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Brantner: Ägyptischer Militärrat bringt Reformen nicht voran

Der ägyptische Militärrat sei nicht dazu bereit, seine Macht abzugeben, sagt Franziska Brantner. Die Europaabgeordnete der Grünen ist der Meinung, dass Ausschreitungen von ihnen zum eigenen Machterhalt genutzt werden.

Franziska Brantner im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: Ägypten, Port Said, Mittwochabend im Fußballstadion – dort, nach der Partie der Gäste aus Kairo gegen die Lokalmatadoren eskaliert die ohnehin als gereizt geltende Stimmung zwischen den Hooligans beider Mannschaften. Obwohl Port Said gewann, stürmten deren Fans den Rasen, verprügelten erst die gegnerischen Spieler und dann die anderen Fans. Es entsteht ein Blutbad, über 70 Menschen sterben an diesem Abend. Die Muslimbrüder sprechen von einem Anschlag gegen den Übergang Ägyptens in die Demokratie, Vermutungen werden laut, dass der hohe Militärrat seine Hand mit im Spiel haben könnte. In der Kritik steht der ägyptische Innenminister, den Viele verantwortlich machen für das Versagen der Sicherheitskräfte. Seitdem beruhigt sich die Lage kaum, mindestens 400 Menschen wurden gestern in Kairo verletzt und zwei getötet, als Polizisten mit Tränengas und Gummigeschossen gegen Demonstranten vorgingen. Am Telefon begrüße ich Franziska Brantner. Im EU-Parlament ist sie außenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Guten Morgen, Frau Brantner!

    Franziska Brantner: Guten Morgen!

    Dobovisek: Auf den Straßen Kairos bekämpfen sich Demonstranten und Sicherheitskräfte. Das Parlament sucht Schuldige für das Blutbad von Port Said. Müssen wir derzeit beobachten, wie das zarte Pflänzchen der ägyptischen Demokratie wieder eingeht?

    Brantner: Das beobachten wir ja leider schon seit einer geraumen Zeit. Also ich beobachte das wirklich mit großer Sorge, dass sich das Militär einfach immer breiter macht, und man nicht die Anzeichen sieht, dass es bereit ist, die Macht wirklich abzugeben und leider diese Sicherheitsfrage immer wieder dazu nutzt, zu demonstrieren, dass das Militär auch weiterhin gebraucht wird.

    Dobovisek: Heißt das, Sie halten die Vorwürfe gegenüber des Militärrats für gerechtfertigt?

    Brantner: Ich weiß nicht, es ist ja immer sehr schwierig. Wir haben eine wirkliche Untersuchung gefordert, aber was klar ist, ist, dass der Militärrat und auch der Innenminister nicht die seit Wochen und Monaten geforderte Reform der Polizei und der Sicherheitskräfte voranbringen. Seit einem Jahr ist klar, dass die Polizei da der wohl verhassteste Körper ist, den es da heute gibt, und dem keiner traut. Es müsste klar dazu führen, dass man dort diesen ganzen Apparat reformiert, demokratisiert. Es kommt nicht voran, und wenn man das nicht mit voranbringt, dann hat man auch bei solchen Ausschreitungen dann mit eine Verantwortung. Und alles Weitere, inwieweit die wirklich bezahlt wurden, das kommt dann noch dazu, das ist natürlich noch eine Frage, wo ich jetzt sagen würde, da müsste der Innenminister selber, oder zumindest der Tantawi das von ganz oben beauftragen, dass das aufgeklärt wird, den Innenminister zurücktreten lassen, Reformen ankündigen. Was eben fatal ist, ist diese Reaktion, in der man das dann natürlich irgendwie bedauert, aber dann doch gleich wieder zur Tagesordnung übergeht.

    Dobovisek: Sie sprechen den Wandel an, den Umbau auch im Polizeiapparat. Wie viel Macht hat denn das neugewählte Parlament in Ägypten tatsächlich, um zum Beispiel auch solch einen Wandel voranzubringen?

    Brantner: Na ja, die raufen sich ja gerade erst mal intern zusammen, die sind ja wirklich gerade neu zusammengesetzt, der Shura Council wird ja noch gerade auch gewählt, also wir sind ja noch … ein Teil wird ja sogar noch gewählt. Die versuchen es, es gab ja jetzt auch Versuche zu sagen, man macht ein Misstrauensvotum gegen die Regierung – das kommt schleppend voran, aber ich glaube, das wird schon auch ein Machtkampf sein, inwieweit hier das neugewählte Parlament sich da durchsetzt. Aber bis jetzt haben die ja noch keine de facto Macht.

    Dobovisek: Sprechen wir also nach wie vor von einer Militärdiktatur?

    Brantner: Ich sage mal, wir sind immer noch in einem Land, wo das Militär bis jetzt wirklich das hauptsächliche Sagen hat und wieder viele Orte, die schon geöffnet wurden, auch wieder schließt, wie eben NGOs, zivilgesellschaftliche Akteure, die sich getraut hatten, irgendwie da auch den Mund aufzumachen, sind wieder Drohungen gekommen. Sie es ja gesehen, die Konrad-Adenauer-Stiftung selbst wurde ja beschädigt, das geht alles in eine Richtung, die sehr schwierig ist, und wir leider von Außen auch noch nicht das Mittel gefunden haben oder nicht bereit sind, dort auch die klareren Signale zu senden, um dem Militärrat wirklich klar zu machen: Das ist nicht ein Übergangsprozess, wie er zu einer Demokratie führen kann.

    Dobovisek: Wie klar müssten denn die Signale seitens Deutschland, seitens der Europäischen Union noch ausfallen?

    Brantner: Wissen Sie, momentan – die ägyptische Übergangsregierung hat ja sehr lange rechtliche Finanzhilfen angelehnt. Aber mittlerweile sind sie in so einer grausamen – auch wirtschaftlichen – Lage, dass sie doch zurückkommen und gerade in Verhandlungen stehen mit dem IWF, auch mit der EU, über direkte Finanzspritzen in den Haushalt. Das ist für mich ein Moment, wo man sagen muss, die Konditionen sind nicht die typischen IWF-Konditionen, sondern die Konditionen sind eben zum Beispiel eine Reform des Sicherheitssektors, der Polizei, dass man das knüpft an Verbindungen und sagt – an Konditionen, Entschuldigung – und nicht einfach jetzt bereit ist, dann Gelder reinzuspritzen in ein Regime, was eigentlich den Status quo hält. Ich glaube, da muss man wesentlich klarer sein, und eben jetzt wird momentan verhandelt darüber, wie diese Gelder ausgegeben werden. Da haben wir doch einiges gemacht, und nicht nur die Amerikaner, die eben natürlich bekannterweise das Militär finanzieren, sondern auch die Europäer und damit auch Deutschland.

    Dobovisek: Ist Europa zu passiv?

    Brantner: Ich habe es in den letzten Wochen häufig als zu passiv wahrgenommen, es wird auf jeden Fall nicht ein klares Signal häufig gesendet an das Militärregime, und die Unterstützung für die Demonstranten vor Ort wird auch eben häufig nur als zu lachs wahrgenommen. Man bedauert die Vorfälle, aber man verurteilt nicht das Regime. Das ist eine Sprachregelung, die häufig bei den Leuten vor Ort sehr ungut ankommt. Mittlerweile ist [Catherine] Ashton bereit, mal etwas deutlicher zu sprechen, aber wer ist denn in den letzten Tagen und Wochen vor Ort gefahren von den Außenministern, um denen klar zu signalisieren, so geht es nicht, und sich mit den Demonstranten zu treffen, denen die Unterstützung zu signalisieren. Ich habe solche Zeichen zumindest nicht gesehen.

    Dobovisek: An diesem Samstagmorgen müssen wir auch nach Syrien blicken, wo in der Nacht offenbar 200 Menschen beim Angriff von Regierungstruppen ums Leben kamen. Hören wir gemeinsam den Bericht von Ulrich Leidholdt:

    Ulrich Leidholdt: Die syrische Armee richtet nach Darstellung von Oppositionellen ein Massaker in der Stadt Homs an, das melden arabische Fernsehkanäle. Die Rede ist von mehr als 200 Toten durch Dauerbeschuss mit Panzern und Artillerie. Unabhängige Bestätigungen dafür gibt es nicht. Niemand hat Zugang zur drittgrößten Stadt des Landes, Brennpunkt der Proteste seit Monaten. Die Informationen beruhen auf der in London ansässigen syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Sie beruft sich auf Bewohner von Homs. Es gebe unzählige Verletzte, die kaum versorgt werden könnten. Der UNO-Sicherheitsrat will nach ergebnislosen Verhandlungen überraschend schon heute Nachmittag auf Antrag Marokkos über eine Syrienresolution entscheiden, obwohl Russland bereits sein Veto angekündigt hat. Wie China widersetzt es sich dem jüngsten Friedensplan der Arabischen Liga. Die UNO hat ihren neuen Resolutionsentwurf deshalb abgeschwächt. Er fordert nicht mehr den Machtverzicht Assads und Wahlen unter internationaler Aufsicht. Gestrichen ist auch der Passus über Waffen. Russland ist Syriens Lieferant Nummer eins. Moskau fürchtet, eine Resolution gegen Syrien könne als Vorwand für eine Intervention wie in Libyen dienen.

    Dobovisek: Ulrich Leidholdt berichtete, und die syrische Regierung, sie dementiert inzwischen die Angriffe. Zurück zu Ihnen, Frau Brantner, was könnte Russland und China vor dem UN-Sicherheitsrat umstimmen?

    Brantner: Interessanterweise ist ja gerade in München momentan die Sicherheitskonferenz. Da sitzen die alle gerade zusammen. Und ich denke immer, eigentlich ist es doch unglaublich, dass sie dort so schön über einer Tasse Kaffee gemeinsam sitzen, während in Syrien die Menschen wirklich weiterhin getötet werden, und dass man dort nicht wirklich den russischen Außenminister wesentlich heftiger damit konfrontiert, dass sie weiter Waffen liefern an das Assad-Regime, das ja wirklich aus alter Tradition ihren einzigen Anker da in der Welt noch weiter so unterstützen und dafür dieses Argument vorschieben, Libyen hätte sie enttäuscht und überrascht. Ich halte das wirklich für vorgeschoben. Das ist unglaublich, wenn man sieht, wie die Russen da immer noch an ihrer alten Politik festhalten, diesen Diktator zu unterstützen, Waffen ihm zu liefern. Ja, ich denke, solche Momente gibt es, die momentan sitzen alle gerade in München. Vielleicht könnte dort etwa ein Umschwung kommen, ansonsten ist, glaube ich, der Druck auf Putin immer noch nicht groß genug, auch aus den anderen Ländern. Soweit wir das verstehen, wäre China bereit, durchaus mitzumachen, wenn die Russen ihren Widerstand aufgeben. Ich glaube, dass auch die Arabische Liga da weiter Druck ausüben muss. Es ist sehr gut, dass die sich sehr klar positionieren. Das bringt die Russen zumindest in eine etwas schwierigere Position, nur zu argumentieren, es sei ein rein westlich gesteuerter Widerstand.

    Dobovisek: Ist der UN-Sicherheitsrat mit seinen Vetomächten als Überbleibsel des Kalten Krieges überhaupt noch fähig, angemessen auf die modernen Konflikte unserer Zeit zu reagieren?

    Brantner: Er gehört dringend reformiert, das ist eindeutig. Ich glaube trotzdem natürlich, dass die Vereinten Nationen immer noch das Gremium sind, das Einzige, was wir haben, wo alle Staaten dieser Welt vertreten sind. Und man braucht das, dass alle Staaten – und wenn sie nicht demokratisch sind –, aber die Frage ist natürlich schon: Wer sitzt überhaupt noch heute in diesem Gremium, wer nicht? Wie angemessen ist noch dieses Vetorecht, zum Beispiel eben in solchen schweren Situationen für Menschenrechtsverletzungen? Darf man dort überhaupt ein Vetorecht erhalten? Die Diskussion geht nun leider schon sehr lange. ich habe schon immer gesagt, die Diskussion über den deutschen Sitz ist da überhaupt nicht hilfreich, weil keiner versteht, warum Deutschland jetzt noch einen Sitz bekommen soll, das hat schon immer viel blockiert. Ich denke, da könnte auch Deutschland beitragen und endlich seine Position revidieren.

    Dobovisek: Die Grünen-Politikerin Franziska Brantner. Für ihre Fraktion im Europaparlament ist sie außenpolitische Sprecherin. Vielen Dank Ihnen!

    Brantner: Ich danke Ihnen!


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