"Pogida"-Versammlung in Potsdam: Organisator und Redner Christian Müller argwöhnt, Asylbewerber würden strafrechtlich nicht verfolgt, Unterschiede zwischen dem "deutschen Volk" und Asylbewerbern würden gemacht.
Mit Strafverfolgung kennt Christian Müller sich aus: Der Organisator der "Pogida"-Versammlungen in Potsdam ist ein mehrfach auch wegen Volksverhetzung vorbestrafter Gewalttäter, insgesamt fünf Jahre hat der 32-Jährige hinter Gittern verbracht, gerade erst ist er wieder verurteilt worden.
Müller ins Redner-Mikro: dagegen gehe er auf die Straße, "Pogida" sei aber nicht politisch, gehöre keiner Partei an.
Früher tummelte Müller sich in der NPD, heute will er offiziell Abstand halten zu den Kameraden von einst. Doch an diesem Mittwochabend im Potsdamer Hochhausviertel Schlaatz mischen sich unter die etwa 100 "Pogida"-Anhänger nicht nur mehrere Dutzend rechtslastige Hooligans, auch Mitglieder der Neonazi-Vereinigung "Der Dritte Weg" sind dabei.
Die Menge grölt "Wir sind das Volk" und marschiert dann am Flüchtlingsheim vorbei
Endlich haben die schwächelnde Brandenburger NPD und Neonazis aller Couleur wieder ein Thema, mit dem sie auch in wutbürgerliche Kreise vorzudringen hoffen. Beim "Pogida-Marsch" – ausgerechnet an einem Flüchtlingsheim vorbei - ist auch dieser Rentner dabei.
"Weil ich bin der Meinung, dass die ganz vernünftige Meinungen vertreten und dass sie verleumdet werden von den Medien, ganz frech verleumdet werden, diese Leute. Es gibt hier keinen Faschisten unter denen. Zeigen Sie mir einen Faschisten hier!"
Rechtsextremisten tragen keine Banner und sind nicht direkt zu erkennen
Da die mit marschierenden Rechtsextremisten keine Banner oder Fahnen tragen, sind sie auf den ersten Blick nicht zu erkennen.
Doch sie sind hier, ebenso wie in Nauen im Havelland, wo die NPD gegen ein Flüchtlingsheim agitierte, das kurz darauf ab brannte. Ebenso wie bei den so genannten "Abendspaziergängen" gegen Flüchtlinge in Oranienburg. Verfassungsschutzpräsident Carlo Weber:
"Das ist kein einheitlicher Block, aber alle eint, dass sie auf dieses Thema setzen, weil sie spüren, dass das auch an Urängste in der einheimischen Bevölkerung rührt und da sind sie halt sehr aktiv."
Linke Gegendemonstranten schreien "Haut ab!", Rechte grölen zurück.
1.200 Polizisten, auch aus angrenzenden Bundesländern, begleiten das "Pogida"-Häuflein. Wasserwerfer, Räumpanzer, ein Hubschrauber in der Luft: Es gilt, die linken Gegendemonstranten und die selbst ernannten Verteidiger des christlichen Abendlandes auseinanderzuhalten.
Strategie der Neonazis geht nicht immer auf
Redner Müller nach Abschluss der Kundgebung: "Ihr seid wirklich das Volk. Wir werden weiter machen, wir haben Unterstützung, wir werden größer. Rathenow unterstützt uns, Oranienburg. Wir werden uns vernetzen, zusammen auftrumpfen und unser Ziel erreichen." Applaus.
Markus Klein berät im Auftrag der Landesregierung Brandenburger Kommunen im Kampf gegen Rechts. Nach seiner Beobachtung geht die Wolf-im-Schafspelz-Strategie der Neonazis nur bedingt auf.
"Wenn es anfänglich funktioniert, dass Rechtsextreme gemeinsam mit Bürgern Seite an Seite marschieren, ist schon zu beobachten, dass, wenn es immer deutlicher wird, wer eigentlich dahintersteckt und welche Positionen, das bürgerliche Spektrum wegbröckelt."
Rechte Bündnisse schließen sich zusammen
In Rathenow, 80 Kilometer nordwestlich von Potsdam, versammelt sich seit vergangenem Herbst alle 14 Tage das sogenannte "Bürgerbündnis Havelland" zu Flüchtlingsabwehr und Regierungsschelte. Trotz der Übergriffe in der Silvesternacht sinken seit einigen Wochen die Teilnehmerzahlen: An diesem Abend sind nur etwa 150 Leute zusammen gekommen. Fotograf Hardy Krüger dokumentiert die Demonstrationen von Anbeginn an und stellt die Rechtsextremisten für alle sichtbar ins Internet.
"Es ist seit den letzten Veranstaltungen so, dass Leute vom Dritten Weg zum Beispiel dabei sind, also nun auch radikalere Organisationen rechts von der NPD, liegt einfach daran: Einige Bürgerliche bleiben diesen Veranstaltungen jetzt langsam fern, dafür haben die sich, dieses Bürgerbündnis Havelland, mit anderen ähnlichen Initiativen vernetzt, die aber zum Teil ganz klar aus Nazis bestehen. Die ‚Bürgerbewegung Genthin‘, das sind ganz klar Neonazis. Die sympathisieren offen mit dem ‚Dritten Weg‘ und es gibt zum Beispiel eine Initiative, die nennt sich: ‚Asylhütte in Ketzin? Kannste knicken‘" Die besteht aus Kadern der Freien Kräfte Neuruppin, also auch eine ganz klare Nazi-Organisation."
Manche wollen Verbindung zur rechten Szene einfach nicht wahrhaben
Zusammenhänge, die manche in Rathenow aber einfach nicht sehen wollen. Wie dieser ältere Herr, der beim "Bürgerbündnis" mitläuft, weil er glaubt, hier mit seinen Sorgen ernst genommen zu werden.
"Ich habe Angst, dass mich der Muezzin morgens weckt. Ja, habe ich Angst."
Deswegen sei er aber noch lange kein Rechtsradikaler, erzürnt sich der Rentner.
"Denn ich lasse mich nicht von unserem Wirtschaftsminister und dem Vizekanzler als braunes Pack und irgendwelche braune Soße bezeichnen!"
Zwei Kreuzungen weiter haben sich die Gegendemonstranten für ein tolerantes Rathenow versammelt. Daniel Golze wärmt sich am Feuer. Er ist Anwalt und Vorsitzender der Fraktion der Linken in der Stadtverordnetenversammlung.
"Also ich glaube schon, dass viele von denen, die da mitlaufen, nicht wissen, mit wem sie dort mitlaufen. Und es gibt auch bestimmt genug Leute, die das ganz bewusst ausblenden, mit wem sie da mitlaufen."
Die Radikalisierung des "Bürgerbündnisses" Richtung rechts werde hoffentlich weiteren Wutbürgern in Rathenow die Augen öffnen, hofft Golze. Verfassungsschutz-Präsident Carlo Weber ist da optimistisch:
"Unsere Gesellschaft ist doch einigermaßen immun geworden gegen Extremismus. Man regt sich auf. Man findet vieles nicht richtig in breiteren Teilen der Bevölkerung, aber man weiß auch, was man hat und will das nicht ohne Weiteres aufs Spiel setzen. Ich gebe dem Rechtsextremismus in Deutschland keine Chance."