Brasiliens Nationalelf
Heimvorteil? - Klare Sache!

Vor dem letzten Gruppenspiel gegen Kamerun und dem bislang etwas ernüchternden Auftreten der brasilianischen Mannschaft bei der WM, diskutiert das Land darüber, ob es ein Vorteil ist zuhause zu spielen oder nicht. Ein Blick in die Forschung hilft weiter.

Von Jonas Reese |
    Der begehrte WM-Pokal in einer Vitrine
    Wer bekommt in dieses Mal, den WM-Pokal? (Jonas Reese/ Deutschlandradio)
    Es war ein Auftakt, wie ihn viele erwartet hatten. Brasilien gewinnt das Eröffnungsspiel gegen Kroatien mit 3:1. Und das mithilfe eines sehr wohlwollenden Elfmeterpfiffs des japanischen Schiedsrichters. Die anschließende Diskussion verlief hierzulande gewissermaßen unter der These: "Bei der WM 2014 wird schon so gepfiffen werden, damit der brasilianische Traum vom sechsten Titel in Erfüllung geht."
    Im korruptionsgeplagten Land glauben viele daran, dass die Schiedsrichter von der Fifa angewiesen sind, Brasilien möglichst vor einem frühen Ausscheiden zu bewahren. Wenn der Gastgeber nach der Hälfte des Turniers draußen wäre, trüge das nicht unbedingt zur guten Atmosphäre bei. Nicht wenige befürchten in diesem Fall sogar den totalen Stimmungswandel. Die Wut über eine enteignete WM würde dann garantiert in Randale enden. Das gelte es zu vermeiden. Wenn es sein muss, mithilfe der Schiedsrichter.
    Dabei muss man gar nicht gleich auf Verschwörungen zurückgreifen, um eine gewisse Bevorteilung von Heim-Mannschaften zu erklären. Am nächsten liegt die Vermutung, dass eine gewohnte Umgebung, Stadien, Fans, etc. besonders hilfreich sind. Bestes Beispiel dafür ist Mexiko. Von 70 WM-Qualifikationsspielen zuhause im Azteken-Stadion haben sie nur zwei verloren. Zugegeben es liegt auch auf rund 2.000 Meter Höhe. Der Klima-Unterschied, Hitze und Luftfeuchtigkeit, die Reisestrapazen das sind ebenfalls nahe liegende Erklärungen.
    Dennoch: Kaum eine Sportart ist so abhängig von den Schiedsrichtern und damit auch anfällig für Fehlentscheidungen. Das muss noch nicht mal absichtlich erfolgen. Das haben der Forscher Toby Mascowitz und der Journalist Jon Wertheim in ihrem Buch "Scorecasting" dargestellt. Mannschaften im eigenen Stadion erhalten demnach bei einem Rückstand häufig eine längere Nachspielzeit als Auswärtsteams. Andere Studien belegen das ebenfalls und machen für diese Bevorteilung die Wirkung der Heim-Fans verantwortlich.
    So hat eine Studie des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit herausgefunden, dass mehr Elfmeter gegen die Gastmannschaft gepfiffen werden, wenn in einem "Hexenkessel" gespielt wird. Dort wo die Entfernung zwischen Fans und Spielfeld gering ist und wenn zusätzlich nur wenige Gäste-Fans vertreten sind, lassen sich die Unparteiischen stärker beeinflussen. Die akustische Kulisse zeigt ihre Wirkung.
    Neben Brasilien mit den meistverkauften Tickets, hätten sich dieses Mal die USA eine Art Heimvorteil "erkauft". Mit insgesamt knapp 200.000 Eintrittskarten stellen sie die zweitgrößte Anhängerschaft in den Stadien. Mit vier Punkten aus zwei Spielen stehen die Amerikaner gut da.
    Unterstützende Fakten für diese Studienergebnisse kommen aus der Welt der Statistik: WM-Gastgeberländer sind in der Vergangenheit im Schnitt elf Plätze besser gewesen als in der offiziellen Einstufung. Also wenn sie von der Weltrangliste her die 16.-beste Mannschaft der WM wären, kamen sie durchschnittlich auf Platz fünf.
    Allein auf dem gleichen Kontinent zu spielen, erhöhte die Wahrscheinlichkeit, ins Finale einzuziehen um zwölf Prozent. Dieser regionale Vorteil ist auch beim jetzigen Turnier zu sehen: Lateinamerikas Mannschaften spielen sehr erfolgreich. Im Kontinentvergleich führen sie 6:2 gegen Europa. (Stand 22.6.)
    Noch nie konnte ein europäisches Team Weltmeister in Südamerika werden. Nur einmal konnte umgekehrt mit Brasilien 1958 in Schweden ein südamerikanisches Team in Europa Weltmeister werden. Es spricht also alles für den Gastgeber und seinen sechsten Titel. Andererseits: Bislang haben von 15 Gastgebern nur sechs den Heimvorteil nutzen können.