Vor einer Woche hatte Sebastian Steinmayr wieder mal ein Personalgespräch. Einer seiner Mitarbeiter teilte dem Geschäftsführer der Bayerischen Lokalradio GmbH mit, dass er zum Bayerischen Rundfunk wechseln werde – also vom privaten Radio zum öffentlich-rechtlichen. Schon wieder einer weg, dachte Steinmayr. "Wir haben zwischen 2000 und heute insgesamt 32 hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgegeben. Und 95 Prozent von denen explizit an den Bayerischen Rundfunk."
Steinmayr klagt: Die 55 privaten Lokalradios in Bayern und deren Mantel-Dienstleister BLR seien eine Art unfreiwillige Ausbildungs-Akademie für den Bayerischen Rundfunk. In den Trennungsgesprächen hört Steinmayr immer wieder zwei Wechselgründe: "Die extreme Diskrepanz zwischen den finanziellen Leistungen, die wir bezahlen können – und das, was die Kollegen vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk bezahlen können. Und zweitens, dass die Belastung beim Öffentlich-Rechtlichen, was zum Beispiel die Stundenschichten angeht, sehr viel geringer sind als bei uns."
BR: Bilden jedes Jahr zwölf Volontäre aus
Kurz gesagt: der BR zahlt besser – bei geringerer Arbeitszeit. Steinmayr spricht davon, dass der BR systematisch Mitarbeiter abwerbe, kann das allerdings nicht belegen. Walter Schmich, der Leiter der Stabstelle Hörfunk des BR, betont, dass man nicht gezielt abwerbe. Er habe in seiner langen Zeit beim BR maximal fünf Privatfunker von sich aus angesprochen und zum BR geholt. "Weil der Großteil kommt als proaktive Bewerbung. Weil die natürlich hier beim BR Möglichkeiten sehen, die sie im Lokalfunk wahrscheinlich nicht sehen. Ich spreche aus eigener Erfahrung, ich komme schließlich auch aus dem Lokalfunk. Ich war 1989, glaube ich, der erste Lokalfunker, der zum BR kam."
Schmich weist den Vorwurf zurück, der Bayerische Rundfunk bilde selbst zu wenig Nachwuchs-Journalisten aus. Man unterstützte die Deutsche Journalistenschule, kooperiere mit der Uni Eichstätt und wähle jährlich zwölf Volontäre aus. "Ich denke, wir tun wirklich sehr, sehr viel für den journalistischen Nachwuchs. Weil zwölf Volontäre, das ist in der heutigen Zeit auch nicht selbstverständlich, zwölf Volontäre auszubilden. Auch wir sind in Zeiten mangelnder und schwindender Ressourcen natürlich gezwungen, an allen Ecken und Enden zu sparen. Wo wir nie gespart haben, ist diese Zahl zwölf. Die kenne ich noch aus meiner Jugend."
BLM-Chef: BR bildet weniger aus, als er braucht
Damals jedoch hatte der BR noch keine fünf Radio-Programme, umfangreiche Multimedia-Angebote und eine Jugendwelle namens Puls – die einen Großteil ihrer Mitarbeiter über das Münchner Ausbildungsradio M94,5 generiert. Das wird von der Mediaschool Bayern finanziert. Die wiederum bekommt ihr Geld vor allem von den privaten Hörfunk-Anbietern in Bayern. Der Bayerische Rundfunk zahlt jährlich nur 25.000 Euro an die Mediaschool, klagt Lokalfunker Steinmayr. "Wir sind auch als BLR an der Media School beteiligt. Wenn Sie unser Engagement in Relation setzen, ist unser Engagement um das 231-fache höher als das des Bayerischen Rundfunks."
Denn das Budget der BLR beträgt nur einen Bruchteil der Bilanzsumme des Bayerischen Rundfunks, die 2019 bei fast zwei Milliarden Euro lag. Unterstützung erhält der Geschäftsführer der Bayerischen Lokalradio-Gesellschaft von Siegfried Schneider, dem Präsidenten der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM). "Also ich denke, dass der Bayerische Rundfunk weniger ausbildet, als er tatsächlich braucht. Beim Beamtenrecht gibt’s ja eine Ausbildungs-Abgabe, wenn man innerhalb einer bestimmten Zeit nach der Ausbildung den Dienstherrn wechselt. Also ich setze da mehr auf Gespräche, auf Verständnis, möglicherweise auch auf eine freiwillige Selbstverpflichtung."
Deutschlandweites Problem
Mehr kann Schneider auch nicht tun. Schließlich ist er dem BR gegenüber nicht weisungsberechtigt. Als Präsident der Landesmedienanstalt ist er für die privaten Medien in Bayern zuständig. Die leiden in der Corona-Krise unter Werbeeinnahme-Ausfällen. Viele der kleineren Lokalradios haben schwer zu kämpfen. Aber sie seien immer noch profitabel, sagt Walter Schmich vom Bayerischen Rundfunk. "Ich kann die Not sehr gut verstehen – aber ich glaube, es müsste genug Potential geben, um die Leute nachzufüttern. Ich halte das für extrem wichtig, dass man im Lokalen die Ausbildung beginnt. Ich habe auch bei der Lokalzeitung angefangen zu arbeiten. Und da, glaube ich, kriegt man das Handwerkszeug fürs ganze spätere berufliche Leben mit."
Was Schmich nicht ändern will, ist die Bezahlung seiner Mitarbeiter. Die sei angemessen und könne nicht deshalb sinken, weil die Privaten deutlich weniger zahlen. Da stimmen ihm die meisten bayerischen Medien-Ausbildungs-Einrichtungen zu, die der Deutschlandfunk für diesen Beitrag befragt hat. Der Ausbildungs-Leiter einer renommierten Münchner Akademie etwa sagt, die Privaten zahlten zu geringe Löhne.
Er sagt aber auch, der BR müsse mehr in Ausbildung investieren. Das Problem sei kein rein bayerisches: Es treffe auf alle deutschen Landesrundfunk-Anstalten zu. Das findet auch Sebastian Steinmayr: "Es gibt in ganz Deutschland einen Wettbewerb um die besten Köpfe. Wir haben hervorragende Köpfe. Der Bayerische Rundfunk hat hervorragende Köpfe. Mir geht es darum, dass die, die bei uns sind, auch bei uns bleiben. Und deshalb muss der BR einfach mehr ausbilden."