Wenn man in Neuruppin von der Autobahn abfährt, kommt man durch einen großen Windpark: Hohe Windkraftwerke bis zum Horizont. Allein hier in der Prignitz im Nordwesten Brandenburgs stehen mehr als 900 Windräder. In den Dörfern der Region regt sich seit Jahren Widerstand. Etwa bei Ulrich Jaap, Ortsvorsteher von Wildberg, einem Dorf mit 600 Einwohnern.
"Wir sind nicht gegen Windräder! Aber wir sind dagegen, dass sie so nah am Ort sind. Es gibt ja auch große Flächen, wo man welche weiter weg hinsetzen könnte. Da ist natürlich dann was zu machen. Und warum muss man dann so dicht dran sein, dass so eine Belastung da ist für uns?"
Jeder Zehnte in dem Ort ist Mitglied in der Bürgerinitiative "Keine neuen Windräder in der Temnitzregion". Am Sportplatz, neben einer neuen kleinen Siedlung mit Einfamilienhäusern, stehen elf Windräder, bis zu 150 Meter hoch. Nur 750 Meter von den Häusern entfernt, beschwert sich Ulrich Jaap, zwei Dutzend weitere Anlagen seien in Planung. Die sollen sogar noch höher ausfallen.
"Bei schwierigem Wetter, wenn wir hier die Nord-West-Winde haben, dann sind diese Anlagen zu hören bis zum Dorfanger", sagt Thomas Voigt. Er ist ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Temnitztal, zu der Wildberg gehört. "dieses Summen, also dieser Infraschall, das ist manchmal gar nicht auszuhalten."
Windräder statt Einfamilienhäuser? Privileg soll kippen
Vergeblich habe sein Dorf versucht, die Höhe von Windrädern in unmittelbarer Nähe zu begrenzen und den Investor auf Abstände zur Wohnbebauung festzunageln. Pläne für eine zweite Einfamilienhaussiedlung musste die Gemeinde deshalb aufgeben. "Unser Flächennutzungsplan ist beim Bau dieser Windkraftanlage hier ignoriert worden."
Bislang waren den Kommunen meist die Hände gebunden, weil Windkraftanlagen gemäß Paragraf 35 Baugesetzbuch als sogenannte privilegierte Vorhaben immer erst einmal zulässig sind. Das will die rot-rote Landesregierung in Potsdam mit ihrer Bundesratsinitiative nun ändern. SPD-Regierungschef Dietmar Woidke sagt, er wolle mit mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten bei Planung und Genehmigungsverfahren für bessere Akzeptanz in der Bevölkerung sorgen.
"Also wir begrüßen das sehr", sagt Jens Graf, Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes.
"Das ist eine Forderung, die von den Städten und Gemeinden seit fast zehn Jahren hier in Brandenburg erhoben wird. Diese Privilegierung stammt aus der Zeit, als Windkraft was ganz Neues in Deutschland war. Da hat man gesagt: ‚Eine moderne Technologie, die muss rechtlich auch erleichtert werden‘. Mittlerweile ist es so, dass wir zwischen drei- und viertausend Windkraftanlagen in Brandenburg haben."
Weniger Windkraft gefährdet Energiestrategie Brandenburgs
Falls die Initiative erfolgreich ist, könnten die Gemeinden in Zukunft mit entscheiden, auf welchem Grundstück und mit in welchem Abstand zu Wohnhäusern eine wie hohe Anlage gebaut wird, freut sich Graf.
"Wir haben auch viele Fälle, wo Gemeinden der Windkraft sehr positiv gegenüberstehen und die das auch befördern. Und deswegen haben wir überhaupt keine Sorge, dass der Ausbau der Windkraftanlagen zum Erliegen kommt."
Doch genau das befürchtet der Landesverband Windenergie: Die Kommunen wären überfordert, die Arbeit der vergangenen Jahre werde torpediert, klagt der Verbandsvorsitzende Jan Hinrich Glahr:
"Für uns war das zunächst erst mal eine Riesenenttäuschung, weil es ja diametral zu dem steht, was wir in Brandenburg auch gemeinsam mit der Politik aufgebaut haben. Und es steht auch diametral zu dem, was wir in den nächsten Jahren noch zu leisten haben."
Und das ist eine Menge, denn die Energie-Strategie des Landes sieht vor, bis 2030 rund 10,5 Gigawatt installierte Windleistung zu haben. Davon seien aber erst knapp 6,7 Gigawatt erreicht, erklärt Graf. Gleichzeitig würde allein in den kommenden Jahren jede dritte Anlage 20 Jahre alt. Damit fallen sie aus der Einspeisevergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz. In Folge seien die Windräder nicht mehr wirtschaftlich und könnten nur noch still gelegt werden. Und nun auch noch diese Kehrtwende der Landesregierung.
"Dann habe ich überhaupt keine Planbarkeit mehr in meinem Ausbau. Und das heißt, ich kann mir das für eine bundesweite Energiewende und alles das, was wir uns vorgenommen haben, überhaupt nicht vorstellen."
Obwohl er beim Ausbau auf mehr kommunale Mitsprache drängt, ist der Temnitztaler Bürgermeister Thomas Voigt trotzdem nicht begeistert von der Bundesratsinitiative.
"Es wäre der Schritt in die richtige Richtung, aber: Wir haben nächstes Jahr Kommunalwahlen. Das vermute ich dahinter. Also ich glaube nicht daran. Dieses Privileg, das ist ja der Paragraph 35, das Bauen in den Außenbereichen, dieses Privileg wird weiterhin Bestand haben. Ich glaube, die Initiative wird scheitern."