Gleich mal vorweg: Barrikaden wurden keine gebaut, es gab keinen Putsch – auch wenn es das Titelbild suggeriert - und militante Feministinnen, die etwa die Redaktionsräume verwüsteten, kamen auch nicht. Ganz im Gegenteil, die TAZ scheint in der spießigen Normalität angekommen zu sein. Denn die 33 Genossenschaftler, die man zum 20-jährigen Genossenschaftsjubiläum eingeladen hat, die heutige "Genossen-TAZ" zu machen, sind völlig brav. Einer von ihnen ist der Schauspieler Walter Sittler, bekannt durch sein Engagement für Stuttgart 21:
"Ich werde natürlich über Bürgerbeteiligung, Demokratie was schreiben. Und hoffentlich gelingt es mir, den Ton der TAZ zu treffen. Der nicht immer nur freundlich, verbindlich ist, sondern auch mal sagt, jetzt kneift mal den Arsch zusammen und vorwärts."
"Das wäre unser Vorspann. Hier stünde eine Spitzmarke in Rot." Zusammen mit dem TAZ-Redakteur Ambos Waibel sitzt der 30-jährige Genosse und Werbetexter Uwe Krüger in der Kulturredaktion. Man feilt und schraubt an einem Interview, das der Laienjournalist im Vorfeld der Jubiläumsausgabe vorbereitet hat. "Wie die Sache jetzt aussieht, müssen wir das Interview noch kürzen. Kein Problem, wir haben ja noch viel Zeit."
Die blattmachenden Genossen - Frauen und Männer zwischen 20 und 70 - sehen alle ein bisschen 80er-Jahre retromäßig aus: zottelige Wollpullover, ausgeleierte Jeans und Nickelbrille. Und haben die üblichen TAZ-Themen im Blick: Ökologie, Energiewende oder Friedenspolitik. Das verstaubte Bild der TAZ wird aus der Versenkung geholt, die altbekannte Floskel von der Zeitung als Lebensform wird reanimiert. Aktuelle Debatten dagegen, etwa der Grass-Israel-Streit, das Inzestverbot oder die Diskussion um das Elterngeld tauchen nicht auf. Stattdessen ist man sich einig, es wird kaum gestritten. Eher gekuschelt.
"Das ist echt zurück zu unseren Kernthemen. Aber ich glaube, wir sind jetzt auch ungerecht, wenn wir sagen, dass es dabei stehen bleibt. Weil die gucken ja schon nach vorne, beispielsweise die Diskussion um Grundeinkommen. Das ist was Neues, eine Weiterführung."
Betont Ines Pohl, die Chefredakteurin der TAZ. Und grinst:
"Das sind bewegte Leute. Die sind in der TAZ-Genossenschaft, weil sie was machen wollen. Und sich für ihre Ideale einsetzen wollen. Und das wird jetzt reproduziert. Für die Profis – das habe ich auch in den Gesichtern der Kollegen gesehen – klang das ein bisschen nach: Oh Gott, oh Gott, schon wieder. Aber wir dürfen nicht vergessen, das sind die Themen, die die Menschen bewegen. Und wir dürfen nicht vergessen, manchmal sind die Journalisten auch ziemlich zynisch abgebrüht."
Unter der kryptischen Bezeichnung 94 GnR 480 Nz ist die TAZ im Berliner Genossenschaftsregister seit dem 01. Juni 1992 eingetragen. Die Idee, das Blatt in die Hände der Leser zu legen, war ein großer Glücksfall, denn ein ewiges Problem war die fehlende finanzielle Ausstattung. Um an Geld zu kommen, zog man gar mit dem Klingelbeutel durchs Land oder erpresste auch schon mal die eigenen Leser. Die Genossenschaft erwies sich da als großer Vorteil, denn so konnte man unabhängig bleiben, die Beschäftigten sind – ähnlich wie beim Spiegel–Miteigentümer. Heute hat man nach eigenen Angaben etwa 11.700 Genossenschaftler, die rund 14 Millionen Euro in die TAZ-Genossenschaft eingezahlt haben. Geld, das nicht für das tagesaktuelle Geschäft gedacht ist, sondern für Rücklagen und Sonderprojekte. Wie etwa ein neues Redaktionssystem. Die Jubiläumsausgabe Genossen-TAZ ist da eine Art Dankeschön, betont Konny Gellenbeck, die Leiterin der TAZ-Genossenschaft:
"Wir haben acht Jahre lang der Redaktion den Vorschlag gemacht, mit den Genossinnen und Genossen zusammenzuarbeiten. Für uns ist das eine große Verneigung und ein Dank vor den Mitgliedern, die uns teilweise Jahrzehnte die Treue halten. Und immer dafür gesorgt haben, dass die TAZ überleben kann. Andererseits ist es auch spannend zu sehen, was sind das für Menschen, die dahinter stehen."
Die Genossenschaft ist für die TAZ überlebenswichtig, sie hat ihr eine finanzielle Stabilität gegeben, von der sie noch vor zehn Jahren nur geträumt hätte. Die Gefahr der Überschuldung, eine Insolvenz ist damit in weite Ferne gerückt. Und: Während die FAZ, Süddeutsche oder der Tagesspiegel mit massiven Anzeigenverlusten zu kämpfen haben, hat die Genossenschaft der TAZ relativ entspannte Zeiten serviert.
Eine der ersten prominenten Genossenschaftler ist Hans-Christian Ströbele, die allererste Genossin ist Doris Benjack, Fortbildungsbeauftragte und Betriebsrätin der TAZ:
"Ich habe die Urkunde zu Hause, dass ich die Genossin Nummer 1 bin. Da bin ich stolz drauf. Ich wollte verhindern, dass die TAZ in die Hände irgendwelcher Investoren kommt. Und da fand ich das wichtig, dass man das mittels einer Genossenschaft stützt."
Wie in der restlichen Welt hat auch in der TAZ der Geist des gefühlskalten Controllings Einzug gehalten, denn jede Ausgabe aus den Genossenschaftsanteilen wird vom Mitteldeutschen Genossenschaftsverband jährlich strengstens geprüft. Anschließend werden die Genossenschaftsanteile eingeschätzt, die derzeit real etwa ein Fünftel unter dem Ausgabewert liegen.
Doch ob die Genossen-TAZ genauso legendär wird, wie einst die Feindes-TAZ, als man 2003 die Zeitung für einen Tag lang Leuten wie Kai Dieckmann von der BILD, dem Musikproduzenten Dieter Bohlen oder Joachim Fest von der FAZ überlassen hat, bleibt fraglich. Denn die Genossen-TAZ ist eine brave Ausgabe. Durch und durch. Was vielleicht daran liegt, dass die Liebe der Genossen zu ihrem Blatt, der Respekt vor ihrer alternativen Tageszeitung, einfach zu groß ist. Auch für den Kölner Hotelier und TAZ-Genossenschaftler Werner Peters, der gestern für einen Tag in die Rolle des Blattmachers geschlüpft ist:
"Ich bin durchaus bereit, auch Kritik zu üben. Aber im Grunde genommen kann ich gar nicht sagen, was mir fehlt. Finde, was sie bringen will und was sie sich zur Aufgabe gestellt hat, das leistet."
"Ich werde natürlich über Bürgerbeteiligung, Demokratie was schreiben. Und hoffentlich gelingt es mir, den Ton der TAZ zu treffen. Der nicht immer nur freundlich, verbindlich ist, sondern auch mal sagt, jetzt kneift mal den Arsch zusammen und vorwärts."
"Das wäre unser Vorspann. Hier stünde eine Spitzmarke in Rot." Zusammen mit dem TAZ-Redakteur Ambos Waibel sitzt der 30-jährige Genosse und Werbetexter Uwe Krüger in der Kulturredaktion. Man feilt und schraubt an einem Interview, das der Laienjournalist im Vorfeld der Jubiläumsausgabe vorbereitet hat. "Wie die Sache jetzt aussieht, müssen wir das Interview noch kürzen. Kein Problem, wir haben ja noch viel Zeit."
Die blattmachenden Genossen - Frauen und Männer zwischen 20 und 70 - sehen alle ein bisschen 80er-Jahre retromäßig aus: zottelige Wollpullover, ausgeleierte Jeans und Nickelbrille. Und haben die üblichen TAZ-Themen im Blick: Ökologie, Energiewende oder Friedenspolitik. Das verstaubte Bild der TAZ wird aus der Versenkung geholt, die altbekannte Floskel von der Zeitung als Lebensform wird reanimiert. Aktuelle Debatten dagegen, etwa der Grass-Israel-Streit, das Inzestverbot oder die Diskussion um das Elterngeld tauchen nicht auf. Stattdessen ist man sich einig, es wird kaum gestritten. Eher gekuschelt.
"Das ist echt zurück zu unseren Kernthemen. Aber ich glaube, wir sind jetzt auch ungerecht, wenn wir sagen, dass es dabei stehen bleibt. Weil die gucken ja schon nach vorne, beispielsweise die Diskussion um Grundeinkommen. Das ist was Neues, eine Weiterführung."
Betont Ines Pohl, die Chefredakteurin der TAZ. Und grinst:
"Das sind bewegte Leute. Die sind in der TAZ-Genossenschaft, weil sie was machen wollen. Und sich für ihre Ideale einsetzen wollen. Und das wird jetzt reproduziert. Für die Profis – das habe ich auch in den Gesichtern der Kollegen gesehen – klang das ein bisschen nach: Oh Gott, oh Gott, schon wieder. Aber wir dürfen nicht vergessen, das sind die Themen, die die Menschen bewegen. Und wir dürfen nicht vergessen, manchmal sind die Journalisten auch ziemlich zynisch abgebrüht."
Unter der kryptischen Bezeichnung 94 GnR 480 Nz ist die TAZ im Berliner Genossenschaftsregister seit dem 01. Juni 1992 eingetragen. Die Idee, das Blatt in die Hände der Leser zu legen, war ein großer Glücksfall, denn ein ewiges Problem war die fehlende finanzielle Ausstattung. Um an Geld zu kommen, zog man gar mit dem Klingelbeutel durchs Land oder erpresste auch schon mal die eigenen Leser. Die Genossenschaft erwies sich da als großer Vorteil, denn so konnte man unabhängig bleiben, die Beschäftigten sind – ähnlich wie beim Spiegel–Miteigentümer. Heute hat man nach eigenen Angaben etwa 11.700 Genossenschaftler, die rund 14 Millionen Euro in die TAZ-Genossenschaft eingezahlt haben. Geld, das nicht für das tagesaktuelle Geschäft gedacht ist, sondern für Rücklagen und Sonderprojekte. Wie etwa ein neues Redaktionssystem. Die Jubiläumsausgabe Genossen-TAZ ist da eine Art Dankeschön, betont Konny Gellenbeck, die Leiterin der TAZ-Genossenschaft:
"Wir haben acht Jahre lang der Redaktion den Vorschlag gemacht, mit den Genossinnen und Genossen zusammenzuarbeiten. Für uns ist das eine große Verneigung und ein Dank vor den Mitgliedern, die uns teilweise Jahrzehnte die Treue halten. Und immer dafür gesorgt haben, dass die TAZ überleben kann. Andererseits ist es auch spannend zu sehen, was sind das für Menschen, die dahinter stehen."
Die Genossenschaft ist für die TAZ überlebenswichtig, sie hat ihr eine finanzielle Stabilität gegeben, von der sie noch vor zehn Jahren nur geträumt hätte. Die Gefahr der Überschuldung, eine Insolvenz ist damit in weite Ferne gerückt. Und: Während die FAZ, Süddeutsche oder der Tagesspiegel mit massiven Anzeigenverlusten zu kämpfen haben, hat die Genossenschaft der TAZ relativ entspannte Zeiten serviert.
Eine der ersten prominenten Genossenschaftler ist Hans-Christian Ströbele, die allererste Genossin ist Doris Benjack, Fortbildungsbeauftragte und Betriebsrätin der TAZ:
"Ich habe die Urkunde zu Hause, dass ich die Genossin Nummer 1 bin. Da bin ich stolz drauf. Ich wollte verhindern, dass die TAZ in die Hände irgendwelcher Investoren kommt. Und da fand ich das wichtig, dass man das mittels einer Genossenschaft stützt."
Wie in der restlichen Welt hat auch in der TAZ der Geist des gefühlskalten Controllings Einzug gehalten, denn jede Ausgabe aus den Genossenschaftsanteilen wird vom Mitteldeutschen Genossenschaftsverband jährlich strengstens geprüft. Anschließend werden die Genossenschaftsanteile eingeschätzt, die derzeit real etwa ein Fünftel unter dem Ausgabewert liegen.
Doch ob die Genossen-TAZ genauso legendär wird, wie einst die Feindes-TAZ, als man 2003 die Zeitung für einen Tag lang Leuten wie Kai Dieckmann von der BILD, dem Musikproduzenten Dieter Bohlen oder Joachim Fest von der FAZ überlassen hat, bleibt fraglich. Denn die Genossen-TAZ ist eine brave Ausgabe. Durch und durch. Was vielleicht daran liegt, dass die Liebe der Genossen zu ihrem Blatt, der Respekt vor ihrer alternativen Tageszeitung, einfach zu groß ist. Auch für den Kölner Hotelier und TAZ-Genossenschaftler Werner Peters, der gestern für einen Tag in die Rolle des Blattmachers geschlüpft ist:
"Ich bin durchaus bereit, auch Kritik zu üben. Aber im Grunde genommen kann ich gar nicht sagen, was mir fehlt. Finde, was sie bringen will und was sie sich zur Aufgabe gestellt hat, das leistet."