Jule Reimer: In Brasilien sind am Sonntag knapp 150 Millionen Stimmberechtigte zur Stichwahl um die Präsidentschaft aufgerufen. Der rechtsextreme Ex-Militär Jair Bolsonaro geht als klarer Favorit ins Rennen. Der 63jährige ist wegen rassistischer und frauenfeindlicher Aussagen umstritten. Er verherrlicht die Zeit zwischen 1964 und 1984, als die Militärs Brasilien diktatorisch regierten.
Umfragen sagen Bolsonaro 56 Prozent der Stimmen voraus. Sein Mitbewerber Fernando Haddad von der gemäßigten linken Arbeiterpartei PT liegt bei 44 Prozent. Er konnte etwas aufholen. Aber alles sieht danach aus, als ob Jair Bolsonaro gewinnen wird.
Am Telefon in Bonn ist Christoph Bals von Germanwatch. Sie haben seit 1992 alle Klimakonferenzen aus Nichtregierungsorganisationssicht begleitet. Jair Bolsonaro hat angekündigt, das Umwelt- und Landwirtschaftsministerium in Brasilien zusammenzulegen. Viele Amazonas-Flächen sind in den letzten Jahrzehnten abgeholzt worden, um dort Viehzucht zu betreiben. Was könnte das jetzt für den Klimaschutz bedeuten?
Christoph Bals: Die Ankündigungen gehen ja noch ein gutes Stück weiter, dass der Präsidentschaftskandidat angekündigt hat, den Amazonas-Regenwald in großen Teilen für Bergbau-Unternehmen und Landwirtschaftsunternehmen freizugeben. Kein Inch mehr soll den indigenen Völkern überlassen werden, wie er das genannt hat. Und er hat auch angekündigt, dass seine Regierung aus dem Pariser Klimaschutzabkommen aussteigen würde. Von dem her ist, wenn er denn gewählt wird - ich hoffe immer noch, dass das vermieden werden kann. Aber wenn er denn gewählt wird, dann hat das natürlich erhebliche Konsequenzen für das Klima, für den Artenschutz. Der Amazonas ist auf der Landfläche die große Quelle von Artenschutz, die wir weltweit haben, und man muss sich dann strategisch darauf einstellen, als Regierungen, als Zivilgesellschaft, wie wir in einer ohnehin sehr kritischen Situation für den Klimaschutz weiterkämpfen können.
Bolsonaro verwendet "Pseudoargumente"
Reimer: Jair Bolsonaro argumentiert ja, das Pariser Klimaschutzabkommen verletze die nationale Souveränität Brasiliens. Ist das eine berechtigte Sichtweise?
Bals: Das ist natürlich vollkommener Unsinn. Das hat die brasilianische Regierung maßgeblich mitverhandelt. Sie hat von dem her ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen geschlossen und hat das in voller Souveränität gemacht. Von dem her wird dadurch nicht etwa die Souveränität verletzt, sondern es ist Ausdruck der brasilianischen Souveränität und souveräner Entscheidung der brasilianischen Regierung wie aller anderen Regierungen. Das ist eines der Pseudoargumente, die jetzt von ihm mit vorgebracht werden.
Brasiliens Rolle als Partner der EU "schwer ersetzbar"
Reimer: Brasilien war ja auch für die Europäische Union immer ein wichtiger Partner, eine Art Link, Verbindungsstaat zu den Entwicklungsländern. Ist das eine Rolle, wo Brasilien eigentlich unersetzlich war, oder gibt es da auch Alternativen?
Bals: Diese Rolle wäre schwer ersetzbar, wenn hier wirklich eine neue Diktatur aufgebaut wird, wie er das angekündigt hat. Er hat ja in der letzten Woche auch angekündigt, die ganze Opposition würde entweder ins Gefängnis wandern, oder sie müsste auswandern aus Brasilien. Wenn hier eine wirkliche Diktatur mit errichtet wird, dann muss natürlich die EU prinzipiell darüber nachdenken, wie man damit umgeht. Wenn ich das mal auf den Klimaschutz konkret beziehe: Wir müssen unbedingt jetzt als Deutschland, als EU überlegen, welche Allianzen mit den besonders verletzlichen Staaten, mit den Vorreiterstaaten im Klimaschutz und mit den besonders relevanten Staaten, das heißt großen Schwellenländern oder anderen wichtigen Industrieländern aufgebaut werden, um die Umsetzung des Paris-Abkommens trotz der Ausfälle zumindest auf höchster politischer Ebene dann von USA und von Brasilien zu kompensieren. Wir haben das Glück, dass sowohl in den USA als auch in Brasilien es eine sehr aktive Zivilgesellschaft, viele Unternehmen, viele Akteure gibt, die den Klimaschutz trotzdem umsetzen wollen, und dass zum Beispiel in den USA in den letzten zehn Jahren trotz Trump die Kohle um 40 Prozent verringert wurde, das Öl um 25 Prozent verringert wurde, die CO2-Emissionen um 23 Prozent verringert wurden. Das heißt, dass der zwar Sand hineingeworfen hat und vielen möglichen Fortschritt verhindert hat, aber nicht den gesamten Trend umkehren konnte, und wir würden erhoffen, dass etwas Ähnliches in Kooperation mit Zivilgesellschaft und vielen Akteuren in Brasilien passiert. Da ist auch die katholische Kirche, die eine ganz wichtige Rolle im Moment dabei mitspielt, viele Unternehmen wie gesagt, Gewerkschaft ganz stark, sodass man von dem auch vieles aufhalten kann, was jetzt angekündigt wird.
Reimer: Wir werden über den Wahlausgang in Brasilien berichten. Das war Christoph Bals von der Nichtregierungsorganisation Germanwatch. Vielen Dank.
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