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Braindrain
Die klugen Köpfe verlassen den Iran

Viele gut ausgebildete junge Menschen verlassen den Iran, um im Ausland freier zu leben. Konservative Politiker sehen darin noch kein Problem - Unternehmer aber klagen über die wegziehenden Fachkräfte.

Von Reinhard Baumgarten |
    Die IAEA in der iranischen Atomanlage Isfahan (Archivfoto von 2007)
    Fachkräfte verlassen den Iran - dabei werden sie gebraucht, zum Beispiel in der iranischen Atomanlage Isfahan. (dpa / picture-alliance / Abedin Taherkenareh)
    Gerade habe sein Werkdirektor den Iran Richtung Amerika verlassen, sagt Farhad Behnia, Chef des Verbandes iranischer Autozulieferer. "Mein Produktionsmanager ist leider mit seiner Frau nach Kanada ausgewandert. Er gehörte zu meinem Schatz und war einer der besten technischen Manager im ganzen Land."
    Die Regierung Rohani hat erkannt, dass der anhaltende Wissensabfluss dem Land nachhaltige Probleme bescheren wird. Reza Faraji Dana, Minister für Forschung und Technologie, sprach kürzlich von 150.000 gut ausgebildeten jungen Iranern, die jährlich das Land verlassen.
    Die 30-jährige Mona ging für ein Aufbaustudium nach Österreich: "Man wird in zwei Teile gerissen. Ich habe Kunstgeschichte studiert, aber ich finde im Iran kein Auskommen. Es gibt hier auch keine Redefreiheit. Ich finde keine Arbeit und als junge Frau kann ich ohne Unterstützung meiner Eltern kein eigenes Leben führen, zum Beispiel ein eigenes Zimmer mieten oder so was."
    Wer sein Studium im Ausland fortsetzt, das belegen Statistiken, kommt in der Regel nicht zurück in den Iran. Ob Mona zurückkommt, weiß sie noch nicht. "Wenn ich gekonnt hätte, dann hätte ich meine Freunde mitgenommen. Sie möchten alle raus, aber nur ich habe die Mittel und die Möglichkeit, ins Ausland zu gehen."
    Hohe Arbeitslosigkeit bei jungen Iranern
    Als einer der Hauptgründe für den anhaltenden Braindrain nennt eine IWF-Studie die hohe Arbeitslosigkeit unter jungen Iranern. Tendenz steigend. Auf dem Gymnasium habe für ihn festgestanden, nach dem Abitur ins Ausland zu gehen, sagt der 21-jährige Aydin: "Das war mein Plan. Dann habe ich gemerkt, dass unsere Finanzen das gar nicht erlauben."
    Aydin studiert jetzt Maschinenbau in Teheran. Sein Wunsch, ins westliche Ausland zu gehen, ist nach wie vor stark. "Dort werden Begabungen entdeckt und man kriegt die Chance, sich weiter zu entwickeln. Wenn es diese Möglichkeiten und Chancen auch hier gäbe, dann würden viele das Land gar nicht verlassen. Diesen sogenannten Braindrain würde es gar nicht geben."
    Laut dem IWF kostet der Wissensabfluss in Gestalt gut ausgebildeter Akademiker den Iran jährlich rund 50 Milliarden Dollar. Andere Quellen veranschlagen die Ausbildungskosten an der Uni mit rund einer Million Dollar pro Hochschulabsolventen. Das ergäbe eine Summe von deutlich über 100 Milliarden Dollar pro Jahr, die durch den Braindrain verloren gehen. Auch Arash studiert in Teheran Maschinenbau. Auch er will weg. "Für mein Aufbaustudium möchte ich ins Ausland gehen, wo es kulturell und sozial besser ist als hier im Iran - die Art und Weise, wie die Leute denken, und auch die Qualität der Universitäten und solche Dinge. Wohlstand ist auch wichtig. Das ver¬missen wir ziemlich hier im Iran."
    Dem 23-Jährigen geht es nicht allein um eine bessere Ausbildung mit besseren Karrierechancen. "Ich will Freiheit. Jeder muss nach seiner Vorstellung leben und wählen können. Hier ist es aber so, dass man uns irgendwelche Leute vorsetzt. Wir dürfen einen auswählen, der von einem Gremium ausgesucht wurde. Was ist das für eine Demokratie?"
    Das Problem des Wissensabflusses ist mindestens so alt wie die Islamische Republik. "Sie sprechen von Braindrain", verkündete Ende Oktober 1980 Revolutionsführer Ayatollah Khomeini. "Lasst die verrotteten Gehirne abziehen. Trauert ihnen nicht nach. Ist jedes Gehirn voller Wissenschaft ehrenwert? Zur Hölle mit ihnen. Der Iran ist nicht länger ein Land, in dem diese Leute leben können."
    Sehnsucht nach Kanada
    "Durch meine Erfahrungen der vergangenen Jahre ist mir klar geworden, dass meine Forderungen an dieses System unrealistisch sind. Ich kann beispielsweise nicht erwarten, dass sie den Islam aus der Verfassung streichen. Ich kann auch nicht verlangen, dass das System säkular gestaltet wird."
    Im Mai 2012 veröffentlichte die Tageszeitung "Sharq" die Ergebnisse einer Studie, bei der es um die Auswanderung ausgezeichneter Schüler und Studenten ging. Der Iran schneidet bei den sogenannten Wissenschaftsolympiaden regelmäßig gut ab. Entsprechend der Studie sind 70 Prozent aller Medaillengewinner in Physik, 77 Prozent in Mathe und je 50 Prozent in Chemie und Informationstechnologie kurz nach Abschluss ihrer Ausbildung ausgewandert. Der 31-jährige Reza Mohammadi hat sich entschieden, im Iran zu bleiben. Nach zähem Ringen mit zuständigen Behörden ist es ihm gelungen, eine Firma für Web-Design zu gründen. Dann suchte er qualifizierte Mitarbeiter für sein junges Unternehmen.
    "Bei jeder Bewerbung hieß es, Persisch ist meine Muttersprache, Englisch spreche ich fließend und ich habe Grundkenntnisse in Französisch. Weißt du, was das heißt? Die wollen alle nach Kanada. Ich habe die immer gefragt, habt ihre eine offene Akte in der kanadischen Botschaft? Woher weißt du das, haben die dann gesagt. Arbeitest du für den Geheimdienst? Nein, aber warum sollte im Iran jemand Französisch lernen? 90 Prozent haben eine offene Akte in der australischen oder kanadischen Botschaft."
    Konservative Politiker halten die Warnungen der Regierung für übertrieben. Von einem Braindrain könne keine Rede sein. Es finde lediglich eine natürliche Fluktuation statt. Der 21-jährige Maschinenbaustudent Aydin wird alles daran setzen, Teil dieser Fluktuation zu werden. "Viele sind gegangen. Von meinen fünf engen Freunden haben zwei bereits das Land verlassen. Zwei andere und ich sind noch da. Nicht weil wir wollen, sondern weil wir einfach nicht die nötigen Mittel haben."