Ein sonniger Samstag Mitte Juli vor der Stadthalle in Cottbus, Brandenburgs zweitgrößte Stadt und Metropole der Lausitz. Hier, in dieser vom Braunkohleausstieg und Strukturwandel erschütterten Region, ist die Brandenburger AfD am stärksten. In Cottbus kommt sie in Umfragen auf 30 Prozent der Stimmen – und in Cottbus und nicht in der Landeshauptstadt Potsdam starten die Rechtspopulisten mit Ostrock und blauer Zuckerwatte in den Wahlkampf für die Landtagswahl am 1. September.
Etwa 1.000 Anhänger haben sich schon lange vor Beginn der Veranstaltung versammelt, warten auf Landeschef Andreas Kalbitz und den Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke, beide Vertreter des völkischen Denkens in der AfD. Viele im Publikum sind zwischen Mitte 50 und irgendwo in den 70ern. Dazwischen auch junge Leute. Eine Frau hat ihre etwa zehnjährige Tochter dabei, die in den Redepausen "Volksverräter" schreien wird.
"Warum wir AfD wählen? Schauen Sie sich im Land um, gehen Sie mit geöffneten Augen durchs Land, dann wissen Sie das, warum wir AfD wählen. Damit Frauen auch nach 18 Uhr noch zum Beispiel die Straße betreten können."
"Die Politik ist eine Frechheit, die hier gemacht wird!"
Immer noch Frust im Osten
"Es wird immer schlimmer. Ich hab Arbeitskollegen, die können nicht ihre Familie ernähren, gehen acht Stunden arbeiten. Und das kann nicht sein, dass wir nach fast 30 Jahren Wende immer noch kein Gehalt bekommen wie drüben im Westen."
"Ich habe son Hals und son Frust!"
Es ist ein im Osten weit verbreiteter Frust: das Gefühl, dem Westen immer noch nicht auf Augenhöhe begegnen zu können, Bürger zweiter Klasse zu sein, mit kümmerlichen Renten, die kaum zum Überleben reichen. An diese Gefühlslage knüpft die AfD geschickt an: "Vollende die Wende" heißt es auf Wahlplakaten in Brandenburg und: "Friedliche Revolution mit dem Stimmzettel".
Dietmar Woidke, SPD-Ministerpräsident und Spitzenkandidat, findet das infam. Zumal AfD-Landeschef Kalbitz aus München stammt und die harten Wendejahre, als im Osten fast die gesamte Industrie wegbrach, nur vom Hörensagen kennt.
"Hier für eine Partei, die ja eher für rechtsextremistische und rechtspopulistische Inhalte steht, mit der Wende und mit der damaligen Hoffnung auf Demokratie und Freiheit in der damaligen DDR zu kokettieren, das geht aus meiner Sicht überhaupt nicht, und ich hoffe sehr, dass die Damen und Herren dann dafür am 1. September eine Quittung kriegen."
Vier Wochen vor der Wahl sieht es danach aber nicht aus: Laut Umfragen stabilisiert sich die AfD mit etwa 20 Prozent als stärkste Kraft. Beim Wahlkampfauftakt in Cottbus bejubelt die Menge den nationalistischen Frontmann Björn Höcke. Er fordert sie auf, die Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen zum –Zitat – "Zahltag für das politische Establishment" zu machen: "Lassen wir hier die politische Sonne im Osten wieder aufgehen. Lassen wir sie dann über ganz Deutschland scheinen. Holen wir uns unser Land zurück, vollenden wir die Wende. Es ist an der Zeit."
AfD will sich nicht spalten lassen
Auch Sachsens Landeschef Jörg Urban ist nach Brandenburg gekommen. Alle drei Ost-Landeschefs demonstrieren Einigkeit mit dem ebenfalls angereisten Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen: Die AfD streite zwar, wie derzeit über den Personenkult um Höcke, lasse sich aber nicht spalten, so die Botschaft.
Doch sie spalte das Land, wirft die Brandenburger SPD der AfD vor. Und zieht mit dem Slogan "Ein Brandenburg" in den Kampf um den Machterhalt.
"Und deswegen ist es für uns, für die Parteien, für die gesamte Gesellschaft eben immens wichtig, dass mit dieser Landtagswahl auch ein klares Signal zur Demokratie, zur Menschlichkeit und zur Weltoffenheit kommt. Und ich bin fest davon überzeugt, dass wir dieses auch schaffen werden."
Die AfD startet ihren Kampf um die Macht in Cottbus, weil sie dort seit Monaten bei Demonstrationen des Vereins "Zukunft Heimat" gegen die Flüchtlingspolitik von Bund und Land mitmacht. Mehr noch: Spitzenkandidat Andreas Kalbitz hätte das Ringen um den ersten Listenplatz um ein Haar verloren: Auf Platz zwei landete mit nur fünf Stimmen Abstand: Christoph Berndt, Vorsitzender des Vereins "Zukunft Heimat". Dass an seinen Demonstrationen auch stadtbekannte Neonazis teilnehmen, sieht Berndt nicht als Problem.
"Ich bin doch keine Stasi! Ich lasse mir doch nicht die Lebensläufe der Leute zeigen, die da kommen."
Die anderen Parteien reagierten empört auf den Schulterschluss der AfD mit "Zukunft Heimat". Ursula Nonnemacher, Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidatin der Grünen, warnt, "dass sich, falls das überhaupt noch möglich ist, der Rechtsruck in der AfD noch weiter verstärkt und noch weiter fortsetzt. Herr Kalbitz, als ein führender Exponent des rechtsnationalistischen Flügels, hat jetzt hier noch Gesellschaft gefunden von Herren, die unmittelbar stehen für die Bewegung der Straße, für den Zusammenschluss mit Pegida, für Zusammenarbeit mit ‚Ein Prozent‘, mit den ‚Identitären‘."
Christoph Berndt arbeitet mit aus Dresden angereisten Pegida-Leuten offen zusammen. Dass er auch mit der als rechtsextremistisch eingestuften "Identitären Bewegung" Verbindungen pflegt - so Erkenntnisse des Verfassungsschutzes - das weist Berndt zurück: "Sagt uns: Wo und wie arbeiten wir mit den ‚Identitären‘ zusammen? Dann können wir uns dazu äußern. Diejenigen, die so etwas sagen, sind dann auch in der Verpflichtung, ihre Behauptungen zu belegen."
Koalition mit der AfD ist ausgeschlossen
SPD, Linke, Grüne und auch die CDU haben eine Koalition mit der AfD nach der Wahl ausgeschlossen. Von der dann voraussichtlich fast doppelt so starken AfD-Fraktion im Landtag sei aber auch keine konstruktive Oppositionsarbeit zu erwarten, warnt Parteienforscher Gideon Botsch von der Universität Potsdam.
"Ich denke, dass es längst um eine Zersetzung unserer Demokratie geht, und zwar gerade im Kern ihres Handlungsbereichs. Wir schätzen diese Partei in Brandenburg, den Brandenburgischen Landesverband als einen rechtsextremen Landesverband ein."
Doch das wird viele Brandenburger nicht davon abhalten, am 1. September ihre Stimme der AfD zu geben. Zurück zum Wahlkampfauftakt in Cottbus:
"Ich bin nicht fremdenfeindlich und ich heiße das auch nicht gut, fremdenfeindlich zu sein. Aber das muss man sehen, wie sich das entwickelt."
"Das ist die einzige Lösung im Moment und deshalb wählen wir AfD. Keine andere Partei bietet irgendwas an."