzins Forschung zu entwickeln.
"Zum Beispiel, um die Suchstrategien von Schwärmen autonomer Roboter zu optimieren. Oder wenn es darum geht, bestimmte Umgebungen sicherer für Menschen zu gestalten. Ein Teil der Arbeiten könnte auch dem Naturschutz dienen. Wir verstehen zunehmend, wie wichtig kollektives Verhalten für viele wandernde Tierarten ist. Das haben wir zum Beispiel bei Störchen untersucht."
Jasminca Behrmann-Godel ist Privatdozentin am Limnologischen Institut der Universität Konstanz und kooperiert bei einigen Projekten mit Iain Couzin. Er habe eine unheimliche Strahlkraft und eine unglaubliche Begeisterung für sein wissenschaftliches Thema, sagt sie.
"Und was ich ganz toll finde, ist: Wir waren einmal zusammen in einer Professorenrunde, wo er dann im Prinzip eine Lanze gebrochen hat für die Verhaltensbiologie. Und wo er geschildert hat, dass die Verhaltensbiologie neue Wege, neue Ideen und neue Visionen braucht. Und das hat mich total überzeugt, da hat er absolut Recht. Und da ist er der absolut Richtige dafür. Das finde ich faszinierend, und da freue ich mich drauf, was da noch alles kommt."