Mario Dobovisek: Ob in einem Kuhhandel oder nicht – die schwarz-gelbe Koalition ist in einigen entscheidenden Punkten vergangene Nacht weitergekommen.
Einen Punkt wollen wir vertiefen, nämlich den der abgeschafften Praxisgebühr. Dazu begrüße ich am Telefon Bernhard Brautmeier aus dem Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. Guten Tag, Herr Brautmeier!
Bernhard Brautmeier: Ja guten Tag, ich grüße Sie.
Dobovisek: Die Praxisgebühr wird also abgeschafft, wir haben es gehört. Eine gute Nachricht für Sie?
Brautmeier: Auf jeden Fall ist das für uns eine gute Nachricht. Wir sind sehr froh, dass dieser bürokratische Aufwand jetzt entfällt. Wir haben die Fallzahlen mal sehr genau verglichen, wie waren die Fallzahlen vor Einführung der Praxisgebühr, wie waren sie danach, und wir stellen fest, dass die Fallzahlen in so gut wie allen Fachgruppen längst wieder den Stand von vor Einführung der Praxisgebühr überschritten haben. Mit anderen Worten: Die Steuerungswirkung hat sie ohnehin nicht mehr gehabt. Und es kommt hinzu, dass 50 bis 60 Prozent der Bevölkerung ohnehin von Zuzahlungen befreit waren und damit auch von der Praxisgebühr. Und wenn etwas keine Steuerungswirkung mehr hat und nur eine bürokratische Belastung darstellt, dann kann man nur froh sein, wenn das abgeschafft ist.
Dobovisek: Wenn die Praxisgebühr also keine steuernde Wirkung hat, ist oder wäre denn eine steuernde Wirkung nach wie vor sinnvoll?
Brautmeier: Das, denke ich, ja. Eine steuernde Wirkung wäre sinnvoll. Es kann natürlich sehr sinnvoll sein, sich gezielt vom Hausarzt zu bestimmten Fachärzten überweisen zu lassen. Wir haben ja hier in Deutschland ein System, das ist, glaube ich, weltweit einzigartig, dass wir einen so uneingeschränkten Zugang zu allen Leistungen haben. Und manchmal kann es wirklich Sinn machen, sich durch das Gesundheitssystem auch leiten zu lassen durch den Hausarzt. Sonst ist es unter Umständen für Patienten schwierig, gleich den richtigen Ansprechpartner zu finden.
Dobovisek: Wie würden Sie denn die Patienten davon überzeugen wollen, immer den Hausarzt zu Rate zu ziehen?
Brautmeier: Überzeugen ist da vielleicht schwierig an der Stelle. Wir können nur dafür werben, dass das sinnvoll ist, das zu tun. Aber viele Patienten entscheiden ja auch für sich, nein, ich weiß genau, wo ich hin muss, und gehen dann auch diesen Weg direkt zum Facharzt. Daran waren sie nicht gehindert von der Praxisgebühr und künftig werden sie daran noch weniger gehindert sein.
Dobovisek: Das heißt, wir stehen jetzt an dem gleichen Punkt wie damals, als die Praxisgebühr eingeführt wurde?
Brautmeier: Genau so ist das, ja.
Dobovisek: Und wie kommen wir aus dieser Misere wieder heraus? Was wären Ihre Alternativvorschläge?
Brautmeier: Na ja, Alternativvorschläge …, ich drücke es mal anders herum aus: Es muss nicht münden in einer stärkeren Belastung der Patienten. Ich weiß, es gibt viele, die darüber nachdenken. Man kann natürlich auch ein anderes System einführen, wie es in anderen Ländern der Fall ist. Aber das ist eine Frage, die ist wirklich ein bisschen brisant, das jetzt politisch zu entscheiden. Man könnte zum Beispiel so etwas wie in den Niederlanden, eine Verpflichtung haben, immer erst zum Hausarzt zu müssen. Das würde aber vielen Patienten nicht gefallen, das würde auch der Politik nicht gefallen, aber für das Gesundheitssystem wäre das möglicherweise sinnvoll. Das müsste man diskutieren.
Dobovisek: Es gibt ja einzelne Kassen, die schon vergleichbare Hausarztmodelle, wie die Kassen das dann meistens selber nennen, eingeführt haben, wo die Patienten belohnt werden damit, dass sie zum Hausarzt gehen, und dadurch möglicherweise weniger Beiträge bezahlen. Wäre also statt der großen Keule und statt einer Maut- oder Strafzahlung ein Anreiz sinnvoll?
Brautmeier: Unter Umständen ja. Jetzt muss man natürlich genau hinschauen, wie diese Hausarztmodelle funktionieren. Da stellen wir nämlich fest, dass sich trotzdem Patienten dann auch noch zu anderen Ärzten begeben, obwohl sie eigentlich eingeschrieben sind. Aber sicherlich ist das auch ein Ansatz, ja natürlich.
Dobovisek: Was wäre denn einem Hausarzt sozusagen lieber – damit kommen wir zu einem anderen Thema, nämlich dem der sogenannten Fallpauschalen -, wenn zum Beispiel ein Grippepatient ein einziges Mal zum Hausarzt geht, oder ein chronischer Patient, der jede Woche bei ihm vorbeischaut?
Brautmeier: Da sprechen Sie natürlich dieses sogenannte Regelleistungsvolumen an, dieses schlimme Wort, also Fallpauschalen. Ich glaube, dass wir von den Fallpauschalen mehr und mehr wegkommen werden. Das sieht der Gesetzgeber auch vor, dass wieder stärker auf Einzelleistungen gesetzt wird, weil in der Tat, wenn ein Patient fünf-, sechs-, sieben- oder achtmal im Quartal erscheint, dann ist diese Pauschale sehr schnell aufgebraucht und der Hausarzt hat davon nichts. Das gilt für Fachärzte aber in gleichem Maße und ich denke, man hat erkannt, dass man von dieser pauschalierten Bezahlung wieder wegkommen muss.
Dobovisek: Nun fehlen den Kassen ja durch Wegfall der Praxisgebühr zwei Milliarden Euro. Bräuchten die denn dafür einen Ausgleich, um zum Beispiel wegzukommen von dieser Fallpauschale?
Brautmeier: Bei 28 Milliarden Euro Überschuss kann ich mir das beim besten Willen nicht vorstellen. Das sind ja Überschüsse in noch nie da gewesener Höhe und man hört natürlich auch von der Politik, das sind keine Sparkassen, die Krankenkassen, sondern Krankenkassen, und dass das Geld jetzt an die Versicherten sozusagen auf diesem Wege zurückfließt, ist sicherlich vernünftig.
Dobovisek: Die Praxisgebühr wird ersatzlos gestrichen – das Interview mit Bernhard Brautmeier von der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. Vielen Dank für das Gespräch.
Brautmeier: Gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Einen Punkt wollen wir vertiefen, nämlich den der abgeschafften Praxisgebühr. Dazu begrüße ich am Telefon Bernhard Brautmeier aus dem Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. Guten Tag, Herr Brautmeier!
Bernhard Brautmeier: Ja guten Tag, ich grüße Sie.
Dobovisek: Die Praxisgebühr wird also abgeschafft, wir haben es gehört. Eine gute Nachricht für Sie?
Brautmeier: Auf jeden Fall ist das für uns eine gute Nachricht. Wir sind sehr froh, dass dieser bürokratische Aufwand jetzt entfällt. Wir haben die Fallzahlen mal sehr genau verglichen, wie waren die Fallzahlen vor Einführung der Praxisgebühr, wie waren sie danach, und wir stellen fest, dass die Fallzahlen in so gut wie allen Fachgruppen längst wieder den Stand von vor Einführung der Praxisgebühr überschritten haben. Mit anderen Worten: Die Steuerungswirkung hat sie ohnehin nicht mehr gehabt. Und es kommt hinzu, dass 50 bis 60 Prozent der Bevölkerung ohnehin von Zuzahlungen befreit waren und damit auch von der Praxisgebühr. Und wenn etwas keine Steuerungswirkung mehr hat und nur eine bürokratische Belastung darstellt, dann kann man nur froh sein, wenn das abgeschafft ist.
Dobovisek: Wenn die Praxisgebühr also keine steuernde Wirkung hat, ist oder wäre denn eine steuernde Wirkung nach wie vor sinnvoll?
Brautmeier: Das, denke ich, ja. Eine steuernde Wirkung wäre sinnvoll. Es kann natürlich sehr sinnvoll sein, sich gezielt vom Hausarzt zu bestimmten Fachärzten überweisen zu lassen. Wir haben ja hier in Deutschland ein System, das ist, glaube ich, weltweit einzigartig, dass wir einen so uneingeschränkten Zugang zu allen Leistungen haben. Und manchmal kann es wirklich Sinn machen, sich durch das Gesundheitssystem auch leiten zu lassen durch den Hausarzt. Sonst ist es unter Umständen für Patienten schwierig, gleich den richtigen Ansprechpartner zu finden.
Dobovisek: Wie würden Sie denn die Patienten davon überzeugen wollen, immer den Hausarzt zu Rate zu ziehen?
Brautmeier: Überzeugen ist da vielleicht schwierig an der Stelle. Wir können nur dafür werben, dass das sinnvoll ist, das zu tun. Aber viele Patienten entscheiden ja auch für sich, nein, ich weiß genau, wo ich hin muss, und gehen dann auch diesen Weg direkt zum Facharzt. Daran waren sie nicht gehindert von der Praxisgebühr und künftig werden sie daran noch weniger gehindert sein.
Dobovisek: Das heißt, wir stehen jetzt an dem gleichen Punkt wie damals, als die Praxisgebühr eingeführt wurde?
Brautmeier: Genau so ist das, ja.
Dobovisek: Und wie kommen wir aus dieser Misere wieder heraus? Was wären Ihre Alternativvorschläge?
Brautmeier: Na ja, Alternativvorschläge …, ich drücke es mal anders herum aus: Es muss nicht münden in einer stärkeren Belastung der Patienten. Ich weiß, es gibt viele, die darüber nachdenken. Man kann natürlich auch ein anderes System einführen, wie es in anderen Ländern der Fall ist. Aber das ist eine Frage, die ist wirklich ein bisschen brisant, das jetzt politisch zu entscheiden. Man könnte zum Beispiel so etwas wie in den Niederlanden, eine Verpflichtung haben, immer erst zum Hausarzt zu müssen. Das würde aber vielen Patienten nicht gefallen, das würde auch der Politik nicht gefallen, aber für das Gesundheitssystem wäre das möglicherweise sinnvoll. Das müsste man diskutieren.
Dobovisek: Es gibt ja einzelne Kassen, die schon vergleichbare Hausarztmodelle, wie die Kassen das dann meistens selber nennen, eingeführt haben, wo die Patienten belohnt werden damit, dass sie zum Hausarzt gehen, und dadurch möglicherweise weniger Beiträge bezahlen. Wäre also statt der großen Keule und statt einer Maut- oder Strafzahlung ein Anreiz sinnvoll?
Brautmeier: Unter Umständen ja. Jetzt muss man natürlich genau hinschauen, wie diese Hausarztmodelle funktionieren. Da stellen wir nämlich fest, dass sich trotzdem Patienten dann auch noch zu anderen Ärzten begeben, obwohl sie eigentlich eingeschrieben sind. Aber sicherlich ist das auch ein Ansatz, ja natürlich.
Dobovisek: Was wäre denn einem Hausarzt sozusagen lieber – damit kommen wir zu einem anderen Thema, nämlich dem der sogenannten Fallpauschalen -, wenn zum Beispiel ein Grippepatient ein einziges Mal zum Hausarzt geht, oder ein chronischer Patient, der jede Woche bei ihm vorbeischaut?
Brautmeier: Da sprechen Sie natürlich dieses sogenannte Regelleistungsvolumen an, dieses schlimme Wort, also Fallpauschalen. Ich glaube, dass wir von den Fallpauschalen mehr und mehr wegkommen werden. Das sieht der Gesetzgeber auch vor, dass wieder stärker auf Einzelleistungen gesetzt wird, weil in der Tat, wenn ein Patient fünf-, sechs-, sieben- oder achtmal im Quartal erscheint, dann ist diese Pauschale sehr schnell aufgebraucht und der Hausarzt hat davon nichts. Das gilt für Fachärzte aber in gleichem Maße und ich denke, man hat erkannt, dass man von dieser pauschalierten Bezahlung wieder wegkommen muss.
Dobovisek: Nun fehlen den Kassen ja durch Wegfall der Praxisgebühr zwei Milliarden Euro. Bräuchten die denn dafür einen Ausgleich, um zum Beispiel wegzukommen von dieser Fallpauschale?
Brautmeier: Bei 28 Milliarden Euro Überschuss kann ich mir das beim besten Willen nicht vorstellen. Das sind ja Überschüsse in noch nie da gewesener Höhe und man hört natürlich auch von der Politik, das sind keine Sparkassen, die Krankenkassen, sondern Krankenkassen, und dass das Geld jetzt an die Versicherten sozusagen auf diesem Wege zurückfließt, ist sicherlich vernünftig.
Dobovisek: Die Praxisgebühr wird ersatzlos gestrichen – das Interview mit Bernhard Brautmeier von der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. Vielen Dank für das Gespräch.
Brautmeier: Gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.