"Ero Tori", das heißt "Ich bin glücklich" - auf Guaraní, einer indigenen Sprache aus dem Südwesten Brasiliens. Ein traditionelles Kinderlied, aber eines, das immer weniger gesungen wird.
"Heute singen sie sowas nicht mehr. Heute singen sie vor allem evangelikalen Sacro-Pop. Der Einfluss der Städte lässt sich halt nicht mehr umkehren", sagt der Dirigent Eduardo Martinelli. Er und sein Kollege Jardel Tartari haben in der brasilianischen Prärie ein Projekt gegründet, um mit klassischer Musik indigene Sprache und Kultur zu erhalten.
Die Klassik bildet das Fundament
"Zuerst lernen die Kinder ganz traditionell wie man Noten liest und diese auf dem eigenen Instrument spielt. Genauso wie in jeder anderen Musikschule auf der Welt, also gerade am Anfang in einer sehr europäischen Tradition. Solange, bis sie in einem Orchester spielen können, und auch da geht es dann am Anfang viel um Beethoven, Vivaldi, Mozart. Und dann schauen wir uns die Musik an, die mit ihrem Leben zu tun hat. Wir arrangieren die Musik ihrer Vorfahren und machen daraus ein Stück große, orchestrale Musik."
Es ist der Umweg über die europäische Klassik, um die Kinder ihrer eigenen Kultur näher zu bringen. Die Klassik bildet das Fundament.
Die Kinder haben keinen Anreiz, ihre Sprache am Leben zu halten, meint Jardel Tartari. Sie haben Angst, ausgegrenzt oder gemobbt zu werden. Daher bekennen sich der etwa 12.000 Ureinwohner, die in Campo Grande im Bundesstaat Mato Grosso do Sul wohnen, nicht zu ihrer Kultur. Zum Verständnis: der Bundesstaat Mato Grosso do Sul ist etwa so groß wie Deutschland, hat aber nur knapp drei Millionen Einwohner. Platz gibt es also, nur ziehen die großen Agrar-Konzerne ihre Felder immer größer, Soja ist ein weltweit gefragtes und anspruchsloses Futtermittel. Und dafür brennen die Landwirte kilometerweise ursprüngliche Landschaften nieder. Seit den 90ern machen sich mehr und mehr Ureinwohner auf den Weg und lassen ihre Dörfer zurück – und ihre Musik. Jardel Tartari will retten, was zu retten ist: "Mit unserem Projekt erreichen wir die Kinder nur punktuell, derzeit sind es etwa 60."
"Wir holen sie von der Straße herunter"
Mit geringem Kostenaufwand. Jardel Tartari spricht von 20.000 US-Dollar im Jahr.
"So verändern wir ihren Alltag. Vormittags sind die Kinder in der Schule, nachmittags sind sie bei uns. Wir holen sie von der Straße herunter, denn gerade am Stadtrand ist es gefährlich für Kinder."
Dabei kann Eduardo Martinelli auf ein großes Archiv zurückgreifen. "In Brasilien gab es schon immer Leute, die losgezogen sind, um die Folklore aus dem Landesinneren aufzuschreiben, sogar Villa-Lobos hat das gemacht."
Glücklicherweise, denn heute hätten der Komponist Heitor Villa-Lobos und seine Kollegen nur noch wenig vorgefunden, erklärt Eduardo Martinelli.
"Wir sind also sehr glücklich darüber, dass wir gemeinsam – wir beide mit unserem traditionellen Musikunterricht und sie mit ihrer Geschichte und Kultur – ein neues Universum betreten können."