Sprechstunde in der zentralen Verwaltung von Santa Rosa do Ermírio. Mehrere Frauen warten auf ihren Termin mit einem Sachbearbeiter. Das Dorf Santa Rosa do Ermírio liegt im Bundesstaat Sergipe. Die Region im Nordosten des Landes gilt zwar noch immer als das Armenhaus Brasiliens. Doch vieles hat sich gebessert. Bürgermeisterin Maria Alves denkt mit Schrecken an frühere Zeiten zurück.
"Ich habe damals hier als Sozialarbeiterin für das Gesundheitsministerium gearbeitet, und wenn ich nach Hause kam und mich zum Essen setzte, habe ich immer geweint. Ich hatte wenigstens noch schwarze Bohnen mit Maniok auf dem Teller, aber ich sah dort auch Familien mit zehn Kindern, die nichts zu essen hatten. Heute gibt es so eine Armut nicht mehr."
Noch vor 25 Jahren galt Brasilien als ein Land, in dem Menschen richtig hungern. 15 Prozent der Bevölkerung – damals rund 22 Millionen Brasilianer – waren unterernährt. 44 Millionen Menschen vom Hunger bedroht. Im Jahr 2000 litten noch 11 Prozent der Brasilianer an Unterernährung. Inzwischen gibt es laut Welternährungsorganisation keine Unterernährung mehr in Brasilien. Der statistische Wert – so heißt es im Welthungerbericht – sei nicht mehr signifikant. Ein Erfolg, den sich Ex-Präsident Lula da Silva ans Revers heften kann. Er wurde 2003 Präsident Brasiliens.
"Mein ganzes Leben lang habe ich immer gesagt, dass es möglich sein muss den Hunger in Brasilien zu besiegen. Als ich dann mein Amt antrat fragte man mich, was ich erreichen will. Und ich sagte: Wenn ich mein Amt beende und jeder Brasilianer ein Frühstück, ein Mittag- und ein Abendessen hat, habe ich mein Lebenswerk erreicht."
Hilfspakete waren an den Besuch der Schule gekoppelt
Lula startete unmittelbar nach seinem Amtsantritt Fome Zero – das Programm Null Hunger. Dazu das Sozialprogramm Bolsa Familia, die Familienhilfe. Bedürftige Brasilianer erhielten monatliche Zuschüsse und Hilfspakete, bekamen damit einen dauerhaften Zugang zu Grundnahrungsmitteln. Einzige Bedingung für die Auszahlung der Gelder: Die Kinder mussten regelmäßig in die Schule und zum Arzt. Das Geld gab es dann gegen die entsprechenden Belege. Ana Graziele aus der Kleinstadt Laranjeiras hat fünf Kinder, für drei der Kleinen bekommt sie die staatliche Hilfe. Für sie gehört der Hunger der Vergangenheit an.
"Die Situation hat sich dadurch deutlich verbessert. Einmal im Monat werden die Lebensmittelpakete an die Ärmsten verteilt, was diesen Menschen sehr hilft. Denn die meisten leben vom Fischfang, und wenn sie mit dem Fischfang nicht genug verdienen, können sie sich auf diese feste Hilfe verlassen."
Doch es gibt auch Kritik. Immer wieder wird bemängelt, dass "Fome Zero" und "Bolsa Familia" anfällig seien für Betrug, dass durch diese Politik Millionen Brasilianer von Sozialprogrammen abhängig wurden. Auch Sozialarbeiter Robertson Carvalho sieht diese Gefahr.
"Die Unterstützung an sich ist eine gute Sache, viele Menschen sind darauf angewiesen, um sich zu ernähren, zu kleiden, um wieder kämpfen zu können. Die Regierung sollte deshalb mehr Wert darauf legen, dass die Familien ein Bewusstsein entwickeln, selbst aktiv zu werden."
Dennoch: Die "Null-Hunger-Politik" in Brasilien gilt weltweit als Vorbild. In den zwölf Jahren seit Bestehen des Programms konnten etwa 36 Millionen Menschen aus extremer Armut und Unterernährung herausgeholt werden.