Es klingt schnulzig, das Wahlkampflied von Marina Silva. Der Text des Songs trifft indes den Nerv der Brasilianer. Sie höre den Ruf des Urwaldes und auch die Stimmen der Straße. Marina, die nächste Präsidentin, werde beides zusammenführen, heißt es.
Marina Silva ist der Shootingstar der Präsidentschaftskandidaten in Brasilien. Erst Mitte August – nach dem Unfalltod von Eduardo Campos – nahm sie dessen Stelle als Kandidatin der sozialistischen Partei PSB ein. Die jüngsten Umfragen sagen ihr inzwischen einen Sieg bei einer möglichen Stichwahl mit der amtierenden Präsidentin Dilma Rousseff voraus. Marina Silva steht für die Erneuerung der politischen Klasse, sie gilt als unverbraucht. Viele im Land nehmen ihr ab, dass sie Schluss macht mit Klüngel und Korruption, die alle Parteien durchziehen.
"Diese Wahlen werden nicht durch die alten Seilschaften gewonnen. Siegen wird eine neue Haltung: Eine Haltung der Offenheit, um mit den Bürgern in einen Dialog einzutreten. Ideen müssen diskutiert werden."
Dass ihr die Menschen im Land einen Politikwechsel abnehmen, hängt auch mit ihrer Herkunft zusammen. Marina Silva stammt aus Acre, einer Regenwaldregion im Grenzbereich zu Peru. Die Tochter eines einfachen Kautschukbauern ging erst mit 16 zur Schule, lernte spät Lesen und Schreiben. Über die Gewerkschaft kam sie in die Politik. Ex-Präsident Lula da Silva entdeckte ihr Talent und machte sie 2003 zur Umweltministerin. Ein Aufstieg, der viele im Land an den eigenen Aufstieg glauben lässt.
Dazu kommt, dass sie Mitglied der Evangelikalen Kirche ist. Fast jeder vierte Wähler in Brasilien sympathisiert mit diesen Freikirchen. Dabei hat Marina Silva einen Spagat zwischen Politik und Religion zu bewältigen. Etwa bei Themen wie Abtreibung und Homo-Ehe, die sie eigentlich kategorisch ablehnt, anders als weite Teile der brasilianischen Bevölkerung.
"Diese Debatte muss mit Sorgfalt und Verantwortung geführt werden. Und das ist nicht leicht. Es geht um philosophische, spirituelle und ethische Fragen. Aber es gibt eine Menge Leute, die einem ein Etikett aufkleben wollen, statt über das Problem zu diskutieren. Ich verteufle niemanden, der für Abtreibung ist. Wir sollten darüber aber eine Volksbefragung durchführen."
Aus Teilen der Wirtschaftselite wird die ehemalige Umweltministerin kritisch beäugt. Doch die Ökologin zeigt sich auch hier kompromissbereit, etwa wenn es um die Erschließung des Tiefsee-Rohöls geht, auf das Brasilien setzt, und das enorme Einnahmen verspricht. Noch als Umweltministerin kämpfte sie gegen dessen Ausbeutung, warnte vor einer ökologischen Katastrophe. Inzwischen klingt sie gemäßigt:
"Das Tiefsee-Öl ist ein Schatz, den man nutzen muss. Mit aller Vorsicht, auch damit die Einnahmen daraus sorgfältig investiert werden in Bildung, um das Leben unserer Jugend zu verbessern und wir auch verstärkt in Technologie, Wissen und Innovationen investieren können."
Marina Silva könnte profitieren von der Wechselstimmung in Brasilien. Präsidentin Dilma Rousseff, die lange Zeit konkurrenzlos war, muss dagegen ernsthaft um ihre Wiederwahl fürchten. Auch deshalb versucht deren Wahlkampfteam die schmächtige 56-jährige Ökologin als religiöse Fanatikerin zu verteufeln. Der Wahlkampf in Brasilien wird härter.