Nach Landtagswahlen
Bröckelt jetzt die Brandmauer?

Nach den Erfolgen der AfD in Thüringen und Sachsen stellt sich die Frage: Kann die Brandmauer gegen rechts bestehen bleiben? Was bringt eine Ausgrenzung der AfD überhaupt? Und: Wie standhaft bleibt die CDU in ihrer Abgrenzung?

    Ein Demonstration gegen Rechtsextremismus auf einer Straße in Berlin. Einige Menschen laufen auf der Straße und halten ein Transparent hoch mit der Aufschrift "Wir sind die Brandmauer!"
    Ist die „Brandmauer“ gegen die AfD noch haltbar? Gerade nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen wird dieses Konzept zunehmend für gescheitert erklärt. (picture alliance / akg-images / Peter Hebler / Peter Hebler)
    Die AfD geht aus der Landtagswahl in Thüringen als stärkste und in Sachsen als zweitstärkste Kraft hervor. Erneut wird der Begriff der bröckelnden Brandmauer als Grenze nach rechts heiß diskutiert. Die zentrale Frage lautet: Kann eine Zusammenarbeit mit der AfD noch ganz ausgeschlossen werden? Immer mehr Politiker, Journalisten und Politikwissenschaftler prophezeien bereits das Ende der Brandmauer.

    Inhalt

    Was bedeutet der Begriff Brandmauer?

    Der Begriff Brandmauer stammt eigentlich aus dem Brandschutz und bezeichnet eine feuerfeste Wand, die verhindert, dass sich ein Feuer in einem Gebäude ausbreitet.
    Im politischen Diskurs wird die Brandmauer als Metapher verwendet, um eine klare Grenze zwischen demokratischen Parteien und Rechtspopulismus sowie Rechtsextremismus zu ziehen.
    Der Begriff der Brandmauer kursiert bereits seit mehreren Jahren. So erwähnte etwa Friedrich Merz das Schlagwort 2021 bei seinem Amtsantritt als CDU-Parteichef, indem er im Spiegel-Magazin sagte: „Mit mir wird es eine Brandmauer zur AfD geben.“ Seitdem wird die Brandmauer immer wieder diskutiert und kritisiert, zuletzt nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen 2024.
    Ein Problem dieser Metapher: Es gibt keine genaue Definition, was die Brandmauer alles umfasst. Werden nur Koalitionen mit der AfD abgelehnt? Oder wird jede Form der Zusammenarbeit ausgeschlossen? Dürfen Gespräche mit der AfD stattfinden? Oder ist all das tabu?

    Die französische Brandmauer

    In anderen Ländern gibt es ähnliche Begriffe wie die Brandmauer, etwa den „Cordon Sanitaire“ in Belgien und Frankreich, der die Abgrenzung zu extremistischen Parteien beschreibt. Ursprünglich eine Quarantänezone, wurde der Begriff in den 80er- und 90er-Jahren politisch bedeutsam. Laut Politikwissenschaftler Wolfgang Schröder verhinderte der "Cordon Sanitaire" zwar die Zusammenarbeit mit extremistischen Parteien, führte aber auch dazu, dass sich diese neu organisierten oder ihre Ansichten anpassten, um politisch relevant zu bleiben.

    Gilt die Brandmauer auch für das BSW oder andere Parteien?

    Die Brandmauer wird meist im Zusammenhang mit der AfD diskutiert. Alle Parteien schließen aktuell eine Kooperation mit der AfD aus. Die CDU hat 2018 einen Unvereinbarkeitsbeschluss gefasst, der allerdings nicht nur jede Zusammenarbeit mit der AfD, sondern auch mit der Linkspartei verbietet. Es gibt also auch nach links eine klare Abgrenzung, die der Politikwissenschaftler Oliver Lembcke ebenfalls als eine Brandmauer bezeichnet.
    Der Bundestagsabgeordnete und frühere CDU-Generalsekretär Mario Czaja hat seine Partei nach den Landtagswahlen in Thüringen nun aufgefordert, den Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der Linkspartei aufzuheben. Der Grund: Thüringen steht vor einer besonders schwierigen Regierungsbildung. Erstmals in der Nachkriegsgeschichte gewann dort mit der AfD eine als rechtsextrem eingestufte Partei eine Landtagswahl. Da eine Regierungsbildung mit der AfD ausgeschlossen ist, wäre die CDU als zweitstärkste Kraft für eine Mehrheit neben der SPD auf ein Bündnis mit dem BSW und der Linken angewiesen.
    Wenn die CDU beschließen sollte, mit den Linken zusammenzuarbeiten, würden sich womöglich viele in der CDU fragen: Warum dann nicht auch mit der AfD? „Wenn man an der einen Brandmauer anfängt zu überlegen, dann wird man an der anderen Brandmauer auch diskutieren müssen", sagt Politikwissenschaftler Oliver Lembcke.
    Auch die Abgrenzung zum neu gegründeten Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wird immer wieder in der CDU diskutiert. Friedrich Merz hatte eine Kooperation zunächst ebenso strikt abgelehnt wie die Zusammenarbeit mit der AfD. Sahra Wagenknecht sei „in einigen Themen rechtsextrem, in anderen wiederum linksextrem“, wie er nach der Europawahl im Juni sagte. Erst nach Protesten der Wahlkämpfer im Osten rückte Merz von dieser Haltung ab - und erklärte, dass die Frage einer Zusammenarbeit nun den Ländern überlassen bleibe.
    Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen wird deutlich: Ohne BSW sind vermutlich keine demokratischen Mehrheiten abseits der AfD möglich. Für viele CDU-Mitglieder wäre eine Zusammenarbeit mit dem BSW jedoch ein ebenso großer Tabubruch wie eine Kooperation mit der AfD.

    Wo und wann wurde bereits mit der AfD kooperiert?

    Im Februar 2020 wurde FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt, was einen Eklat auslöste. Kemmerich trat nach drei Tagen zurück.
    Im Dezember 2021 sprach der damals noch designierte CDU-Chef Friedrich Merz noch deutlich von einer Brandmauer zur AfD. Im Juli 2023 ließ er jedoch im ZDF-Sommerinterview die Möglichkeit offen, dass es auf kommunaler Ebene doch zu einer Zusammenarbeit mit der AfD kommen könnte.
    In Thüringen hat die CDU im Landtag schon mehrfach zusammen mit der AfD abgestimmt. Einmal ging es darum, die Grunderwerbssteuer zu senken, ein anderes Mal darum, den Bau von Windrädern in Thüringens Wäldern zu erschweren. Die CDU unterstützte zudem einen umstrittenen Antrag gegen das Gendern, der mit den Stimmen der AfD im Landtag beschlossen wurde.
    Und damit nicht genug: Die AfD hat mehr als ein Viertel der Stimmen bei den Kommunalwahlen in Thüringen im Mai 2024 gewonnen. Mit starken Zuwächsen wird sie über ein Viertel aller Sitze in Kreistagen und Stadträten besetzen, was das Errichten von Brandmauern zunehmend erschwert. Der thüringische CDU-Kandidat Erik Beiersdorfer warb in diesem Sommer außerdem auf Wahlplakaten mit dem Spruch: „Wählerwille statt Brandmauern“.

    Warum wird die Brandmauer zunehmend infrage gestellt?

    Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) betonte nach der Landtagswahl in Sachsen, dass eine zentrale Lehre aus der Wahl sei, den Begriff Brandmauer nicht mehr zu verwenden. „Die AfD ist eine Meisterin darin, sich als Märtyrer darzustellen, und hat es wirklich geschafft, ein großes Wahlergebnis zu erzielen, indem sie vorgibt, keine demokratischen Rechte zu haben und um diese kämpfen zu müssen. Das entspricht jedoch nicht der Realität“, sagte er.
    Ähnlich argumentiert das BSW. Das Bündnis erklärte, dass die Brandmauer gescheitert sei und der AfD nur Wähler zugeführt habe. Man müsse nun argumentativ mit der AfD streiten.
    Auch Politikwissenschaftler Wolfgang Schröder weist auf das Dilemma hin, dass die AfD die demokratische Politik als Bedrohung der Demokratie darstellt, weil sie die Rechte und die Minderheitsposition der AfD ignoriere. Der Opfermythos, den sie gerade durch die Ausgrenzung mittels einer Brandmauer aufrechterhalten kann, sei ein zentrales Narrativ der AfD, um sich zu verharmlosen und den Normalisierungsprozess voranzutreiben. Er betont daher, dass es kein Patentrezept gebe, bei dem die Demokratie allein durch eine Brandmauer geschützt werden könne.
    Wahlforscher Thorsten Faas kritisiert ebenfalls den Begriff der Brandmauer, da er suggeriere, man könne etwas hinter eine Mauer packen und dann sei alles in Ordnung. Gerade in Ostdeutschland sei die AfD sehr breit und selbstverständlich vertreten. Für viele Menschen, darunter auch für CDU-Kommunalpolitiker, sei die AfD bereits eine Volkspartei, so die Einschätzung von Stephan Detjen, Leiter des Deutschlandfunk-Hauptstadtstudios. „Wen will ich da hinter dieser Mauer packen? Das ist doch gescheitert“, meint Wahlforscher Faas.

    Ich glaube die Brandmauer ist wahrscheinlich tot.

    Journalistin Jana Hensel
    Journalistin und Autorin Jana Hensel erklärt, dass das Prinzip der Abgrenzung zur AfD nach den Landtagswahlen nicht nur politisch gescheitert sei, weil die AfD während all der Jahre nur weiter gewachsen ist. Für sie reicht die Brandmauer in die Gesellschaft rein. Doch auch sozial habe das Prinzip der Abgrenzung versagt. Hensel meint, dass man in einer Gesellschaft, in der 30 Prozent der Wähler für eine in Teilen rechtsextreme Partei stimmen, diese Menschen nicht einfach aus dem Alltag ausschließen könne. „Das sind Bekannte, das sind Freunde, das sind Familienmitglieder, das sind mitunter auch Menschen, mit denen sie befreundet sind und wo sie dennoch völlig politisch unterschiedliche Ansichten haben.“ Daraus folgert Hensel: „Ich glaube, die Brandmauer ist wahrscheinlich tot.“
    Der Autor und Journalist Steffen Greiner rät generell davon ab, das Wort Brandmauer weiter zu nutzen. „Volksfront, Brandmauer, Dammbruch – welche Welt beschreiben solche Metaphern?“, fragt Greiner. Es sei wichtig, klare Grenzen gegen Nazis zu ziehen. Doch Sprache schaffe Wirklichkeit, und es müssten daher neue Begriffe gefunden werden. „Denn wenn wir Demokraten uns dem Rechtsextremismus mit einer immer wieder militärisch anmutenden, faschistisch-harten Sprache entgegenstellen, tragen auch wir ungewollt dazu bei, den Geist, der hinter dieser Sprache steht, am Leben zu erhalten“, so Greiner.

    Wird die Brandmauer in Zukunft noch bestehen bleiben?

    Eine Koalition mit der AfD wird aktuell weiterhin strikt von allen Parteien abgelehnt. Doch zu einer Zusammenarbeit scheinen immer mehr Politiker bereit zu sein, gerade aus den Reihen der CDU. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) würden 45 Prozent der CDU-Mitglieder eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht ausschließen. Unter den ostdeutschen Mitgliedern halten sogar 68 Prozent der Befragten eine Zusammenarbeit von Fall zu Fall für denkbar.
    Die AfD hat durch die Landtagswahlen in Thüringen erstmals faktisch politische Gestaltungsmacht auf Landesebene erlangt. Dies liegt an der sogenannten Sperrminorität: Wenn eine Partei mehr als ein Drittel der Sitze im Landtag hat, kann sie Entscheidungen blockieren, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern, wie Verfassungsänderungen oder die Wahl von Verfassungsrichtern.
    In Thüringen könnte die AfD somit wichtige Entscheidungen blockieren und sogar Einfluss auf die Wahl des Ministerpräsidenten nehmen. Diese neue Machtposition könnte die anderen Parteien vor die Wahl stellen, entweder mit der AfD zu verhandeln oder alternative Wege zu finden, um ihre eigenen Kandidaten durchzusetzen. Diese Situation bringt die bisherige Brandmauer-Strategie damit zusätzlich in Gefahr.

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