In Deutschland gibt es zu wenig Pflegefachkräfte, deshalb wirbt die Bundesregierung schon seit Jahren auch im Ausland, etwa auf den Philippinen oder in Mittelamerika um Fachkräfte. Helfen könnte auch Brasilien, wo Schätzungen zufolge im Pflegebereich jeder Zehnte arbeitslos ist. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) haben mit dem südamerikanischen Land Anfang Juni 2023 eine „Absichtserklärung für faire Einwanderung" unterzeichnet.
Ziel der Erklärung ist es Bedingungen und Strukturen zu schaffen, um im beiderseitigen Fachkräfteaustausch zu Fortschritten zu kommen. Vor allem soll der bürokratische Aufwand deutlich verringert werden: von der Anerkennung von Abschlüssen bis zur Visa-Erteilung.
Wie ist die Situation in der Pflege in Deutschland?
Der Arbeitsmarkt in der Pflege ist schon jetzt praktisch leer gefegt. Stand Mai 2023 kommen auf 100 gemeldete Stellen für Fachkräfte in der Pflege nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit lediglich 33 Arbeitssuchende.
Die Situation wird sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen. Die Krankenkasse Barmer hat ausrechnen lassen, dass in Deutschland bis 2030 mehr als 180.000 Pflegekräfte allein in der Altenpflege fehlen werden. Fest steht auch: In den kommenden zehn bis zwölf Jahren werden 500.000 Pflegefachkräfte in Rente gehen.
Ohne Kräfte aus EU-Staaten, dem Balkan oder den Philippinen würde die Pflege in Krankenhäusern, Heimen und ambulanten Diensten wohl bereits zusammenbrechen. Die Bundesagentur beziffert die Zahl der ausländischen Pflegekräfte auf 244.000. Ihr Anteil hat sich von acht Prozent 2017 auf 14 Prozent 2022 fast verdoppelt.
Welche Anreize kann Deutschland brasilianischen Arbeitskräften bieten?
In erster Linie ist es die Aussicht auf eine sichere und gute Beschäftigung und Bezahlung. Arbeitsminister Heil betonte nach der Unterzeichnung der Absichtserklärung am 5. Juni 2023 in Brasília: „Wir suchen helfende Hände für viele Bereiche. Das darf aber nicht zu Lohndrückerei führen.“ Zudem hoffen einige der brasilianischen Fachkräfte auch, dass ihre Kinder in Deutschland sicherer leben können und eine gute Bildung erhalten.
Das Interesse in Brasilien scheint jedenfalls vorhanden: Deutschland liegt als Auswanderungsland inzwischen auf Platz drei hinter den USA und Großbritannien. Nach Angaben des brasilianischen Pflegerates Cofen arbeiten bereits 200 brasilianische Pflegefachkräfte in Deutschland, weitere 384 befinden sich demnach in der Ausbildung.
Die Bundesagentur für Arbeit hofft, dass jedes Jahr 700 neue Pflegerinnen und Pfleger aus dem südamerikanischen Land nach Deutschland kommen könnten. Dabei werden alle Transport-, Ausbildungs- und Unterbringungskosten von der Bundesregierung übernommen.
Um sich auf diese Stellen bewerben zu können, muss die Fachkraft einen Abschluss des brasilianischen Bachelor-Studiengangs in Krankenpflege haben. Die ausgewählten Bewerberinnen und Bewerber absolvieren dann einen Deutschkurs bis zum Erreichen des Niveaus B1. Auch dafür erhalten die Teilnehmer ein Stipendium in Höhe von 500 Euro.
Welche bürokratischen Hürden bei der Beschäftigung brasilianischer Pflegekräfte gibt es?
Auch wenn die Bewerberinnen und Bewerber die notwendigen Prüfungen erfolgreich bestanden haben und hoch motiviert sind, ergeben sich bei der Arbeit in Deutschland oft Probleme - die auch Pflegekräfte aus anderen Ländern erleben.
"Sie kommen alle mit B1, aber das Sprachniveau ist unterschiedlich", sagte Pflegedirektorin Kathrin Fromm vom Klinikum Ernst von Bergmann in Potsdam. "Das ist die Voraussetzungen, dass sie an diesem Programm teilnehmen können. Das reicht aber nicht zur Einstellung." Weshalb ihre Klinik weitere Sprachtrainings anbietet, die dann zum Sprachniveau B2 führen sollen. "B2 ist dann die Grundvoraussetzung für die Einstellung oder die Übernahme", so Fromm.
Darüber hinaus erweist sich auch der brasilianische Bachelor-Abschluss als Problem. Denn Pflegekräfte aus Brasilien sind oft höher qualifiziert als deutsche. Sie werden in ihrem Heimatland auch dafür ausgebildet, ärztliche Aufgaben zu übernehmen. Deshalb erleben sie ihre Arbeit in Deutschland erst einmal als Abstieg, wenn sie als Pflegeassistenzkraft anfangen.
Hier könnte eine schnellere Anerkennung von ausländischen Abschlüssen Abhilfe schaffen, meinen Experten. "Ich glaube, dass das Wichtigste die Unterstützung bei der Anerkennung von Abschlüssen ist. Man sollte zu schnellen Verfahren kommen, die das für alle Beteiligten erleichtern", so Dörte Heger, stellvertretende Leiterin des Kompetenzbereichs Gesundheit am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung.
Welche weiteren Probleme haben ausländische Pflegekräfte in Deutschland?
Brasilianische Pflegekräfte, die zum Arbeiten nach Deutschland gekommen sind, berichten zum Teil von Anerkennungs- und Integrationsproblemen, aber auch davon, dass sie zu wenig verdient hätten, um ihr Leben hierzulande bezahlen zu können. Viele beschreiben die Arbeit in Deutschland als extrem belastend, auch weil der persönliche Umgang unter den Kolleginnen und Kollegen ein anderer ist als in ihrem Heimatland. Etliche sind daher wieder nach Brasilien zurückgekehrt.
Über ähnliche Erfahrungen berichten auch Pflegekräfte aus anderen Ländern, etwa aus Mexiko oder von den Philippinen. Eine Umfrage der Gewerkschaft Verdi unter philippinischen Pflegekräften aus dem Jahr 2022 ergab, dass nur 17 Prozent befreundeten Kolleginnen und Kollegen aus ihrem Heimatland ihren Job in Deutschland empfehlen. Mehr als die Hälfte (58 Prozent) der Befragten fühlten sich in Deutschland „nicht willkommen“, 64 Prozent fühlten sich fachlich abgewertet.
Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, kritisiert: „Seit Jahrzehnten fliegen Bundesminister um die Welt und wecken überall große Erwartungen, die in der Realität platzen“, so Brysch auf der Ruhrgebietskonferenz Pflege in Dortmund. „2022 konnten nur 656 Pflegekräfte außerhalb der EU gewonnen werden."
Volker Finthammer, Karsten Wolff, Anne Herberg, Klaus Gürtler