Helmut Biermann ist Schäfer. Seit mehr als 30 Jahren züchtet er Schafe auf seinem kleinen Hof in Brandenburg. Helmut Biermann, kein Freund großer Worte, ist gern bei seinen Tieren.
"Wir sind jetzt hier in unserem Schafstall. Wir haben so 350 Lämmer und 240 Mutterschafe, so in etwa."
Nach vier, fünf Monaten, wenn die Lämmer rund 40 Kilo wiegen, werden sie in der Regel geschlachtet. Helmut Biermann hat viele muslimische Kunden. Doch die meisten seiner Kunden stammen aber ursprünglich aus Serbien und Griechenland:
"Hauptsächlich orthodoxe Christen, die ein Lamm brauchen. Bei den Deutschen ist das ja nicht so weit verbreitet. Aber die essen grundsätzlich Lamm zu Ostern."
"Seht, das Lamm Gottes, das hinweg nimmt die Sünde der Welt"
"Das Lamm hatte schon in der antiken Welt eine besondere Bedeutung: Das war unter allen Opfertieren das jüngste, das weißeste vom Fell her, und es galt immer als das kultisch Reine, von Sexualität Ungetrübte," erläutert der katholische Kulturhistoriker Hubertus Lutterbach.
Und der evangelische Kirchenhistoriker Christoph Markschies führt aus: "Das Lamm ist in der christlichen Tradition so wichtig, weil es schon im Judentum so wichtig war und ist. Das Pessachfest, eines der zentralen Feste im jüdischen Jahreslauf, dieses Fest hat als zentralen Ritus das Schlachten eines Pessachlammes. Und da Jesus von Nazareth offenkundig im Zusammenhang eines Pessachfestes umgekommen ist, und Jesus selber sein Leben im Zusammenhang mit diesem Pessachlamm gedeutet hat, ist das jüdische Passahlamm auch für Christen ganz wichtig geworden."
Die Analogie zum Opfertod Jesu ist für den Berliner Professor Christoph Markschies offensichtlich: "Die frühen Christen waren ja alles Juden. Und die haben Jesu Todesschicksal wie einen Sündenbock gedeutet. So wie wir einmal im Jahr einen Bock über die Klippe stürzen, so hat Jesus sich selbst für alle geopfert. Es ist nicht so, dass Gott das fordert, gar seinen Sohn schlachtet, sondern dass Christen versuchen, das Todesschicksal Jesu mit dieser Sündenbockvorstellung und Gottesknechtsvorstellung zu deuten."
Der Tod Christi war für seine Anhänger ein Schock - der sogenannte Sühnetod diente als Erklärung für sein jähes Ende am Kreuz:
"Ob Jesus selber seinen Tod als einen solchen Sühnetod interpretiert hat, wie es die Menschen getan haben, die mit dieser Überlieferung konfrontiert worden sind, das ist in der Forschung bis heute unklar."
Es ist ausgeopfert
"Die Metapher ist stark, weil Jesus in der gleichen Stunde stirbt wie die Passahlämmer im Tempel. Und damit wird gesagt: Liebe Leute, ihr müsst jetzt Gott keine Opfer mehr bringen. Da ist jetzt einer gegangen, und damit ist alles erledigt. Es ist ausgeopfert."
Jochen Arnold ist evangelische Theologe und Direktor des Zentrums für Gottesdienst und Kirchenmusik in Hildesheim. Christoph Markschies und Hubertus Lutterbach ergänzen. Christoph Markschies:
"Opfer gehört zu jeder Religion, und das Besondere am Judentum und Christentum ist, dass sie in der Spätantike die Opfer eingestellt haben. Also das Judentum, weil es keinen Tempel mehr gab in Jerusalem, den haben ja bekanntlich im Jahre 70 die Römer zerstört, und dann hat das Judentum von einen Tag auf den anderen auf die Opfer verzichtet, und genauso im Christentum: Da ist gesagt worden, wir haben das einmalige Opfer Jesus, und es braucht keine Tieropfer mehr, was vielleicht ihre Attraktivität ausgemacht hat."
Hubertus Lutterbach: "Nach dem Opfertod Jesu Christi ist jedes Blutopfer obsolet. Das ist nicht mehr angesagt."
Christoph Markschies: "Geblieben ist die Erinnerung an Pessach und an ein besonderes Pessach, das Abendmahl: In beiden Feiern erinnert man sich an historische Pessachfeiern oder an die Feier, in der Jesus von Nazareth als das Lamm Gottes dargestellt wird, sich selber versteht."
"Nehmet hin und esset, das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Tut dies zum meinem Gedächtnis."
Christoph Markschies: "Also an die Stelle von konkretem Opfer ist die Erinnerung an frühere Opfer getreten. Und die auffällige Beobachtung ist: Diese Erinnerung bringt Heil, also nicht mehr das Opfer, sondern die Erinnerung an das Heil. Judentum und Christentum sind Religionen, in denen die Erinnerung eine ungeheuer große Rolle spielt."
Ein problematischer Begriff
Heutzutage wirkt das Wort "Opfer" wie aus der Zeit gefallen, sagt der Theologe und Kirchenmusiker Jochen Arnold:
"Das Wort Opfer ist im Deutschen hochambivalent. Wir haben dieses Jugendschimpfwort 'Opfer'. Dann haben wir das Problem, dass wir von Opfern sexueller Gewalt, von Kriegsopfern, Terroropfern und so weiter reden. Das sind alles im Englischen victims. Also Menschen, die in irgendeiner Weise zu Opfern von Gewalt werden. Und dann haben wir das andere 'Sich-Aufopfern', oder 'etwas Opfern' aktiv, dann gibt man sich für eine Sache."
Doch der Mythos des Sich-Aufopferns weckt auch ganz andere, dunkle Erinnerungen.
Christoph Markschies: "Wenn wir an die Sinndeutungsversuche deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg denken: Starb den Opfertod fürs Vaterland! War aber leider ein verbrecherischer Angriffskrieg und gar kein Opfertod fürs Vaterland."
Und Jesus? Starb er den Opfertod für alle Menschen? Für dich, für mich?
Markschies antwortet: "Christus muss sich nicht opfern und Gott verlangt auch kein Opfer im Sinn von: Gott steht auf Blut. Sondern Jesus Christus selbst willigt ein, leistet keinen Widerstand, fügt sich in sein Todesschicksal und deutet selbst sein Todesschicksal als einen Tod für die Sünden der Vielen. Das versteht man eigentlich gar nicht."
Auch viele Christen verstehen das nicht: Nur ein Drittel der Deutschen glaubt an Jesu Opfertod und die Auferstehung. Unter den evangelischen Kirchenmitgliedern ist es die Hälfte. Auch die Bedeutung des Osterlamms ist vielen nicht mehr bewusst.
Christoph Markschies: "Das Lamm steht als Symbol überhaupt für die Ereignisse von Karfreitag und Ostern. Meine Mutter pflegte am Ostersonntag ein wunderbares gebackenes Lamm auf den Tisch zu stellen und ein kleines Fähnlein da hineinzustecken aus Holz und Papier, wie auf den Bildern von Kranach. Die Grundvorstellung ist, dass man die sehr komplexen Zusammenhänge zwischen Karfreitag und Ostern in einem klaren Bild darstellt."
Immerhin: In vielen Familien hat sich die Tradition gehalten, zu Ostern ein Lamm auf den Tisch zu bringen.
Sternekoch Benjamin Meusel empfiehlt: "Jetzt gerade zur Frühlings- und zur Osterzeit haben wir verschiedene Varianten von Lamm: Ob wir eine rosa gebraten Lammkeule marinieren mit frischen Kräutern und dazu eine Brunnenkressewaffel und eine leichte Barbecuesauce machen. Oder was wir gern machen ist gebackenes Lammfilet mit frisch geschnittenem Schnittlauch dazu."
In der Liturgie heißt es: "Und nun kommt, es ist alles bereit, schmeckt und seht, wir freundlich der Herr ist."