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Brasilien
Die größte Krise der letzten Jahrzehnte

Brasilien erlebt derzeit die schwerste Rezession seit einem Vierteljahrhundert. Mitverantwortlich ist die Schmiergeldaffäre um den Öl-Multi Petrobras. Viele Investitionsprojekte liegen nun auf Eis. Die Menschen protestieren auf Massenkundgebungen. In dieser Woche reist Angela Merkel nach Brasilien, um mit Präsidentin Dilma Rousseff zu beraten.

Von Julio Segador |
    Demonstranten protestieren in Brasilien gegen Präsidentin Dilma Rousseff.
    In Brasilien ballt sich Frust über Dilma Rousseff. Viele fordern gar die Amtsenthebung der Präsidentin. (picture alliance / dpa - Marcelo Sayao)
    Wütende Proteste gegen die Präsidentin. Hundertausende sind in ganz Brasilien auf die Straßen gegangen, haben in vielen Großstädten des Landes ihrem Frust und ihrer Empörung freien Lauf gelassen. Sie fordern den Rücktritt, manche sogar die Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff. Die Korruptionsaffäre um den halb-staatlichen Ölmulti Petrobras bringt die Brasilianer auf, aber auch die frustrierende wirtschaftliche Lage.
    "Dilma Rousseff und ihre Regierung haben Brasilien zerstört. Das Land wurde 2003 der Arbeiterpartei in ordentlichem Zustand übergeben und jetzt haben wir die größte Krise der letzten Jahrzehnte. Viele sind arbeitslos oder laufen Gefahr, ihren Job zu verlieren. Und das Schlimmste: Wir sehen weder mittel- noch langfristig Licht am Ende des Tunnels."
    Eine Inflationsrate von fast zehn Prozent
    In der Tat: Brasilien erlebt derzeit die schwerste Rezession seit einem Vierteljahrhundert. Im laufenden Jahr dürfte die Wirtschaft um bis zu 1,5 Prozent schrumpfen, die Prognosen für das kommende Jahr sind nicht besser. Auch die weiteren Indizes sind besorgniserregend: Die Inflation ist völlig aus dem Ruder gelaufen, sie liegt bei inzwischen fast zehn Prozent. Auch die Automobilindustrie schwächelt. Die VW- und Ford-Werke bei Sao Paulo haben diese Woche geschlossen. Mit Werksferien, Kurzarbeit und Entlassungen versuchen sie die kritische Phase zu überbrücken.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel kommt diese Woche mit ihrer Regierungsmannschaft in ein Land, das mit großen Problemen zu kämpfen hat. Merkel, gehärtet durch die Griechenland-Verhandlungen, dürfte manches bekannt vorkommen, meint Gustavo Franco, der ehemalige Zentralbankchef des Landes.
    "Brasilien braucht Reformen. Es muss seine Strukturen kräftig durchrütteln und sich auf die Suche nach einer neuen Dynamik machen. Deutschland hat diese Philosophie in Griechenland und in anderen EU Ländern, die ähnliche Probleme hatten, eingebracht. Da sich auch Brasilien neu erfinden muss, ist das der perfekte Ort an dem sich Rousseff und Merkel unterhalten können, wie das am besten gemacht werden kann."
    Zahlreiche Bauprojekte im Land liegen auf Eis
    Seit über einem Jahr schon setzt vor allem die Schmiergeldaffäre um den Öl-Multi Petrobras der Staatschefin zu. Die Affäre ist der größte Korruptionsskandal in der Geschichte Brasiliens. Dabei sollen zahlreiche Baufirmen dem Unternehmen für Aufträge Schmiergelder gezahlt haben, die an Politiker und Manager weitergereicht wurden. Der Schaden: Um die drei Milliarden Euro. Mit Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft des Landes. Überall im Land liegen Bauprojekte auf Eis, Investitionsprojekte werden erst einmal zurückgestellt. Der Petrobras-Skandal nehme die Wirtschaft des Landes in den Würgegriff, meint der Ökonom Adriano Pires.
    "Das Land steht inzwischen ohne Unternehmer da, die eine Führungskraft ausstrahlen. Einige sind in Haft, andere sind auf Tauchstation gegangen. Brasilien hat eine solche Krise noch nie erlebt. Wir können nur hoffen, dass diese Situation zu einer allgemeinen Reinigung führt, und dass daraus das Land gestärkt hervorgeht."
    Präsidentin Rousseff ist dabei überzeugt, dass dieser Neuaufbruch nur mit ihr gelingen kann. Sie werde nicht fallen, verkündete sie trotzig angesichts der Demonstrationen.