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Vor 200 Jahren
Brasilien macht sich unabhängig

Brasilien begeht am 7. September 2022 den 200. Jahrestag seiner Unabhängigkeit von Portugal. Die Loslösung vom Mutterland war ein langer Prozess, der allerdings weniger gewaltreich verlief als in anderen Ländern Lateinamerikas.

Von Peter B. Schumann |
Brasilianische Nationalflagge in Rio de Janeiro, 2018
Die brasilianische Nationalflagge: 1822 streifte das Land seine kolonialen Fesseln ab und löste sich vom portugiesischen Mutterland (imago / Marcelo Sayaox)
Mit großem Pomp wurde das Herz von Dom Pedro I., dem „konstitutionellen Kaiser Brasiliens“, vor Kurzem aus der Grabstätte in Portugal in sein einstiges Reich geflogen. Ihm galt die Erinnerung und der Dank dafür, dass das Riesenland 1822 seine kolonialen Fesseln abstreifen und sich vom portugiesischen Mutterland lösen konnte.

Sonderstellung innerhalb der Unabhängigkeitsbewegungen

Brasilien nahm damals, Anfang des 19. Jahrhunderts, eine Sonderstellung innerhalb der Unabhängigkeitsbewegungen in den beiden Amerikas ein. Während das spanische Imperium allmählich auseinanderfiel, zeigte Brasilien sich trotz aller regionaler Unterschiede von großer territorialer und kultureller Einheit und Stabilität. Und das hatte, so sagt Flavio Wolf de Aguiar, Schriftsteller und Professor für brasilianische Literatur, einen ganz besonderen Grund:
„Die Anwesenheit der Königsfamilie in Brasilien, in Rio de Janeiro. Dorthin war sie 1808 mit dem gesamten Hofstaat vor der Invasion Portugals durch Napoleon geflohen. Erstmals in der europäischen Geschichte wurde der Regierungssitz einer großen Kolonialmacht nach Amerika verlagert. Diese Entwicklung verstärkte die bereits in der Region vorhandenen Autonomiebestrebungen. Die portugiesische Elite fürchtete allerdings, dadurch ihren Einfluss in Brasilien zu verlieren.“

Kolonie alimentierte Mutterland Portugal

Denn die reiche und ökonomisch florierende Kolonie alimentierte damals das kleine, schwache und nach der napoleonischen Okkupation verarmte Portugal. Es war eine komplizierte Gemengelage, die sich durch die Ereignisse in Europa zuspitzte. Der Wiener Kongress hatte Brasilien 1815 den Status eines eigenständigen Königreichs verliehen, das mit Portugal in Personalunion verbunden war. Was zur Entspannung hätte beitragen können, verstärkte die Konflikte.
„In Portugal kam es zu einem tiefen Bruch zwischen den traditionellen Monarchisten und den Liberalen, die eine Aufstandsbewegung auslösten. In deren weiterem Verlauf beschnitten die Cortes, das Parlament, die Rechte des portugiesischen Königs und auch von Dom Pedro. Letzterer akzeptierte das nicht und schon gar nicht das Primat Portugals über Brasilien.“

Dom Pedro wird Kaiser Brasiliens

Dieser bornierte Versuch der Cortes, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und von Dom Pedro die Unterwerfung unter ihre Order zu verlangen, hätte seine Entmachtung und das Ende der Autonomie Brasiliens bedeutet. Deshalb erklärte er in der Nähe des Flüsschens Riacho do Ipiranga am 7. September 1822:
„Freunde, die portugiesischen Cortes wollten uns versklaven. Ab heute sind unsere Bande zerbrochen. Mit meinem Blut, bei meiner Ehre, bei meinem Gott schwöre ich, die Unabhängigkeit Brasiliens herbeizuführen. Brasilianer, unsere Parole soll von diesem Tag an lauten: Unabhängigkeit oder Tod!“

Der legendäre „Ruf vom Ipiranga“

Diese Parole ging als „Ruf vom Ipiranga“ in die Geschichte ein. Einige Wochen später wurde Dom Pedro I. zum Kaiser Brasiliens gekrönt. Es sollte noch drei Jahre dauern, bis auch Portugal die Unabhängigkeit anerkannte. Getragen wurde sie vor allem von Großgrundbesitzern, die so ihre Wirtschaftsmacht und die Sklaverei für weitere Jahrzehnte absicherten. Dennoch unterschied sich die brasilianische Emanzipationsbewegung deutlich von den oft gewaltreich verlaufenden Entwicklungen in anderen Ländern Amerikas.
„Es war kein friedlicher Prozess, denn Teile der portugiesischen Armee, die sich noch in Brasilien befanden, leisteten Widerstand. Das waren jedoch meist keine besonders blutigen Auseinandersetzungen. Die portugiesischen Cortes hatten Truppen geschickt, um Dom Pedro zur Raison zu bringen. Den Einheiten, die in Rio de Janeiro, dem Machtzentrum, ankamen, befahl er, die Rückreise anzutreten, und sie gehorchten. Aber die Truppen, die in Bahia landeten, widersetzten sich und wurden erst in monatelangen Kämpfen besiegt.“
Von Dom Pedro bleibt jedoch nicht nur die Erinnerung, sondern auch die Hymne der Unabhängigkeit, die er selbst komponiert hat und die an diesem Tag oft gemeinsam mit der etwas später entstandenen Nationalhymne gespielt wird.