"Operation Höchststrafe" – das ist der vielversprechende Arbeitstitel, unter dem seit Februar in Brasilien Ermittlungen zu Spielmanipulationen laufen. Es geht um den letzten Spieltag der vergangenen Saison in der Serie B, der zweiten Liga des Landes. Staatsanwalt Martins Cesconetto aus dem Bundesstaat Goiás, wo die erste Anzeige eingegangen ist:
"Es war ein betroffener Verein, der den Kontakt zur Staatsanwaltschaft gesucht hat und drei konkrete Spiele zur Anzeige gebracht hat. Die Manipulation bestand durch vorsätzlich verursachte Elfmeter, immer in der ersten Halbzeit."
Tölpelhafte Fouls und fragwürdige Elfmeter
Für den Erfolg einer Kombinationswette mussten in drei bestimmten Spielen drei Elfmeter gepfiffen werden. Zweimal kam es zu Strafstößen: Nur der Spieler Romário von Vila Nova stand überraschend nicht im Kader. Da er eine Anzahlung bereits kassiert hatte, versuchte er verzweifelt Mitspieler anzuwerben. Einer davon informierte den Präsidenten von Vila Nova. Und der ließ die Bombe platzen.
"Die vollständige Bezahlung waren 150.000 Reais. 10.000 als Anzahlung und der Rest bei erfolgreicher Umsetzung."
Umgerechnet 25.000 Euro für ein höchstens als tölpelhaft wahrnehmbares Foul. Der mögliche Gewinn des Wettscheins lag bei 350.000 Euro, doch der 'Tipper' wurde festgenommen. Die involvierten Spieler erwarten Sperren von zwei bis sechs Jahren plus Geldstrafen. Die Spur führt derzeit zu weiteren Manipulationen bei den Regionalmeisterschaften. Die Spitze eines Eisbergs?
Wettbetrug scheint weit verbreitet
Schon vor drei Jahren waren gleich neun Klubs der vierten Liga aus Rio de Janeiro in einen Manipulationsskandal verwickelt. In der Regionalliga von São Paulo gab es ähnliche Fälle. Und bei einer Juniorenmeisterschaft sollten Jugendliche für das Verursachen von Eckbällen 550 Euro erhalten.
Ein krimineller Wetter behauptet, dass er seit fünf Jahren Spiele manipuliere. Gelassen umwirbt er neue Spieler, wie auf einer von der Staatsanwaltschaft von São Paulo veröffentlichten Aufnahme zu hören ist.
"Du besorgst einfach sechs Spieler deines Vertrauens. Mit dir seid ihr sieben und das reicht aus! Wenn sieben mitmachen, kann eine Mannschaft nicht funktionieren."
Jedes fünfte manipulierte Fußallspiel auf der Welt fand in Brasilien statt
In der zweiten Amazonas-Liga wurde im vergangenen Jahr gar ein Fall aufgedeckt, bei dem ein Klubpräsident selbst die Bestechungen der Wettmafia an die Mannschaft vermittelte: Er wollte damit ausstehende Gehaltszahlungen begleichen.
Die Schweizer Firma Sportradar überwacht - auch mithilfe künstlicher Intelligenz - nahezu lückenlos den gesamten weltweiten Wettmarkt. Im vergangenen Jahr hat sie 775 garantiert manipulierte Fußallspiele identifiziert. Jedes fünfte davon fand in Brasilien statt.
"Organisierte Kriminalitätsgruppen"
Wer sind die Auftraggeber? Einerseits Einzeltäter, sagt Andreas Krannich, der bei Sportradar die Integritätsabteilung leitet. Er bezeichnet diese als "einsame Wölfe" oder "Taschendiebe".
"Aber meistens sind es dann doch organisierte Kriminalitätsgruppen. Und die etablieren sich. Dann sind es natürlich physisch Personen vor Ort, die Spieler, Schiedsrichter und Offizielle ansprechen und teilweise ganze Klubs, die in finanzieller Schieflage sind, übernehmen. Das ist etwas, das nicht nur brasilianische Fußball betrifft, sondern das passiert weltweit."
Brasilien scheint besonders anfällig
Auch beim jüngsten Wettskandal um die absichtlich verursachten Elfmeter agierten die Täter unter dem Deckmantel einer Spielerberater-Agentur.
Brasilien scheint besonders anfällig: In der riesigen Fußballnation finden wöchentlich hunderte Spiele statt. Viele davon vermeintlich hochklassig auf Bundesstaatsebene, dennoch mit wenigen Zuschauern und kaum überregionaler Aufmerksamkeit. Zudem sind digitale Zahlungssysteme im Land stark vereinfacht und werden gerade auch von Kriminellen genutzt.
Und wohl am wichtigsten: In allen Ligen des brasilianischen Profifußballs wird schlecht bezahlt. Über die Hälfte der etwa 11.000 registrierten Berufsfußballer verdient monatlich den Mindestlohn von umgerechnet 230 Euro. Nicht einmal alle Erstligaprofis haben Monatsgehälter über 1500 Euro.
Besteuerung soll Abhilfe schaffen
Andreas Krannich beschreibt für Brasilien eine dramatische Entwicklung. Und das hat noch einen anderen Grund. 2018 wurde der Wettmarkt stark geöffnet – eine versprochene Regulierung ist ausgeblieben, obwohl ein unterschriftsreifes Dekret dem damaligen Präsidenten Jair Bolsonaro vorlag.
Der Markt ist riesig. 51 Klubs werden von Wettanbietern gesponsert. Mit Sportwetten werden in Brasilien jährlich etwa 26 Milliarden Euro im Jahr umsetzt. Mehr als doppelt so viel wie in Deutschland.
Nun soll Besteuerung her. Der brasilianische Finanzminister schätzt die möglichen Einnahmen auf bis zu einer Milliarde Euro. Und Wettanbieter müssen einen Firmensitz im Land anmelden. Integritätsexperte Krannich von Sportradar begrüßt den Schritt der neuen Regierung sehr.
"Die Regulierung des brasilianischen Wettmarktes ist das beste Mittel, um die Integrität im Sport zu fördern."